CCC denkt Anleitung zu Sabotage von Überwachung an

Bürgerrechtler wie Amnesty International und Chaos Computer Club schlagen Alarm. Das "Sicherheitspaket" der Bundesregierung "schränkt Grundrechte radikal ein".​

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Gesicht einer jungen Dame mit Kraushaar; darüber gelegt sind Symbole wie Zielkreise, die Gesichtserkennung symbolisieren

(Bild: ImageFlow/Shutterstock.com)

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Biometrische Rundumüberwachung samt Gesichts- und Stimmerkennung im Netz steht plötzlich auf dem Wunschzettel der deutschen Bundesregierung. Sowohl zur Aufklärung alltäglicher Straftaten, als auch bevor überhaupt etwas passiert ist (im Polizeideutsch "Gefahrenabwehr" genannt). Bürgerrechtler wollen das nicht hinnehmen. "Im Hauruckverfahren werden Grundrechte radikal eingeschränkt. Die als Fortschrittskoalition angetretene Regierung bricht ihren Koalitionsvertrag, öffnet der Massenüberwachung Tür und Tor und untergräbt die Grundrechte besonders schutzbedürftiger Gruppen", stellt Svea Windwehr, Co-Vorsitzende von D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt, fest.

"Die Bundesregierung lässt sich von den Faschisten treiben und schwenkt in Rekordzeit von 'Anonymität wahren' zu 'alle biometrisch überwachen'. Es gibt aber keine technischen Lösungen für soziale Probleme", sagt Matthias Marx, Sprecher des Chaos Computer Club (CCC). "Wenn dieser Gesetzesentwurf verabschiedet wird, dann genügt es nicht mehr, schöne Stellungnahmen zu schreiben und alle drei Jahre eine Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung zu organisieren. Künftig müssten wir dazu anleiten, Überwachungsmaßnahmen zu sabotieren und abzuschalten."

"Aktuell muss es darum gehen, die Menschenrechte hochzuhalten und sich nicht mit rassistischen Zuschreibungen und kopflosen Gesetzesverschärfungen zu überbieten. Nachdem die Ampel-Koalition jahrelang über Gegenmaßnahmen zu Racial Profiling diskutiert hat, will sie jetzt im Rekordtempo anlasslose Kontrollen ausweiten. Diese Befugnisse sind ein Einfallstor für Racial Profiling und gehören stattdessen abgeschafft", erklärt Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär Amnesty Internationals in Deutschland, "All unsere Fotos oder Tonaufnahmen im Netz soll der Staat künftig mit Technologie für Stimm- und Gesichtserkennung durchsuchen dürfen, ob es nun Fotos vom Kindergeburtstag sind, unsere Urlaubs-Schnappschüsse oder ein selbst aufgenommenes Lied. Das verletzt die Privatsphäre der gesamten Bevölkerung. Auch das Recht auf Protest ist bedroht, wenn Menschen sich künftig fragen, ob Fotos von Demonstrationen mit Gesichtserkennung ausgewertet werden. Wir brauchen gerade jetzt eine aktive Zivilgesellschaft, die sich im wahrsten Sinne des Wortes traut, Gesicht zu zeigen – keine eingeschüchterte."

Die Kampagne Keine Gesichtserkennung soll Bürger dazu bewegen, auf die Politiker der Ampelkoalition einzuwirken, damit diese sich doch am eigenen Koalitionsvertrag zu orientieren. Zu den Unterstützern zählen neben den drei obgenannten zivilgesellschaftlichen Organisationen zehn weitere, darunter Digitale Freiheit, EDRi (European Digital Rights) und Wikimedia Deutschland.

Auch AlgorithmWatch ist mit an Bord: "Der Aktionismus der Ampel läuft hier in die völlig falsche Richtung. Wir stehen alle noch unter dem Schock der Morde von Solingen. Aber gerade weil die Situation sehr emotional ist, besteht die Gefahr, nun über das Ziel hinaus zu schießen. Dass KI-gestützte Datenanalysen und biometrische Erkennung von öffentlichen Bildern und Videos für mehr Sicherheit sorgen, ist ein falsches Versprechen. Keine einzige Straftat würde dadurch verhindert."

(ds)