Bundesrat gibt weiten Zugriff auf Passfotos aller Bürger und Handys von Flüchtlingen frei

In einer Marathonsitzung haben die Länder Überwachungsbefugnisse von Behörden ausgebaut sowie einheitliche Ladegeräte, das Open-Data-Gesetz, die E-Akte im Strafverfahren und das europäische Patentgericht befürwortet.

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Bundesrat gibt weiten Zugriff auf Passfotos aller Bürger und Handys von Flüchtlingen frei

Präsidium des Bundesrats

(Bild: Bundesrat)

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Wie schon vor drei Wochen hat sich der Bundesrat in seiner Plenarsitzung am Freitag in den Vollzugsmodus vor der nahenden Sommerpause begeben und zahlreiche vom Bundestag verabschiedete Gesetzesentwürfe rund um die Netz- und Sicherheitspolitik bestätigt, ohne dass die teils heftig umstrittenen Bestimmungen eine Zusatzrunde im Vermittlungsausschuss drehen müssen. Die Regeln können nun alle bald in Kraft treten.

Keine große Debatte mehr gab es in der Länderkammer zu zwei Gesetzen, mit denen die Überwachungsbefugnisse stark ausgebaut werden. Auf der Tagesordnung stand etwa ein Paket, mit dem eigentlich der "elektronische Identitätsnachweis" und die bislang kaum genutzte, künftig standardmäßig aktivierte eID-Funktion des neuen Personalausweises gefördert werden soll. Dazu gepackt hat der Gesetzgeber aber eine weitgehende Bestimmung, wonach sämtliche Sicherheitsbehörden künftig jederzeit biometrische Lichtbilder für Personalausweis und Pass bei den Meldeämtern automatisiert abrufen dürfen.

Die Lizenz zum Online-Zugriff auf Passfotos gilt nicht nur für Polizeien und Geheimdienste von Bund und Ländern, wie es die Bundesregierung zunächst vorgeschlagen hatte, sondern nun auch für "Steuerfahndungsdienststellen der Länder, den Zollfahndungsdienst und die Hauptzollämter". Von Mitte 2018 an sollen zudem Ordnungsämter die sensiblen biometrischen Merkmale automatisiert abrufen können, um Verkehrsordnungswidrigkeiten zu verfolgen.

Bisher durften Ermittlungs- und Ordnungsbehörden sowie Steuer- und Zollfahnder nur online in Eigenregie auf Passfotos zugreifen, wenn die Ausweis- beziehungsweise Passbehörde nicht erreichbar und Gefahr im Verzug war. Diese Schranken fallen nun, der Kreis der Abrufberechtigten wird um die Verfassungsschutzämter, den Bundesnachrichtendienst (BND) sowie den Militärischen Abschirmdienst (MAD) erweitert. Datenschützer warnen im Verbund mit dem Ausbau der Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung vor einem "Big-Brother-Gesetz".

Durchgewinkt hat der Bundesrat auch einen Gesetzentwurf, wonach das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) künftig Mobiltelefone und andere Datenträger ohne Richtergenehmigung auslesen darf, wenn Asylsuchende ihre Identität nicht anderweitig nachweisen können. Der Entwurf sieht ferner vor, dass ausreisepflichtige Ausländer vor ihrer Abschiebung besser überwacht sowie leichter in Abschiebehaft genommen werden können, wenn von ihnen "eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter" oder die innere Sicherheit ausgeht. Betroffene müssen dann gegebenenfalls eine elektronische Fußfessel tragen, wenn sie nicht sofort abgeschoben werden können. Zudem wird in vielen Fällen ein umfassenderer Datenaustausch zwischen den zuständigen Behörden einschließlich des Bundeskriminalamts (BKA) erlaubt.

Ganz kurzen Prozess gemacht und nicht einmal mehr einzeln aufgerufen haben die Länder eine Reihe anderer digitalpolitisch wichtiger Gesetzesvorhaben. Dazu zählt die Initiative, mit der die EU-Richtlinie für Funkanlagen ins nationale Recht umgesetzt und ein drohender Verkaufsstopp von WLAN-Routern und Handys wegen mangelnder neuer Standards zur CE-Kennzeichnung abgewendet werden soll.

Bekanntester Punkt der Vorgaben aus Brüssel ist das gewünschte Aus für den Steckersalat: Hersteller von Mobiltelefonen, Tablets und anderen Geräten, die das Funkspektrum nutzen, müssen ihren Kunden künftig einen universellen Ladestecker mitliefern. Die Vorschrift soll auch für Autotüröffner, Modems oder WLAN-Router gelten, nicht jedoch für Laptops. Für die neuen Regeln gilt eine Übergangsfrist bis zum 13. Juni 2017. Die EU-Gremien erhoffen sich davon geringere Kosten und weniger Elektroschrott.

Teil des Entwurfs ist eine Klausel, von der laut Kritikern die Gefahr einer "Funkabschottung" ausgehen könnte. Eine Funkanlage muss demnach sicherstellen, "dass nur solche Software geladen werden kann", für die der Nachweis für das reibungslose Zusammenspiel mit dem Gerät erbracht wurde. Nutzern dürfte es damit schwerer fallen, systemrelevante Programme in Geräten mit Funkfunktion in Eigenregie oder mithilfe alternativer Anwendungen zu installieren oder zu verbessern. Um die Bedenken auszuräumen, müsste die Kommission handeln.

Passieren lassen hat die Länderkammer auch den Entwurf für ein Open-Data-Gesetz. Elektronisch gespeicherte unbearbeitete Daten von Bundesbehörden sollen demnach maschinenlesbar, entgeltfrei sowie transparent der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Erfasst sind auch Metadaten wie Angaben über Herkunft, Struktur und Inhalt der Verwaltungsinformationen. Diese sollen insgesamt über das bestehende Portal GovData verfügbar werden.

Einen Anspruch, digitale Daten der Behörden zu erhalten, hat das Parlament mit dieser Reform des E-Government-Gesetzes nicht geschaffen. Anders als beim Informationsfreiheitsgesetz des Bundes wird der Bürger also einen Zugang zu begehrten Bits und Bytes notfalls nicht gerichtlich erstreiten können. Daten für Forschungszwecke bleiben zunächst generell außen vor. Die Behörden müssen ihre Bestände auch nicht freigeben, wenn etwa andere berechtigte Interessen wie der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Urheberrechten, der öffentlichen Sicherheit, Belangen der Geheimdienste und Polizeien oder der Privatsphäre dem entgegenstehen.

Angenommen hat der Bundesrat auch einen Gesetzentwurf, mit dem die elektronische Akte in Strafverfahren von 2018 an möglich und ab 2026 verpflichtend werden soll. Grünes Licht gab es zudem für ein "Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz", womit das Bankgeheimnis weiter ausgehöhlt und das automatisierte Kontenabrufverfahren ausgedehnt wird, sowie eine "Verordnung über das Verfahren zur Auskunft über Kundendaten" laut Telekommunikationsgesetz. Die neuen Regeln zur Terrorismusbekämpfung sollen den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden in den Bestandsdaten der Provider die automatisierte Suche auch mit unvollständigen Namensbestandteilen sowie abweichenden Schreibweisen ermöglichen. Den Weg geebnet haben die Länder ferner für die Ratifizierung des Protokolls für ein einheitliches europäisches Patentgericht. (anw)