Chatkontrolle und Websperren: EU-Kommission legt "die Axt an die Grundrechte"

Die weitreichenden EU-Pläne zum Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch stoßen auch in Deutschland auf massive Kritik von Experten und Politikern.

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(Bild: -strizh-/Shutterstock.com)

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Hiesige Aktivisten, Wissenschaftler und Politiker lassen kaum ein gutes Haar an der von der EU-Kommission geplanten Verordnung zum Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch, mit der umfangreiche Such- und Überwachungspflichten, Websperren und die sogenannte Chatkontrolle verknüpft sind. Die Kommission lege mit dem Vorschlag "die Axt an die Grundrechte", rügt etwa der frühere EU-Abgeordnete Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Mit dem auf europäischer Ebene umkämpften Verordnungsentwurf sollen auch Anbieter durchgängig verschlüsselter Messagingdienste wie WhatsApp, Apple mit iMessage, Signal und Threema über behördliche Anordnungen dazu verpflichtet werden können, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch in den Nachrichten ihrer Nutzer ausfindig zu machen. "Niemand will einen besseren Schutz von Kindern verhindern", erklärte Reda dazu. "Die Technologie ist aber nicht in der Lage, dieses Ziel zu erreichen."

Für den Aktivisten steht fest: "Ist die Integrität der Messenger-Kommunikation einmal untergraben – sei es durch Hintertüren in der Verschlüsselung oder durch die Durchleuchtung von Nachrichten auf den Endgeräten – dann kann niemand sich mehr auf die Vertraulichkeit seiner Gespräche verlassen." Es gebe keine Backdoor, die nur für den Kinderschutz genutzt werden könne. Journalisten, Anwälte, Whistleblower und "alle anderen, die auf vertrauliche Kommunikation angewiesen sind, werden durch die Chatkontrolle erheblichen Risiken ausgesetzt, die grundrechtlich nicht zu rechtfertigen sind".

Konstantin Macher von der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage zeigte sich enttäuscht, dass die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sich einem Dialog mit der Zivilgesellschaft verweigert habe. So sei kein ausgewogenes Gesetzespaket zu erwarten gewesen.

Es sei unfassbar, "was da aus Brüssel kommt", twitterte der Digitalexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann. "Bei jeder Nutzung eines Messengers droht in Zukunft die Überwachung der persönlichen Kommunikation. Ohne Anlass, ohne Verdacht. Das gehört eher nach Russland, als nach Europa." Zensursula lasse grüßen, verwies er auf die früheren deutschen Pläne für Websperren von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU).

Das Vorhaben darf laut der SPD-Rechtsexpertin Sonja Eichwede nicht dazu führen, dass "jegliche vertrauliche Kommunikation infrage gestellt" und eine wirksame Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufgebrochen oder umgangen werde.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte dagegen das EU-Vorhaben: "Es liegt mir auch persönlich sehr am Herzen, diesen Kampf gegen entsetzliche Missbrauchstaten" und ihre Vermarktung im Netz nochmals zu stärken. Mit klaren Rechtsgrundlagen, verbindlichen Meldewegen und einem neuen EU-Zentrum "können wir Prävention und Strafverfolgung EU-weit sehr deutlich stärken".

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz und Tobias Bacherle, Obmann im Digitalausschuss, haben derweil "schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken": Es bestünden massive Zweifel, dass das vorgesehene systematische Scannen privater Nachrichten "mit geltendem europäischen wie deutschen Grundrecht sowie der EuGH-Rechtsprechung vereinbar ist". Aus gutem Grund habe sich die Ampelkoalition gegen solche Maßnahmen, für das Recht auf anonyme und pseudonyme Nutzung des Internets sowie die Stärkung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen ausgesprochen.

Auch Alexandra Koch-Skiba, Leiterin der Beschwerdestelle des eco-Verbands der Internetwirtschaft, betrachtet die Brüsseler Pläne mit Sorge. Diese untergrüben jede Form der vertraulichen und sicheren Kommunikation im Netz. Der Entwurf habe das Potenzial, "einen Freifahrtschein für staatliche Überwachung zu schaffen. Das ist ineffektiv und illegal."

In der Wissenschaft stößt die Vorlage ebenfalls auf Ablehnung. Schon allein die enthaltene Chatkontrolle laufe aus Sicht des Datenschutzes sowie der Cybersicherheit aus dem Ruder, moniert der Bremer IT-Sicherheitsrechtler Dennis-Kenji Kipker. Dies gelte aber auch für weitere geplante Maßnahmen wie die Erkennung und Blockade von Datenverkehren. In dem Entwurf finde sich sogar eine Klausel, "die mit einer erweiterten Vorratsdatenspeicherung verglichen werden kann, indem Inhaltsdaten für maximal zwölf Monate gespeichert werden können".

Aufgrund vieler bewusst vage formulierter Befugnisse müssten sich die allermeisten Bürger "auf die viel befürchtete Vollüberwachung" einstellen, warnt Kipker. Mit dem geplanten EU-Zentrum bei Europol werde ferner "eine neue Supersicherheitsbehörde mit extensiven Datensammelbefugnissen" geschaffen, "deren Mitarbeiter juristische Immunität genießen". Insgesamt sei der Strauß an höchst eingriffsintensiven Kompetenzen "extrem belastend". Anstatt sich auf ein immer stärker technokratisch geprägtes Staatsverständnis zu stützen, wäre die EU laut dem Professor "deutlich besser damit beraten, mehr Ermittlungspersonal einzustellen".

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Im schlechtesten Fall ziele die Kommission "auf die Erstellung einer umfassenden Überwachungsinfrastruktur ab und schiebt die Bekämpfung von Kinderpornografie und Kontaktaufnahme zu Kindern für sexuelle Zwecke nur vor", beklagt der Saarbrückener Rechtsinformatiker Christoph Sorge. "Sicher ist aber die Konsequenz: ein Generalverdacht gegen die Nutzer elektronischer Kommunikation, eine Schwächung der IT-Sicherheit in der elektronischen Kommunikation und ein damit einhergehender Vertrauensverlust."

"Es sollen Algorithmen eingesetzt werden, die alle versendeten Nachrichten lesen, interpretieren und dann bestimmte Inhalte melden", erläutert Tibor Jager, Professor für IT-Sicherheit und Kryptografie an der Universität Wuppertal: Es gebe dabei technisch aber keine Option, das auf Grooming und Missbrauchsmaterial einzuschränken. Wenn ein solches System einmal in Betrieb sei, könne es einfach auf beliebige andere Inhalte wie politische Interessen und religiöse Ansichten erweitert werden: "Das entspricht ziemlich genau der Definition eines Totalüberwachungssystems."

Wo technische Verfahren der Ähnlichkeitserkennung auf bislang unbekannte Inhalte angewandt werden, "steigt das Risiko von Fehlalarmen", weiß der Hamburger Medienrechtler Stephan Dreyer. Anbieter müssten bei der Analyse – spätestens bei der Überprüfung – über die Möglichkeit verfügen, Ende-zu-Ende-verschlüsselte Übertragungen im Klartext lesen zu können. Das stünde im Gegensatz zu Sinn und Zweck der Verschlüsselung. Auch mit einer EU-weiten Datenbank für zu sperrende URLs drohten massive Eingriffe in die Informations- und Kommunikationsfreiheiten.

(mki)