Comdex: 200 Fuß tiefer

Las Vegas bietet mit der Comdex immer noch eine der Leitmessen der Computerbranche -- dieses Jahr nach einer wechselvollen Geschichte zum 22. Mal. Aber "Back to Business" ist auch ein Erinnerungs- und Denkverbot.

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Von
  • Detlef Borchers

"Go back to business" -- diese Aufforderung von US-Präsident Bush zierte in den vergangenen Wochen als seltsamer Disclaimer viele Pressemeldungen. Ja, die Comdex ist wieder im Geschäft, auch wenn es einige Zeit ausgesehen hatte, als ob auch diese Show abgesagt werden würde. Unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen wird die 22. Herbstcomdex am heutigen Sonntagabend (Ortszeit Las Vegas) mit einer Keynote von Bill Gates eröffnet. Ob das reicht, eine ohnehin stark verunsicherte Branche den nötigen Anstoß zu geben, wird sich zeigen. Es könnte sein, dass diesmal die Geschichte des scheinbar geschichtslosen Las Vegas der einflussreichsten Computershow Nordamerikas im Wege steht. Genauso gut ist es möglich, dass sich niemand um die Geschichte kümmert: Back to Business ist auch ein Erinnerungs- und Denkverbot.

"Nur 200 Fuß kleiner -- und sie schwindeln!" Mit dieser Tafel machte sich der Stratosphere Tower in Las Vegas über das World Trade Center und seine Antennen in New York lustig. Diese Tafel ist verschwunden, ebenso die Werbung, das höchste Gebäude westlich vom Mississippi zu sein. Es sind Kleinigkeiten wie diese, mit denen Las Vegas auf die Ereignisse vom 11. September eingeht. In den Casinos, in denen ohnehin jede Tageszeit ausgesperrt ist, ist von 9/11 nichts zu spüren. In dieser heiluzinierten Spielerwelt sind die Comdex und ihre dreckige kleine Schwester Adultdex nur zwei von 3800 Messen und Conventions, die jährlich den Strom der Touristen und Spieler bereichern. Entgegen einem gern gepflegten Vorurteil ist die Comdex jedoch ein wichtiger Bestandteil von Las Vegas: Die Nerds und Geeks (Minderheit) und die Marketingleute (Mehrheit) spielen zwar kaum an den Automaten, zahlen aber die mindestens verdreifachten Hotelpreise und geizen nicht mit Scheinchen, die in die Strapse der Lap-Dancer gesteckt werden. 255 Millionen US-Dollar lässt eine Comdex nach Angaben der LVCVA, der Messe-Entwicklungsbehörde von Las Vegas, in der Stadt -- nicht gerechnet die beträchtlichen Summen, die das Sex-Business kassiert. Nach Angaben des Vegas-Forschers David Dickens ("Vegas -- an All-American City") ist die Comdex auch für diese Branche der absolute Jahres-Höhepunkt mit Umsätzen in zweistelliger Millionenhöhe. In jedem Fall sind die Helden an der Tastatur und der Maus freigiebiger als die Terroristen, die sich zur Vorbereitung ihrer Attacken in Las Vegas trafen -- und dabei keinesfalls das Lotterleben verschmähten.

Ob die Besucher Helden sind oder fahrlässig handeln, ist noch nicht entschieden. Von der Lage und der Symbolkraft her wird Las Vegas mit seinen monströsen Hotelklötzen am Strip von den Behörden als stark gefährdete Stadt eingeschätzt. Das hat nicht nur damit zu tun, dass das Glücksspiel im Islam verboten ist. Weitaus bedeutsamer ist die wenig beachtete Tatsache, dass die mafiösen Verflechtungen der Stadt seit den Tagen der Gangsterbosse Buggsy Siegel und Meier-Lansky traditionell starke Verbindungen zum Zionismus und später zum Staate Israel aufweist. Von den in den Casinos gewaschenen Mafia-Geldern flossen ansehnliche Summen nach Jerusalem. Einen Höhepunkt erreichte der Geldtransfer in den 50er und 60er-Jahren, als der Journalist und spätere Casinobesitzer Hank Greenspun die Unterstützung Israels organisierte. Nach Recherchen von Sally Denton und Roger Morris ("The Money and the Power") sollen mindestens 30 Milliarden US-Dollar über Greenspun vor allem in den Aufbau der israelischen Armee geflossen sein. In Jerusalem erinnert eine Ehrentafel der "Gründer Israels" an Greenspun und seine Aktionen. Zusammen mit dem Waffenhändler Adnan Khashoggi dealte Greenspun mit allem und jedem. Seine spektakulärste Aktion war der Versuch, mit dem damaligen israelischen Premierminister Menachem Begin dem saudischen König Fahd für 100 Milliarden US-Dollar ein Überflugsrecht über Jerusalem und den Tempelberg zu verkaufen, der damals für Araber gesperrt war. Der Deal scheiterte am Finanzierungswillen reicher arabischer Familien. Gut möglich, dass die Familie bin Laden mit dabei war.

