Bluesky-CEO erteilt Anzeigen eine Absage und setzt auf Community-Moderation

In einem Interview hat Jay Graber, Chefin von Bluesky, sich zu Plänen nach der Öffnung des Netzes geäußert. Es soll gratis und als Föderation bestehen bleiben.

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Bluesky Schmetterling

(Bild: Primakov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nico Ernst
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Warum es bei Bluesky zunächst nur über Einladungscodes möglich war, dem sozialen Netzwerk beizutreten, und worin die Unterschiede zu anderen Plattformen liegen, erläutert Bluesky-CEO Jay Graber gegenüber Wired in einem Interview. Eigentlich gibt Graber selten Interviews, allerdings hat Bluesky erst diese Woche die Registrierung für alle geöffnet. Zuvor waren, wie einst bei Clubhouse, Einladungscodes nötig, die nur bestehende Bluesky-Nutzer erhielten.

Das, so Graber, war aber nicht dafür gedacht, um Bluesky den Anstrich von Exklusivität zu geben. Vielmehr sei es darum gegangen, das Wachstum zu begrenzen, um die Strukturen im Hintergrund zu schaffen. Dazu gehört Graber zufolge vor allem die Weiterentwicklung des AT-Protokolls, auf dem Bluesky basiert. Ähnlich wie das Protokoll ActivityPub von Mastodon ist es gebaut, um ein soziales Netzwerk dezentral zu betreiben. Das heißt im Falle von Bluesky, es gibt verschiedene "Föderationen", also Instanzen, die inhaltlich, technisch und räumlich getrennt sein können, dies aber nicht müssen.

Diversifikation sieht Graber generell als größten Vorteil ihres Dienstes an. Das gilt auch für die Algorithmen, welche den Nutzern Inhalte vorschlagen, die sogenannten Feeds. Neben dem eigenen Algorithmus von Bluesky gebe es inzwischen auch 25.000 andere Feeds, die überwiegend von externen Entwicklern erstellt worden seien. Als Beispiel führt die CEO an, dass es einen Feed gäbe, der nur Bilder von Moos und anderen grünen Dingen zeige.

Das wirkt, als können man sich auf Bluesky perfekt in eigene Bubbles zurückziehen, andere Aussagen von Graber zeichnen jedoch ein anderes Bild. Derzeit sei die Atmosphäre in dem erst seit rund einem Jahr existierenden Dienst "sehr verspielt und chaotisch". Zudem hätten sich in diesem ersten Jahr viel mehr Nutzer auch inhaltlich geäußert, statt nur zu konsumieren. Dies sei, so Graber, bei den meisten anderen sozialen Netzen anders.

Das mag auch daran gelegen haben, dass Bluesky vor einem Jahr einen kleinen Hype erlebt hat, weil viele Nutzer nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk auf der Suche nach einem neuen Microblogging-Dienst waren. Bluesky und das AT-Protokoll hatten als Nebenprojekt des Twitter-Gründers Jack Dorsey begonnen, und Twitter nennt Graber auch einmal in dem Gespräch namentlich.

Dort hätten die Nutzer zu Anfang auch eigene Strukturen aufgebaut. Dann sei Twitter aber immer abgeschlossener geworden und habe sich eher "wie eine Plattform" verhalten. Das kann auch als Anspielung auf dort inzwischen geschlossene APIs verstanden werden, zu denen beispielsweise Wissenschaftler nur Zugang zu horrend hohen Gebühren erhalten.

Während Twitter inzwischen mit zahlreichen Abomodellen gegen einen Exodus großer Werbekunden kämpft, will sich Bluesky offenbar nicht auf eine derartige Finanzierung einlassen. "Es wird immer eine Gratis-Option geben", sagte Jay Graber. Und dann folgt der Begriff, denn Wired auch zur Überschrift gemacht hat: "We can't enshittify the network with ads." Das lässt sich nur unzureichend mit "Wir können das Netzwerk nicht mit Werbung versauen" übersetzen, der neue Begriff der "Enshittification" hat sich in US-Medien inzwischen etabliert und wurde erst kürzlich von der American Dialect Society zum Wort des Jahres 2023 gekürt.

Damit ist gemeint, wie sich das Nutzungserlebnis digitaler Dienste im Laufe der Zeit verschlechtert, unter anderem weil die Betreiber immer mehr Geld aus dem Dienst und manchmal, siehe Twitter, aus den Nutzern herausholen wollen. Das kann durch eine Flut von Werbung, auch für zweifelhafte Angebote, durch mangelnde oder ganz fehlende Moderation oder andere Versäumnisse oder bewusste Eingriffe der Betreiber geschehen.

Für den wirtschaftlichen Erfolg einer Plattform hat das oft keine negativen Auswirkungen, weil eine genügend große Zahl der Nutzer den Diensten treu bleibt. Viele Anwender der Anfangszeit werden sich dabei aber von einem Netzwerk ab und landen woanders. Dort sorgen die dann, weil sie eine große Zahl von Followern mitbringen, wiederum für Wachstum und der Prozess könnte von neuem beginnen.

Es scheint, als wolle Graber diesen Mechanismen vorbeugen. Im Zentrum ihrer Strategie scheint ein Community-Gedanke zu stehen, wie er aus der Kultur der privaten, meist themenbezogenen, privaten Foren der 1990er und frühen 2000er Jahre bekannt ist. Das gilt auch für das Problem, das kein soziales Netzwerk wirklich gelöst hat. Die Moderation von Inhalten. Da setzt Graber auch auf die Nutzer und deutet ein System wie die Community-Notes auf Twitter an.

Für die Erkennung von illegalen Inhalten setzt Bluesky der CEO zufolge schon KI ein. Künftig sollen sich zur Bekämpfung von Desinformation auch externe Fact-Checking-Organisationen beteiligen können. Ob und wie diese dann bezahlt werden, geht aus dem Gespräch nicht hervor. Generell, so Graber, wolle Bluesky nur eine "Ausgangsgrundlage" an Moderation schaffen, und den Rest den Nutzern überlassen.

(nie)