Bundestag: Fachkräfte können einwandern, Ausländer schärfer überwacht werden

Deutschland bekommt erstmals ein Einwanderungsgesetz sowie ein "zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz", bei dem Seehofer für einen Eklat sorgte.

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Fachkräfte, Büro, Arbeitsplätze
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Der Digitalverband Bitkom atmet auf: Er sieht in dem am Freitag vom Bundestag mit den Stimmen der großen Koalition beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine Chance, die ihm zufolge in der deutschen Wirtschaft offenen Stellen für 82.000 IT-Spezialisten zumindest teilweise mit Experten aus dem Ausland zu besetzen. Die Initiative erleichtere es qualifizierten Fachkräften, "aus Drittstaaten nach Deutschland zu kommen und hier dauerhaft zu arbeiten".

"Speziell für IT-Fachkräfte werden die Voraussetzungen gesenkt", freute sich Bitkom-Chef Achim Berg. "Sie dürfen ohne formalen Qualifikationsnachweis einwandern, sofern sie über eine einschlägige Berufserfahrung von drei Jahren verfügen." Dieser Ansatz sei "absolut vernünftig": Formale Bildung spiele in der schnelllebigen IT eine nachrangige Rolle. Wichtig sei, "was jemand wirklich kann und ob er die an ihn gestellten Anforderungen erfüllt". Dies könnten die Unternehmen "unabhängig von Urkunden mit amtlichem Stempel" am besten selbst beurteilen.

Nach rund 30-jähriger Debatte hatte die Bundesregierung im Dezember den einschlägigen Entwurf auf den Weg gebracht, den die Abgeordneten nun mit einigen Änderungen verabschiedeten. Die Arbeitsplatzsuche vor Ort stand bisher nur Akademikern offen. Jetzt sollen auch Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung für bis zu sechs Monate dafür eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wenn sie über eine anerkannte Qualifikation, ausreichende Deutschkenntnisse und einen gesicherten Lebensunterhalt verfügen. Während dieser Zeit kann auch eine Probearbeit etwa in Form eines Praktikums mit bis zu zehn Wochenstunden ausgeübt werden.

Darüber hinaus schafft das Gesetz die Option für unter 25-Jährige, bereits zur Suche eines Ausbildungsplatzes nach Deutschland zu kommen. Voraussetzungen sind hier neben der vollständigen Lebensunterhaltssicherung gute deutsche Sprachkenntnisse ("Niveau B2") und ein Abschluss, der zu einem Hochschulzugang in Deutschland oder in dem Staat führt, in dem der Aspirant die Schulbank drückte.

Fachkräftemangel

Der Gesetzgeber will auch sicherstellen, dass es nicht zu Lohndumping kommt. So müssen Bezahlung und Arbeitsbedingungen der ausländischen Fachkraft denen vergleichbarer inländischer Arbeitnehmer entsprechen. Spezialisten, die über 45 Jahre alt sind, müssen nachweisen, dass sie über eine angemessene Altersvorsorge verfügen und monatlich mindestens 3685 Euro brutto verdienen. Damit soll verhindert werden, dass sie bei der Rente aufs Sozialamt angewiesen sind.

Die Opposition lehnte das Vorhaben geschlossen ab. Bevor man nach neuen Fachkräften rufe, müssten erst "diejenigen in Arbeit" gebracht werden, "die schon hier sind", kritisierte René Springer von der AfD. Der FDP-Politiker Johannes Vogel hielt dagegen, dass Schwarz-Rot zu kurz gesprungen sei und so den Fachkräftemangel nicht beseitigen könne. Dafür wäre ein "großer Wurf in der Einwanderungspolitik" nötig gewesen. Der Linke André Hahn monierte, dass die Koalition Zuwanderung "allein nach ökonomischen Verwertbarkeitskriterien" ausgerichtet habe. Die Grüne Filiz Polat vermisste einen Paradigmenwechsel mit einem Punktesystem.

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Die neuen Regeln zur Einwanderung sind Teil eines ebenfalls beschlossenen umfangreichen Migrationspakets . Zu diesem gehören etwa auch ein Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungsgesetz, eine Reform zur "besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" alias "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" zur erleichterten Abschiebung sowie ein "zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz".

Die SPD hat im parlamentarischen Verfahren Erleichterungen beim Zuzug von Fachkräften und bei der Ausbildungsduldung durchgesetzt. Die CDU/CSU-Fraktion punktete dagegen bei Verschärfungen beim Ausreisegewahrsam und bei der Behandlung von Identitätsbetrügern. Vor allem das vorgesehene Recht für die Polizei, bei Abschiebungen Flüchtlingsheime ohne Richterbeschluss betreten zu dürfen, wollen Linke und Grüne über den zuvor bereits skeptischen Bundesrat zu Fall beziehungsweise zunächst in den Vermittlungsausschuss bringen.

Empörung auch beim Koalitionspartner löste Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einem kryptischen Kommentar zum ebenfalls heftig umstrittenen Datenaustauschverbesserungsgesetz aus. In einem am Donnerstag am Rande des "Zweiten Berliner Kongresses für wehrhafte Demokratie" aufgenommenen Videoschnipsel, den das ARD-Hauptstadtstudio auf Twitter stellte, sagt der CSU-Politiker mit Blick auf den Entwurf: "Ich hab' jetzt die Erfahrung gemacht in den letzten 15 Monaten: Man muss Gesetze kompliziert machen. Dann fällt das nicht so auf."

Die Initiative sei "ganz stillschweigend eingebracht" worden, gibt der Bayer süffisant lächelnd zum Besten. Das habe wohl auch daran gelegen, weil die Materie eben "kompliziert ist, das erregt nicht so". Der Minister weiter: "Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges." Aber auch solche Schritte würden ja oft "unzulässig in Frage gestellt".

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider bezeichnete die Äußerungen im Plenum als "Frechheit und Dreistigkeit". Er unterstrich: "Wir Sozialdemokraten haben uns verhöhnt gefühlt." Der Entwurf sei regulär beraten worden und nicht sonderlich unverständlich. Alle anderen Behauptungen verunsicherten die Menschen und zerstörten Vertrauen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock zeigte sich "fassungslos" über das Demokratieverständnis des Dieners des Volkes. Der YouTuber Rezo wunderte sich, ob Seehofer tatsächlich seine Strategie offenbart habe, wie er und "seine Homies" Gesetze durchdrückten.

Seehofer bemühte sich, die Wogen zu glätten. "Leicht ironisch" habe er die Bemerkung gemeint, "weil die Diskussion ziemlich schräg und unverhältnismäßig ist", betonte er gegenüber der Süddeutschen Zeitung. In einer Mitteilung wertete er das Gesetz, mit dem die Behörden etwa über einen Ausbau des Ausländerzentralregisters Flüchtlinge schärfer überwachen und Kindern Fingerabdrücke abnehmen können, als Meilenstein für die digitale Grundversorgung der Asylverfahren. Diese würden durch die stärkere Behördenvernetzung "sicherer und schneller". Obwohl die Koalition beim Datenschutz etwas nachbesserte, brachten Sprecher der Opposition gegen die Initiative weiterhin zahlreiche verfassungs- und europarechtliche Bedenken vor. (bme)