Im Jahre 1978 besuchte Sheldon Adelson die "West Coast Computer Faire" von Jim Warren. Adelson, ein knallharter jüdischer Geschäftsmann, der mit dem Verkauf von Automaten in Brockton, Massachusetts groß geworden war, hatte in Las Vegas den Job eines "Business Developers" übernommen: In der Spielerstadt bemerkte man, dass allein mit Sex und Zocken kein weiteres Wachstum zu schaffen ist. Steve Wynn, der junge Besitzer des Golden-Nugget-Casinos im ehemaligen Zentrum von Las Vegas, trug sich etwa mit Plänen, die Straßen rund um seinen Hotelkomplex auszubuddeln und mit Wasser zu füllen, auf denen Gondeln den Verkehr übernehmen sollten -- Wynn wollte unbedingt ein Venedig in der Wüste haben. Sheldon Adelson dachte praktischer an Messen und Kongresse mit Besuchern, die keine Scheu vor dem Image der Stadt hatten und möglichst unpolitisch sind -- noch heute lehnt es Las Vegas ab, die Kongresse der Republikaner und Demokraten zu veranstalten. Adelson fand seine ideale Zielgruppe in den jungen computerbegeisterten Hobby-Bastlern, die Warrens "Faires" stürmten. In einem bis heute nicht aufgeklärten Deal wurde Warren gezwungen, die Computer Faire an Adelson zu verkaufen. Als Comdex (Computer's Dealer Exhibition) startete die Show 1979 mit 4.000 Besuchern und 150 Ausstellern im heutigen Casino Ballys. Adelsons "Interface Group" genanntes Unternehmen schaffte bei der Premiere nicht, die Zahlen der alten Faire (13.000 Besucher) zu erreichen und verließ vorerst die Hotelszene. Im Jahr 1980 bezog die Comdex das Las Vegas Convention Center, damals eine atemberaubende Rotunda im Stil der 60er. 9.000 Besucher schafften den Weg in die Messe, auf der Novell mit einer Netzwerksoftware für den Apple II debütierte.

Erst in den beiden Folgejahren begann die Comdex richtig zu explodieren. 1981 kamen 24.000, 1982 bereits 49.000 Besucher. Adelsons Interface Group wanderte mit Frühjahresausgaben der Messe nach New York und Chicago. Im Jahre 1983 -- Bill Gates hielt seine erste Keynote auf der Comdex und wurde dabei vom Papa am Projektor assistiert -- begann Sheldon Adelson seinen Kampf um das richtige Messegelände. Schon 1984 reichte der Platz am stetig erweiterten Convention Center nicht aus, musste die Messe in Zelte und in ein halbes Dutzend weit verstreuter Hotels siedeln. Der stets von ehemaligen Mossad-Kämpfern in Bodyguard-Funktion umgebene Adelson hatte zu diesem Zeitpunkt das herunter gekommene Sands-Casino erworben. Das Sands war eine viel zu klein gewordene Casino-Legende, in der einst die Gang um Frank Sinatra und Sammy Davis Jr. ihre Späßchen trieb. Adelson bekam den Zuschlag für das Sands mit dem Versprechen, hinter dem Casino neue, große Messehallen zu errichten, die mit einer Schnellbahn dem alten Messegelände angegliedert werden sollten. Als das Las Vegas Review Journal über diesen Deal und die Geschichte der Comdex recherchieren wollte, besetzte Adelson mit seinen Bodyguards die Redaktion. Zur Erhaltung der "guten Nachbarschaft" wurde die Recherche eingestellt. Das von Adelsons Interface Group und den Veranstaltern der Consumer Electronics Show (CES) errichtete Sands Expo Center wurde 1990 fertig und seine Nutzungsrechte für einen Dollar an die LVCVA verkauft: als städtische Liegenschaft konnten Ausstellungen mit reichlich vorhandenen Steuermitteln aus dem Spielbankgeschäft subventioniert werden. Ein Teil des Deals war kurios: Adelson erhielt die Lizenz zur Errichtung eines 150 Millionen teuren Messezentrums in Eliat am Roten Meer, das 1995 in Angriff genommen wurde. Hier sollte die "Comdex Europe/Asia" ihr dauerhaftes Heim finden, in Anbetracht des 1993 geschlossenen Oslo-Abkommens zwischen Israel und Palästina damals eine nicht unrealistische Hoffnung.

