Bugs in ICANN 2.0

"Mehr Interaktivität" in der internationalen Organisation zur Internet-Verwaltung versprach ICANNs neuer Präsident. Kritiker der Netzaufseher allerdings sehen noch einige Probleme mit der neuen ICANN.

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Von
  • Monika Ermert

Mit einer vollen Stunde Danksagungen verabschiedete sich auf der Tagung in Montreal Ende der Woche die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) von ICANN 1.0 und vor allem 11 von 18 Direktoren der internationalen Netz- und DNS-Verwaltung. Drei von ihnen waren bereits während der Gründung als handverlesene "Interimdirektoren" nach undurchsichtigen Hinterzimmergesprächen bei der US-Regierung in den Vorstand gekommen. Justitiar Louis Touton, der die privaten Netzverwalter ebenfalls verlässt, wurde mit der Aufnahme in die virtuelle IANA-VIP-Liste und stehenden Ovationen verabschiedet, ebenso wie Linda Wilson, "Interimsdirektorin" und zuletzt Vorsitzende des nicht unumstrittenen Nominierungskomitees für die neuen ICANN-Direktoren.

Wilson hatte im ICANN-Plenum und in einer Sitzung mit den Regierungen ausführlich die Ergebnisse des Nominierungsprozesses vorgestellt, der unter anderem auch das ehemalige Telekom-Vorstandsmitglied Hagen Hultzsch in den ICANN Vorstand bringt. Hultzsch, dessen Amtszeit erst Ende des Jahres beginnt und der in Montreal ICANN schon einmal in Augenschein nahm, bezeichnete in einer ersten Reaktion die Organisation als "funktionierende United Nations des Internet": "Ich muss sagen, ich bin nach diesen ersten beiden Tagen schon sehr enthusiastisch, weil ich sehe, was für große Aufgaben ICANN in der Fabrik der Telekommunikation zu bewältigen hat."

Kritischer sieht der neue bulgarische ICANN-Direktor Veni Markovski die Internet-Verwaltung. Er hält vor allem die Kommunikation mit der Öffentlichkeit für deutlich verbesserungswürdig. "Jeder Direktor sollte künftig auf der ICANN-Seite auch seine eigenen Dokumente veröffentlichen können", forderte Markovski.

"Mehr Interaktivität" in der Organisation versprach auch ICANNs neuer Präsident, der Australier Paul Twomey. "Ich denke, die zentralen Punkte der jetzigen Veränderungen sind mehr Interaktion zwischen den an ICANN beteiligten Gruppen, mehr Unterstützung dieser Gruppen durch die hauptamtlichen Mitarbeiter und besonders auch die Gründung des ICANN-Gremiums für die Länderdomain-Manager, das die globaler werdende Natur der ICANN-Community am besten belegt." Genau dieses ICANN-Gremium der Länderdomain-Manager war nach heftigen Diskussionen doch noch zustande gekommen. Einzige harte Gegnerin ist nach wie vor Sabine Dolderer, Chefin der .de-Registry DeNIC. Sie will sich den Beitritt noch völlig offen halten: "Ich werde darüber mit meinem Vorstand sprechen." Bis zuletzt hatte Dolderer unter anderem versucht, definitive Quoren für die Abstimmungsprozesse durchzusetzen, doch am Ende stand das DeNIC alleine da.

Rebell Karl Auerbach, der ICANN endgültig den Rücken kehrt, fühlte sich angesichts der zuletzt an den Tag gelegten Eile bei der vertraglichen Einbindung der Länderdomain-Registries zur Frage veranlasst, ob Mitglieder des Vorstands oder der Manager vom US Handelsministerium unter Druck gesetzt worden seien. Der Chef des ICANN-Reformkomitees, Alejandro Pisanty, sagte, die US-Regierung sei nicht anders an einer Einigung mit den Länderdomain-Managern interessiert gewesen als andere Teilnehmer. Die stabile Beziehung zu den Länderdomain-Registries steht allerdings sehr wohl auf der Aufgabenliste der US-Regierung für ICANN, an der sich die Organisation bereits im September wieder messen lassen muss: Dann läuft der Vertrag der Internet-Verwaltung mit der US-Regierung zur Oberaufsicht des US-Wirtschaftsministeriums über die ICANN aus.

Da ICANN nun die meisten der übertragenen Aufgaben erfüllt habe, könne auch über das Verhältnis zur US-Regierung neu diskutiert werden, sagte Twomey. Tatsächlich bezweifeln viele Beobachter, dass ICANN in die "Unabhängigkeit" entlassen wird. Noch immer muss die Organisation zudem ein klares Procedere mit den Regional Internet Registries finden, die für die regionale Vergabe von IP-Adressen zuständig sind. Auch an einem professionellen Verfahren für die mögliche Einführung neuer TLDs wird noch gebastelt. Nach heftiger Diskussion zwischen den Direktoren wurde der bereits publizierte Aufruf für Neubewerbungen noch einmal zurückgestuft. Mehrere Direktoren hatten die Beschränkung auf Bewerber aus dem Jahr 2000 für unsinnig erklärt. Siemensmanager Helmut Schink, der ebenfalls seine letzte ICANN-Sitzung absolvierte, sagte gegenüber heise online: "Ich wäre insgesamt für eine völlige Neuausschreibung gewesen. Ich halte auch die Beschränkung auf eingeschränkte Top Level Domains nicht für sinnvoll." Jetzt soll die Ausschreibung nochmals für zwei Monate öffentlich zur Diskussion gestellt werden. Parallel zu den Ausschreibungsbemühungen startet ICANN CEO Paul Twomey eine Grundsatzdiskussion für die zukünftige Erweiterung des Namensraumes.

Zur aktuellen Entwicklung der Netzverwaltung ICANN siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)