Der Boom der optischen Netze

Hintergrund: Die Hersteller von optischen Netzen übertreffen sich mit immer neuen Rekorden; der Markt für Photonik als Internet-Infrastrukturtechnik boomt.

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Von
  • Jürgen Kuri

Hintergrund: Natürlich sind Datenraten von 3,3 Terabit pro Sekunde, wie sie Forscher von Lucent diese Woche demonstrierten, mehr oder weniger unter Laborbedingungen zu Stande gekommen. Bis solche Techniken Eingang in die alltägliche Praxis finden, bis die Internet-Backbones mit Datenraten von mehreren Terabit pro Sekunde über eine Glasfaser arbeiten, wird noch einige Zeit vergehen. In kaum einem Bereich der Computer- und Kommunikationstechnik geht die Entwicklung aber so rasant voran wie bei optischen Netzen, bei kaum einer anderen Technik verringert sich die Zeitspanne zwischen Laborexperiment und Praxistauglichkeit so schnell wie bei der Photonik.

Das große Thema bei optischen Netzen ist Wavelength Division Multiplexing (WDM). Damit ist die Übertragung unterschiedlicher Datenströme mittels einer einzigen Glasfaser möglich: Die Datenpakete gelangen über verschiedene Wellenlängen (Kanäle) auf einer Faser von Endpunkt zu Endpunkt (Details dieser Technik erläutert der Artikel Mehr Licht!, Photonische Netze: die Zukunft der Kommunikationsnetze in c't 1/99 auf S. 156). Die Entwicklung der optischen Netze auf WDM-Basis schreitet in drei Bereichen rasant voran: Bei der Datenrate, die über eine Wellenlänge übertragen werden kann; bei der Anzahl der Wellenlängen, die auf einer einzigen Glasfaser möglich sind; und bei der Verbindung zwischen zwei Strecken über optische Router.

Gebräuchlich sind bei modernen High-End-Geräten inzwischen 10 Gigabit/s über einen Wellenlängenkanal. Nortel, nach Lucent zweitgrößter Hersteller von Netzwerkequipment, demonstrierte aber bereits 80 Gigabit/s über eine Wellenlänge; die Vorführung einer 3,3-TBit/s-Verbindung von Lucent arbeitete mit 40 Gigabit/s pro Kanal. Alan Lytle, Chef von Nortel Dasa, der deutschen Vertretung von Nortel, hält sogar noch mehr für möglich: In einem Gespräch mit c't meinte er, in absehbarer Zeit dürften zumindest im Labor 160 Gigabit/s über eine Wellenlänge erreichbar sein. Kommerziell einsetzbare Geräte, die mit 40 oder 80 Gigabit/s über einen Kanal arbeiten, erwartet Lytle bereits für das nächste Jahr. Er stellte aber auch klar, dass hier die Physik enge Grenzen zieht: Nur Neuentwicklungen in der Laser-, LED- und Faser-Technik machten weitere Steigerungen der Datenraten möglich; aber in den Forschungslabors aller großen Hersteller sei man schon so weit, dass dies realisierbar erscheine.

Je mehr dieser Kanäle man auf eine Faser packen kann, desto höher wird natürlich auch die theoretisch erreichbare Datenrate über eine Verbindungsstrecke. Moderne Geräte schaffen beispielsweise 96 Kanäle über eine Faser. Und Nortel liefert inzwischen bereits mit dem 1600G ein WDM-System aus, das mit 160 Wellenlängenkanälen von jeweils 10 Gigabit/s auf einer Faser arbeitet. Alan Lytle hält in ferner Zukunft aber sogar mehrere Hundert, gar bis zu Tausend Wellenlängen für möglich. Dafür müssen allerdings die Kanäle in ihrer Frequenz sehr nah beieinander liegen – dadurch entstehen physikalische Probleme, die sich mit herkömmlicher Technik nicht beheben lassen.

Ob man nun Datenraten über eine Wellenlänge oder eine Faser betrachtet: Die erzielten oder prognostizierten Bandbreiten beziehen sich immer auf die Verbindung zwischen zwei Endpunkten, wobei die überbrückbare Distanz noch durch Verstärker erhöht wird. Der Geschwindigkeitsrausch endet momentan an den Vermittlungsstellen der Netze und Backbones: Bislang ist immer eine vergleichsweise langsame und kostenintensive Umsetzung zwischen optischer Übertragung und elektronischer Vermittlung notwendig, um die Daten weiterzuleiten. Dies ändert sich erst durch so genannte optische Cross-Connects: Sie verbinden Ein- und Ausgänge von Vermittlungsstellen, an denen optische Verbindungsstrecken angeschlossen sind, ebenfalls mit optischen Techniken. Alle Firmen arbeiten intensiv an entsprechenden Geräten – Lucent stellte bereits den Prototypen eines solchen optischen Routers vor, Lambda-Router genannt. Nortel kaufte vor wenigen Tagen Xros, einen Spezialisten für diese Geräte. Und Agilent, die von Hewlett-Packard ausgegliederte Abteilung für Netz- und Messtechnik, kündigte ebenfalls einen optischen Cross-Connect an.

