"Black Mirror": Callcenter – Grundrechte einschneidende Überwachungstechnologien

Mit Spezialsoftware und Algorithmen lässt sich fast jeder Aspekt der Arbeit in Callcentern und im Homeoffice kontrollieren. Eine Studie beleuchtet die Technik.

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(Bild: dotshock/Shutterstock.com)

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Die Wirklichkeit der Überwachungspotenziale in Callcentern und an vergleichbaren Arbeitsplätzen reicht bereits an düstere Szenarien heran, wie sie etwa die Science-Fiction-Serie Black Mirror entworfen hat. Dies schreibt der österreichische Forscher Wolfie Christl in einer jetzt veröffentlichten Studie zum Ausspähen von Mitarbeitern in Kundendienstbüros durch Techniken wie der algorithmischen Kontrolle. Entsprechende Systeme seien mittlerweile in der Lage, datenbasiert "fast jeden Aspekt der Arbeit" in Servicezentren "zu organisieren, zu überwachen, zu mikromanagen und zu kontrollieren".

Das Callcenter gilt Christl zufolge schon seit Langem "als Prototyp einer Arbeitsumgebung, in der die Beschäftigten einer umfassenden Überwachung und digitalen Kontrolle unterworfen sind". Anrufe und andere Tätigkeiten würden ständig aufgezeichnet und "sekundengenau bewertet". Die dafür erhobenen personenbezogenen Daten dienten dazu, Beschäftigte "einzustufen, zu disziplinieren und sie zur Höchstleistung anzuspornen". Dazu komme eine ständige Ausweitung von Callcentern. Diese seien zu "Kontaktzentren" geworden, in denen Angestellte Anrufe, E-Mails, Chats und Nachrichten in sozialen Medien bearbeiteten. Oft gehöre die gesamte Kundenbetreuung zum Aufgabenportfolio.

Der Leiter des unabhängigen Wiener Forschungsinstituts Cracked Labs untersucht auf den 52 Seiten vorrangig die Software, die auf dem europäischen Markt für Arbeitgeber zum Betrieb von Kontaktzentren erhältlich ist. Er analysiert dafür technische Dokumentation und andere öffentlich zugängliche Quellen. Der Schwerpunkt liegt auf Programmen des führenden Anbieters Genesys, aber auch Angebote von Konkurrenten wie Nice, Verint, Amazon, Cogito und Callminer fließen mit ein.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die heutigen Callcenter-Systeme eine "breite Palette von Mechanismen zur Strukturierung, Leitung, Überwachung und Kontrolle der Arbeit bieten": Leistungskennzahlen, Zielvorgaben, Rankings und Beurteilungen sind allgegenwärtig. Dashboards, Berichte und Warnmeldungen helfen dabei, "Ausreißer" zu identifizieren und Coaching-Sitzungen festzulegen. Echtzeit-Feedback zu Leistungsbewertungen und monetäre "Anreize" könnten zur Intensivierung der Arbeit eingesetzt werden.

Elektronische Wandtafeln, auf denen die Kennzahlen für Gruppen von Arbeitnehmern erscheinen, und andere Mechanismen der "öffentlichen Bloßstellung" erzeugten Gruppendruck, heißt es weiter. Die Mitarbeiter könnten verpflichtet werden, im Laufe des Tages "Punkte" zu sammeln, indem sie sich wunschgemäß verhalten und mit anderen im Team konkurrieren.

Das Konzept der "Warteschlange" schafft dem Netzaktivisten zufolge ein "virtuelles Fließband mit dem ständigen Zwang zum sofortigen Handeln". Benachrichtigungen und Zeitzähler dienten dabei als "virtuelle Peitschen". Die automatisierte Zuweisung von Anrufen und Aufgaben sei imstande, zur Maximierung der Effizienz und Minimierung von Leerlaufzeiten herangezogen zu werden. Manager könnten auch Leistungsindikatoren festlegen, "die bestimmen, wie schnell Anrufe und andere Aufgaben den Mitarbeitern auf der Grundlage ihrer Kompetenzprofile und ihres bisherigen Verhaltens zugewiesen werden".

Die Betroffene müssten sich an starre Skripte und andere Workflow-Mechanismen halten oder eingreifen, wenn Voice- oder Chatbots dies verlangten, führt Christl aus. Callcenter-Betreiber gehören nach eigenen Angaben zu den Pionieren, die ChatGPT direkt in ihre Plattformen integrieren.

"Anrufe und andere Kommunikationsinhalte können im Namen von Schulungen, Qualitätssicherung, Kundenzufriedenheit und Compliance vollständig überwacht und aufgezeichnet werden", ist der Untersuchung zu entnehmen. Moderne Contact-Center-Software analysiere und bewerte automatisch, "was Mitarbeiter sagen, welche Phrasen sie verwenden und ob die Stimmung in einem Anruf oder Gespräch 'positiv' oder 'negativ' war". Einige Hersteller behaupteten, "Freundlichkeit" und "Einfühlungsvermögen" ausmachen zu können, indem sie den Tonfall einschätzten und in Folge einschlägige automatische Echtzeit-Anweisungen für die Angestellten bereitstellten. Die Aufzeichnung von Bildschirminhalten gehöre mit zum Programm. Am Ende stehe so gegebenenfalls eine umfassende Verhaltenskontrolle.

Genesys, Five9, Nice und Talkdesk betreiben Christl zufolge App-Stores. Diese enthielten hunderte Anwendungen, "die die Funktionalität ihrer Plattformen erweitern und den Datenfluss in und aus ihnen ermöglichen". Dazu gehörten Integrationen mit gängigen Unternehmenssystemen für Customer Relationship Management (CRM), Enterprise Resource Management (ERP), Workflow-Automatisierung und Unified Communications von Anbietern wie Salesforce, SAP, Microsoft, ServiceNow und Zoom. Angeboten werde auch Software für Datenanalyse, Berichtswesen, Leistungsmanagement, Zeiterfassung und Terminplanung von weniger bekannten Anbietern. Firmen können ferner Programmierschnittstellen verwenden, um benutzerdefinierte Integrationen zu erstellen oder Datenflüsse zu ermöglichen.

Einige Anbieter verkauften noch tiefer in die Grundrechte einschneidende Überwachungstechnologien, die speziell auf Arbeitskräfte im Homeoffice abzielten, weiß der Autor. Deren Funktionen reichten "von der Aufzeichnung von Tastatureingaben und Mausklicks bis zur Verwendung von Webcams zur Überwachung". Generell habe sich das Arbeitsumfeld, das in Callcentern geschaffen wurde, auf viele Bereiche ausgedehnt – vom Verkauf bis zu Back-Office-Arbeiten, von der technischen Beratung bis zur Krankenbetreuung aus der Ferne. Outsourcing-Giganten mit Hunderttausenden von Mitarbeitern wie Teleperformance in Frankreich seien so entstanden.

Erhebungen, Erfahrungsberichte und Herstellerinformationen deuteten darauf hin, dass viele dieser Features in Europa genutzt würden, erklärt Christl. Es bleibe aber unklar, "wie die Arbeitgeber sie tatsächlich einsetzen". Entscheidend sei aber, dass bereits die Gestaltung dieser Systeme Einfluss darauf habe, wie sie genutzt würden und "wie sie sich somit auf das tägliche Leben der Arbeitnehmer auswirken". Die Hersteller behaupteten, dass die Technik mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Vereinbarung zu bringen sei. Der Verfasser hinterfragt dies, konnte der Sache im Rahmen des noch laufenden Projekts zur digitalen Arbeitskontrolle bislang aber nicht auf den Grund gehen.

(bme)