Digital Markets Act: Austausch zwischen WhatsApp, Signal & Co. rückt näher

Im EU-Parlament liegt ein Kompromiss zum Gesetz für digitale Märkte vor, das Gatekeepern strengere Regeln vorgeben soll. Microtargeting bleibt aber möglich.

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(Bild: Leonidas Santana/Shutterstock.com)

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Messenger-Dienste und andere Begleitprodukte sozialer Netzwerke wie News-Feeds sollen künftig interoperabel sein. Nutzer könnten dann Nachrichten etwa zwischen WhatsApp, Signal, Facebook Messenger und Threema austauschen sowie ihre Timelines auf Twitter auch mit Beiträgen aus Instagram und Facebook anreichern. Dies sehen heise online vorliegende Kompromissanträge im EU-Parlament zum Digital Markets Act (DMA) vor, die am Montag im federführenden Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) beschlossen werden sollen.

Mit der Annahme der Übereinkunft wird gerechnet, sodass die Verhandlungsposition der Abgeordneten zu dem Gesetz für digitale Märkte damit prinzipiell feststeht. Sie muss dann nur noch in einer Plenarsitzung bestätigt werden, was als Formsache gilt. Der IMCO hatte sich schon voriges Jahr für eine Interoperabilitätsklausel ausgesprochen, bevor die EU-Kommission ihr Gesetzespaket vorlegte. Regulierungsbehörden sollen demnach "systemrelevante Betreiber" von Online-Diensten von vornherein dazu verpflichten können, ihre Programmier-Schnittstellen zu öffnen.

Eine unkomplizierte Kommunikation über verschiedene Dienste hinweg gilt seit Langem als Steckenpferd von Ex-Bundesjustizministerin Katarina Barley, die mittlerweile für die SPD im EU-Parlament sitzt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hatte jüngst in einem Papier zu "modernen Messengern" das von der Internet Engineering Task Force (IETF) vorangetriebene MLS-Protokoll (Messaging Layer Security) ins Spiel gebracht. Dieses könnte demzufolge nach Abschluss des Standardisierungsverfahrens die gewünschte sichere Kommunikation zwischen unterschiedlichen Chat-Diensten ermöglichen. Das Bundeskartellamt veröffentlichte parallel ein "Stimmungsbild Interoperabilität".

Am schwierigsten war die Einigung laut der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im Streit über ein Verbot personalisierter Reklame. Im Parlament drängt eine fraktionsübergreifenden Koalition seit Längerem gegen Überwachung und Tracking durch Online-Anzeigen. "Spionierende Werbung" mit Profiling und Microtargeting soll demnach in allen Mitgliedsstaaten nicht mehr zugelassen werden.

In dem Kompromiss heißt es dem Bericht zufolge nun, dass die Nutzer – wie schon in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)vorgesehen – in eine zielgerichtete Kundenansprache vorab einwilligen müssen. In den Erwägungsgründen erläuterten die Volksvertreter zudem, dass die Daten Minderjähriger nicht für personalisierte Werbung genutzt werden dürfen. Dies müsse auch für besonders sensible Informationen etwa zu religiösen und politischen Einstellungen, ethnischer Herkunft, Gesundheit oder zur sexuellen Orientierung gelten, stellte die SPD-Verhandlungsführerin Evelyne Gebhardt vorab bereits klar.

Mit dem DMA soll für große Plattformen mit essenziellen Diensten generell eine Liste an Wettbewerbsauflagen gelten, gegen die sie von vornherein nicht verstoßen dürfen. Mit einem neuen Wettbewerbsinstrument sollen dominante "Gatekeeper" im Netz davon abgehalten werden, "unfaire Praktiken" auszuüben. Andernfalls hätten sie es sofort mit den Kartellwächtern zu tun. Konzerne mit monopolartiger Macht wie Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft und Airbnb stehen dabei im Vordergrund.

Die Kommission will dabei Konzerne erfasst wissen, die eine Marktkapitalisierung von über 65 Milliarden Euro haben. Dem parlamentarischen Berichterstatter, Andreas Schwab (CDU), ging das zu weit. Er plädierte dafür, die Vorgaben nur auf die vier oder fünf großen Plattformbetreiber aus den USA auszurichten. Die IMCO-Übereinkunft legt die Schwelle nun bei einer Marktkapitalisierung von über 80 Milliarden Euro und einem leicht erhöhten Jahresumsatz von 8 Milliarden Euro fest. Damit dürften auch europäische Unternehmen wie Booking.com aus den Niederlanden darunter fallen.

Grundsätzlich sollen laut den Anträgen unter die weniger weitgehenden DMA-Vorgaben neben Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und Marktplätzen auch Sprachassistenten wie Alexa und Siri, Browser sowie internetfähige Fernseher fallen. Diese Linie verfolgt auch der EU-Rat. Zudem soll die Kommission "Killer-Übernahmen" untersagen können. Dabei geht es um den Aufkauf von Konkurrenten, um deren Technologie aus dem Wettbewerb zu nehmen. Die Kontrolle der Auflagen soll der Brüsseler Regierungsinstitution vorbehalten bleiben. Die nationalen Behörden dürften – anders als von Deutschland gefordert – nur zuarbeiten.

Maßnahmen gegen "systemische" Verstöße, die bis zur Zerschlagung von Plattformen reichen können, sollen den Abgeordneten zufolge nach zwei Verstößen infrage kommen. Auch andere Sanktionsbestimmungen fielen schärfer aus: Das Mindestbußgeld werde auf vier Prozent des Jahresumsatzes festgesetzt und könne dann bis zu 20 Prozent davon betragen.

Der Kompromiss erhöht demnach auch die Auflagen für das Zusammenführen verschiedener Dienste ("Bundling"). Das Verbot, eigene Dienste zu bevorzugen, soll auf alle eingeschlossenen Services ausgedehnt werden, nicht nur auf solche, die Rankings erstellen. Nutzer erhalten nach dem Willen der Volksvertreter das Recht, Apps zu deinstallieren, Standardeinstellungen zu ändern sowie die von ihnen erzeugten Daten auf eine andere Plattform zu übertragen.

Sobald das Parlament seinen Kurs offiziell abgesteckt hat, können die Verhandlungen mit den EU-Staaten starten. Diese wollen ihre Position zum DMA und zum parallelen Digital Services Act (DSA) Mitte nächster Woche beschließen. Beim DSA hat sich der IMCO etwas länger Zeit genommen, um Ergebnisse einer Anhörung der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen einbeziehen zu können.

(mho)