Alle Ansätze arbeiten dabei mit Micro-Spiegeln, die zwischen den optischen Ein- und Ausgängen vermitteln. Zwar ist die Neu-Positionierung dieser Spiegel nicht besonders schnell (die Schaltzeiten liegen wohl im Bereich von wenigen Millisekunden) – der größte Anteil des Verkehrs in den zentralen Vermittlungsknoten ist aber Transitverkehr. Die Pfade für die Datenweiterleitung ändern sich dabei relativ selten. Dadurch ist eine Neuausrichtung der Micro-Spiegel in der Regel nicht allzu oft notwendig; die Datenweiterleitung zwischen einmal geschalteten Pfaden erfolgt aber ohne Umsetzung zwischen Optik und Elektronik mit derselben Datenrate, mit der auch die Verbindungsstrecken selbst arbeiten.

Besonders die beiden Großkopferten der Branche, Lucent und Nortel, versuchen, sich ständig mit neuen Erfolgsmeldungen zu übertrumpfen. Aber nicht nur bei der Technik. Selbst Mitteilungen über die Investitionssummen, die für die Entwicklung und Forschung notwendig sind, posaunen sie mit Stolz hinaus: Lucent investiert 30 Millionen US-Dollar in die optoelektronische Abteilung und erweitert den Bereich für Glasfaserkabel mit 650 Millionen US-Dollar; Nortel baut in zwei Schritten Forschung und Geräteentwicklung für optische Netze um 660 Millionen US-Dollar aus. Und Lucent will innerhalb der nächsten drei Jahre alleine eine Milliarde US-Dollar in die Forschung für diesen Bereich investieren.

Solche Summern verwundern nicht, wenn man sich den erwarteten Bedarf und die prognostizierten Umsatzzahlen ansieht. So ergaben Studien, dass sich zwar die Übertragungsgeschwindigkeit im Internet alle zwei Jahre verdoppelt, die Verzögerungen bei den Datentransfers haben sich aber um rund die Hälfte erhöht. Der Bandbreitenhunger im Internet erscheint unerschöpflich: Die Zahl der Internet-Hosts steigt jährlich um rund 46 Prozent, die Zahl der Internet-Nutzer wächst geradezu explosionsartig. Eine Untersuchung der Marktforscher von IDC ergab, dass im Jahr 2003 bei erwarteten Gesamtumsätzen der Internet-Ökonomie von 2,8 Billionen US-Dollar allein 1,5 Billionen US-Dollar auf Infrastruktur-Investitionen entfallen. Rund ein Drittel davon soll nach Meinung von Experten mit den optischen Netzen gemacht werden...

Ein riesiger Markt also, der zudem auf Grund ausgezeichneter Margen hohe Gewinne verspricht. So schätzt Nortel den eigenen Umsatz mit der Photonik für das Jahr 2000 auf 10 Milliarden US-Dollar – nachdem der Konzern für 1999 2 Milliarden US-Dollar erwartete, dann aber tatsächlich 4 Milliarden US-Dollar erzielte. Lucent kann, auch wenn der Marktführer auf Grund von Lieferschwierigkeiten im vierten Quartal 1999 eine geringere Umsatzsteigerung als erwartet in Kauf nehmen musste, regelmäßig zweistellige Umsatzzuwächse bei den optischen Netzen vermelden. Allein im dritten Quartal 1999 wuchs Lucents Umsatz mit der Photonik um 32 Prozent. Und der Börsenkurs von Agilent machte einen Sprung um 52 US-Dollar nach oben, nachdem die Firma ihren optischen Cross-Connect angekündigt hatte.

Entsprechend begehrliche Blicke richten sich auch auf Startup-Companies, die neue optische Techniken entwickeln oder zur Produktreife bringen: So ging der Spezialist Qtera an Nortel, Lucent dagegen kaufte Ortel ein. Der aus der Netzwerkabteilung von AT&T entstandende Konzern sah sich sogar zu einem etwas überraschenden Schritt veranlasst: Die Lucent-Bereiche für lokale Netze und Telefonie, lange nicht so profitabel wie das Optoelektronik-Geschäft, sollen zukünftig eine eigene Firma bilden.

Die beiden Marktführer sehen sich aber zunehmend neuer Konkurrenz ausgesetzt. Überflieger Cisco, der mit klassischen Routern das bisherige Geschäft der Internet-Infrastruktur fest im Griff hat, konnte bei der Photonik lange Zeit keinen Blumentopf gewinnen. Trotz der Versuche, dies mehr oder weniger elegant zu überspielen, schlug Cisco dann bei der Ersten sich bietenden Gelegenheit zu. Ciscos Vizechef Don Listwin äußerte im Herbst vergangenen Jahres noch lakonisch: "Wir brauchen WDM nicht." Seine Einschränkung, Cisco hätte aber gerne entsprechende Techniken, setzte das Unternehmen dann im Dezember in die Tat um: Die in der Öffentlichkeit wenig bekannte, aber sehr gut im Markt vertretene Abteilung für optische Netze des italienischen Mischkonzerns Pirelli fiel für 2,15 Milliarden US-Dollar an Cisco.

Ob Cisco aber durch diesen Zukauf den Rückstand zu Nortel und Lucent aufholen kann, bleibt abzuwarten. Die beiden Platzhirsche dürften die Bemühungen des Router-Spezialisten jedenfalls recht ernst nehmen. Darüber hinaus melden sich auch andere bekannte Namen zu Wort. Siemens gründete eine eigene US-Tochter für optische Netze, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Und selbst Prozessorbäcker Intel, der sich seit einiger Zeit mit Netzwerkprodukten und IT-Dienstleistungen von den Unwägbarkeiten des Geschäfts mit CPUs unabhängig machen will, steigt ein: Die Übernahme des dänischen Unternehmens GIGA verschafft Intel Know-how bei Design und Entwicklung von Chips für optische Techniken. (jk)