"De facto Ausfall der Südregion" – Ausbau der Erneuerbaren stockt weiterhin
Der Bundesverband Windenergie erkennt beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ein Nord-Süd-Gefälle. Es wird von einem "De-facto-Ausfall der Südregion" gesprochen.
- Kristina Beer
- mit Material der dpa
In einigen Bundesländern sieht die Ausbau-Bilanz für Erneuerbare Energien laut der Fachagentur Windenergie an Land immer noch mau aus. Unter anderem in Bayern komme der Ausbau der Windkraft nicht wirklich voran. In Thüringen, Sachsen, im Saarland sowie in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sei im ersten Quartal 2023 sogar kein einziges Windrad ans Netz gegangen. Der Bundesverband Windenergie findet für diese Entwicklung harte Worte.
Mehr Zubau, aber schwächelnde Länder
Laut einer vorläufigen Auswertung der Fachagentur, die der dpa vorlag, liegt das flächenmäßig größte Bundesland Bayern beim Windenergie-Ausbau mit 5 fertiggestellten Windrädern im ersten Quartal des Jahres momentan gleichauf mit Baden-Württemberg. Andere Flächenländer hätten im gleichen Zeitraum aber weitaus mehr Räder aufgestellt: Brandenburg 17, Rheinland-Pfalz 7 und Nordrhein-Westfalen 14. Die Spitzenreiter waren Schleswig-Holstein mit 29 und Niedersachsen mit 22 Anlagen. Bundesweit kamen in diesem Zeitraum 117 Anlagen mit einer Leistung von mehr als 546 Megawatt neu hinzu – ein Plus von insgesamt 17 Prozent laut Fachagentur.
Auch bei den Genehmigungen von Anlagen zeige sich ein deutliches Gefälle. Auf Thüringen entfiel bei den bundesweit erteilten 295 Genehmigungen im ersten Quartal nur ein Anteil von 2,1 Prozent, geht aus den Zahlen hervor. Schlechter als Thüringen schnitten nur Sachsen, das Saarland, die Stadtstaaten sowie Bayern und Baden-Württemberg ab. Nach Angaben des Bundesverbands Windenergie dauert es nach einer Genehmigung im günstigsten Fall im Durchschnitt 20 Monate, bis ein neues Windrad ans Netz geht. Es kann aber auch mehrere Jahre dauern.
Der Präsident des Bundesverbands Windenergie, Hermann Albers, kommentierte die Entwicklung: "Die Zunahme des Genehmigungsvolumens im Vergleich zum Vorjahr ist ein gutes Zeichen und stimmt positiv." Zugleich machte er aber auch deutlich, dass insbesondere Länder wie Bayern und Baden-Württemberg ein Problem haben: "Der de facto Ausfall der Südregion ist ein Offenbarungseid für alle Verantwortlichen in diesen Bundesländern. Es braucht hier dringend ein neues Bewusstsein zur Ermöglichung des Zubaus, sonst setzen die südlichen Bundesländer mutwillig ihre Wirtschaft aufs Spiel."
Bayern sieht Trendwende
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erklärte, es gebe auch im Freistaat großes Interesse an Windkraft. "Wir haben im letzten Jahr die 10-H-Regel geöffnet und seit dem Ukrainekrieg und der Energiekrise einen Nachfrageboom nach Hunderten neuen Windrädern, den wir vorher so nicht hatten", sagte er auf dpa-Anfrage. Windkraft sei gegenüber Erdgas in der Wirtschaft häufig nicht konkurrenzfähig gewesen. Die bayerischen Kommunen änderten allerdings gerade die Regionalpläne für die Windkraft. Dadurch werde auch im Freistaat viel dazugebaut. Zudem erklärte er, dass viele Regionen in Deutschland für die Nutzung der Windkraft rentabler seien als Bayern.
Die Zahlen zu Bayern finden sich teils auch in der Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage der SPD im Landtag wieder. "Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verstreichen lassen. Bis heute wurden unter der CSU-Freie-Wähler-Koalition nur 41 Windräder in Bayern gebaut. Das ist ein Desaster", sagte Fraktionschef Florian von Brunn. Im gleichen Zeitraum seien im deutlich kleineren Land Brandenburg 343 neue Windkraftanlagen errichtet worden. "Die Genehmigungsverfahren in Bayern müssen massiv beschleunigt und entbürokratisiert werden."