Vor den zweitgrößten Messehallen der USA ließ Adelson das Sands Casino abreißen und das Venetian errichten, ein komplett mit Gondeln und Marktplätzen imitiertes Venedig. Es kostete 1,2 Millarden US-Dollar. 850 Millionen kamen von Adelson, der für diese Summe die Comdex an die japanische Softbank verkauft hatte. Das Venetian ist eine Antwort auf Steve Wynn, der mit dem Mirage und später dem Bellagio die Themen-Hotels kreierte, die Las Vegas familienfreundlich machten. Für sein Bellagio-Hotel, eine Imitation des gleichnamigen Ortes am Comer See, kaufte Steve Wynn für 300 Millionen US-Dollar moderne Kunst, die im Hotel, im Restaurant und einem Mini-Museum aufgehängt wurde. Bis auf einen Picasso ist die Sammlung verkäuflich. Adelsons Antwort wurde kurz vor der Comdex eröffnet: Nicht eine, sondern zwei Dependancen des Guggenheim-Museums, die an das Venetian angefügt wurden. "The Guggenheim Las Vegas ist ein Grundstein der grundlegenden kulturellen Renaissance von Las Vegas", wird Sheldon Adelson in den Comdex-Materialien zitiert, "es wird sich zeigen, dass gerade gestresste Messebesucher das Bedürfnis haben, beim Betrachten von Kunst abzuschalten und sich zu erholen." Die erste Ausstellung ist die aus Guggenheim Bilbao geholte "The Art of the Motorcycle", ein von Dennis Hopper ("Easy Rider") angelegter Streifzug durch die Geschichte des Motorrads mit 120 seltenen Pötten. Eines Tages soll nach den Plänen von Sheldon Adelson das schönste und größte Computermuseum der Welt in der Nachbarschaft entstehen -- wenn er die Genehmigung bekommt, das Sands Expo Center zu erweitern. Danach sieht es nicht aus. Die LVCVA versucht, den eigentlichen Messeplatz zu erweitern -- und wird von Adelsons Rechtsanwälten mit einer Serie von "Luftverschmutzungs"-Prozessen daran gehindert. Zwischen den beiden Messeblöcken besteht bis heute keine vernünftige Verbindung.

Ob die Comdex-Besucher Entspannung im Museum suchen werden, wird sich zeigen. Fraglich ist auch, ob sie die Messe an beiden Veranstaltungsorten abklappern werden und ihre "30PP" machen, die 30 Pounds Paper, die ein typischer Comdex-Besucher nach Angaben des LVCVA täglich sammelt. Mehr noch als in den früheren Jahren haben sich die Computerfirmen in große Suites in den vielen Hotels von Las Vegas zurückgezogen. Dort werden viele Neuheiten zitiert, dort sind besonders die leitenden Top-Manager zu finden, die so einen Kompromiss zum Reiseverbot gefunden haben, das in vielen Firmen verhängt wurde. Doch der Spaß der früheren Jahre ist vorbei. Wie kein Zweiter steht Mark Eppley für die lustige Comdex-Zeit. Der Chef von Laplink.com, das früher unter dem Namen Traveling Software firmierte, veranstaltete einst die "Burn-Outs", bunte überdrehte Partys am vorletzten Messetag, an dem durchgefeiert wurde. Solche Partys gibt es nicht mehr. In diesem Jahr kocht Mark brav ein Chili auf einer Veranstaltung, die diesmal den Kindern toter Feuerwehrleute aus New York gewidmet ist. Mark Eppley glaubt nicht an eine Terror-Delle der Computerbranche: "Was passiert, ist doch, dass wir darunter leiden, dass die existierende 'Plattform', also Internet, P3/P4-Prozessoren, Windows usw. einfach nicht mehr ausreicht, die Wachstumsraten zu garantieren, an die sich unsere Branche gewöhnt hat", erzählt Eppley im Gespräch mit heise online. "Das hat nichts mit 911 zu tun." Während die Bilder von den Attacken auf das World Trade Center liefen, versuchten seine Angestellten die 104 Kunden zu warnen, die mit Tower-1- und Tower-2-Adressen in der Datenbank von Laplink gemeldet waren. Sie sollten lieber von zu Hause aus mit Laplink arbeiten. "Wir machen weiter, weil sonst die Terroristen gewonnen haben. Ich hoffe, dass XML, .NET und Windows XP die neue Plattform bilden, auf der die alten Wachstumsraten wieder kommen. Aber das sollte man wirklich nicht mit der Bedrohung unserer Zivilisation verwechseln."

Zur Geschichte der Comdex siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)