Die CSU wiederholte die Argumentation von Parteichef Markus Söder, Bayern sei bei den Erneuerbaren insgesamt eigentlich führend. "Bayern liegt in diesem Jahr – wie schon im letzten – beim Ausbau der Erneuerbaren bundesweit mit deutlichem Abstand auf Platz Eins, auch bei der Windkraft liegt Bayern dieses Jahr auf Platz fünf unter allen Ländern", sagte CSU-Generalsekretär Martin Huber. Es bedürfe eines Mixes an Erneuerbaren, um Grundlastfähigkeit herzustellen, nicht nur der Windkraft.
Auch in Sachen Geothermie geschlafen
Allerdings kam das Land auch beim Ausbau der Geothermie nicht voran. "Bei der Geothermie herrscht Stillstand, obwohl es allein in Südbayern ein enormes Potenzial für bezahlbare und saubere Wärme gibt. In der derzeitigen Amtsperiode der Söder-Regierung sind aber nur zwei neue Geothermie-Anlagen in Betrieb gegangen. Das ist viel zu wenig", sagte von Brunn der dpa in München. Ohne ein Engagement durch Kommunen "wäre sogar gar nichts passiert".
Wie die Grünen fordert auch die SPD deutlich mehr Geld für die Erschließung der klimafreundlichen Geothermie. "Wir brauchen im Freistaat einen Geothermie-Turbo statt immer nur Finger zeigen nach Berlin", sagte von Brunn. Die bisherigen Mittel dafür im Haushalt reichten nicht annähernd aus. "Wir brauchen mindestens 100 Millionen Euro an Förderung für dieses und nächstes Jahr. So sichern wir eine bezahlbare und klimafreundliche Wärmeversorgung", sagte von Brunn. Eine ähnliche Rechnung hatten vor einigen Wochen die Grünen vorgelegt und darauf verwiesen, dass pro Bohrung mit Kosten in Höhe von circa 15 Millionen Euro zu rechnen sei.
"Forscherinnen und Forscher der TU München haben erst im Dezember berechnet, dass bis zu 40 Prozent des gesamten bayerischen Wärmebedarfs allein durch tiefe Geothermie in Südbayern gedeckt werden könnten", sagte von Brunn. Hinzu kämen erhebliche Potenziale in Nordbayern, die bisher überhaupt noch nicht genutzt würden. "Wir brauchen Untersuchungen und Bohrungen, damit Geothermie-Daten für ganz Bayern für alle zur Verfügung stehen. Und das natürlich in digitaler Form. Warum das nicht längst passiert, ist mir schleierhaft. Außerdem müssen Geothermie-Vorrang-Gebiete wie beim Wind ausgewiesen werden."
Fehlende Flächen in Thüringen
Thüringens Energieminister Bernhard Stengele (Grüne) hatte als größtes Hemmnis beim Windkraftausbau das Fehlen von ausgewiesenen Flächen genannt. Im vergangenen Jahr war das Thüringer Verbot von Windkraftanlagen im Wald gekippt worden. Nun wird erwartet, dass auf Brachflächen ohne Bäume Standorte für Windräder entstehen, möglicherweise initiiert auch durch Waldbesitzer.
Das Thüringer Energieministerium arbeitet derzeit an einem Gesetz, mit dem Kommunen am Gewinn von Windkraftanlagen beteiligt werden sollen, wenn diese auf ihren Flächen stehen. Bei dem Windkraftbeteiligungsgesetz würden verschiedene Modelle diskutiert, etwa vergünstigte Stromtarife für die Bürgerinnen und Bürger oder Geld für kommunale Infrastruktur. Stengele erhofft sich davon auch mehr Akzeptanz, neue Standorte für Windräder zu erschließen.
Auch Geothermie für Thüringen
Nach Einschätzung des Energieministers bietet die oberflächennahe Geothermie weiteres Potenzial für die Wärmeversorgung in Thüringen. Derzeit gebe es etwa 30.000 solcher Anlagen im Freistaat. "Die Geothermie ist ebenso wie die Solarthermie, die bisher einen Anteil von etwa acht Prozent hat, eine Wärmequelle, der künftig eine größere Bedeutung zukommt. Beide bergen noch starke Ausbaupotenziale."
Der Bauindustrieverband sowie die Ingenieurkammer Thüringen hatten sich kürzlich als Reaktion auf gestiegene Energiepreise für eine stärkere Nutzung von Erdwärme ausgesprochen. Auch nach ihrer Einschätzung verfügt Thüringen über geeignete natürliche Potenziale, über qualifizierte Fachkräfte und die Technologien, um Geoenergie in größerem Umfang für die Wärmewende verfügbar zu machen. Beide Organisationen plädierten unter anderem für optimierte Genehmigungsprozesse und eine Planungsbeschleunigung für Geothermieprojekte.
(kbe)