Drei Fragen und Antworten zu OpenELA: So funktionieren die freien RHEL-Derivate

Lange war fraglich, ob es weiter freie RHEL-Klone geben würde – doch nun zeigt die OpenELA, dass es geht. Wie genau, erklärt Wim Coekaerts im Interview.

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(Bild: iX)

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Spätestens mit der Freigabe der Pakete für ihr Enterprise Linux zeigt die OpenELA, dass sie es mit den RHEL-Derivaten ernst meint. Denn nicht jede Open-Source-Kontroverse – und sei sie noch so laut wie bei Red Hats Entscheidung, den RHEL-Quellcode nicht mehr wie zuvor öffentlich über das CentOS-Git bereitstellen zu wollen – zieht solche konkreten Schritte nach sich. Das könnte auch daran liegen, dass bei OpenELA mehrere Schwergewichte beteiligt sind, darunter Oracle. Wir haben mit Wim Coekaerts, Head of Oracle Linux Development, über den aktuellen Stand und die Zukunft der freien RHEL-Derivate gesprochen.

Mit CentOS Stream stehen zwar die Upstream-Quellen für RHEL frei zur Verfügung, aber OpenELA verspricht explizit Downstream-Kompatibilität. Wie lässt sich das mit Red Hats Lizenzvereinbarungen vereinbaren, die eine solche Weiterverwendung nicht vorsieht?

Coekaerts: Zunächst einmal sind die Upstream-Quellen für RHEL in keinster Weise frei verfügbar – Fixes und andere Updates aus CentOS Stream zu extrahieren und sie in eine Distribution zu integrieren, setzt ein Extrahieren und Zusammenfügen unterschiedlicher Teile des Source-Codes voraus. Die Tatsache, dass jemand sich an einem Backport von Teilen des Source-Codes in eine Distribution versuchen kann, ist nicht dasselbe, als wenn die RHEL-Quellen tatsächlich öffentlich verfügbar wären und von jedermann heruntergeladen und kompiliert werden könnten. Das geht schlicht nicht.

Dennoch: Unsere Kunden und die Community verlangen eine Anwendungskompatibilität zwischen Linux-Betriebssystemen und zwischen Releases einzelner Distributionen. Um das zu erreichen, müssen Anwendungen definierte und festgelegte Core-User-Space-Libraries voraussetzen können. Diese Kompatibilitätsschicht ist unseren Kunden am wichtigsten.

Anwendungskompatibilität lässt sich auch erreichen, wenn Red Hat die Quellen nicht frei zur Verfügung stellt. Wenn Red Hat eine Inkompatibilität mit anderen Distributionen erreichen will, würden sie auch die Kompatibilität mit den eigenen Releases brechen. Anders ausgedrückt: Wenn sich Red Hat verpflichtet, die Kompatibilität in den User-Space-Library-Schnittstellen zu erhalten, können andere Distributionen dasselbe tun.

Red Hat Enterprise Linux baut zwar auf CentOS Stream auf, ist jedoch nicht ein bloßer Klon. Insbesondere das Testen und Bewerten von Bugs und Fixes ist ein Knackpunkt. Testet OpenELA diese selbst – und kann dennoch zu 100 Prozent die Kompatibilität garantieren?

Coekaerts: Red Hat ist nicht der einzige Anbieter, der etwas vom Testing versteht. Der Grund, warum Oracle 2006 ursprünglich ins Betriebssystem-Business eingestiegen ist, war, dass Red Hat nicht rechtzeitig auf Bugs reagierte, was sich auf Oracle-Produkte auswirkte. Wir haben nur zögerlich den Linux-OS-Support für uns selbst und unsere Kunden übernommen, um sicherzustellen, dass kritische Anwendungen funktionieren. In dieser Situation ist das Testen von Software natürlich extrem wichtig und etwas, in dem Oracle (und die anderen OpenELA-Mitglieder) hervorragend sind. Wir fanden schnell heraus, dass unsere Kunden die hohe Qualität unserer Software und unseres Supports für ihre anspruchsvollsten Workloads bevorzugten – und wir haben damit weitergemacht, dieses Business in den letzten 17 Jahren auszubauen.

Natürlich ist es auch wichtig, dass es beim Testing um eine Methode auf Distributionsebene geht. OpenELA stellt ein Quell-Repository bereit und die Anbieter, die eine Distribution aus dieser Quelle bauen, müssen sicherstellen, dass sie die Kapazitäten fürs Bereitstellen der notwendigen Test-Suites haben. Das ist nicht etwas, um das sich OpenELA kümmern wird.

Noch sind die Auswirkungen durch Red Hats Entscheidung gering – doch könnte sich das mit einer zunehmenden Beliebtheit von RHEL 9 und seinen Nachfolgern einerseits sowie den OpenELA-Distributionen andererseits schnell ändern. Sehen Sie die beiden auch in Zukunft als ein "Ökosystem" oder erleben wir die Geburt eines dem alten RHEL entstammenden Enterprise Linux?

Coekaerts: In den vergangenen Jahren hat Red Hat einige Entscheidungen getroffen, die es proprietärer machen – darunter die jüngste Entscheidung, den Zugang zum Source-Code ihrer Distribution einzuschränken und die Weiterverteilung durch die Empfänger zu verhindern, wodurch es nicht mehr in irgendeiner Weise als Open Source anzusehen ist. Wir glauben, dass es für die Linux-Quellen, insbesondere die Enterprise-Linux-Quellen, wichtig ist, dass sie offen und frei verfügbar sind, damit wir alle ein gesundes Ökosystem aus Distributionen, Anwendungen und Plattformen haben. Der Markt wird entscheiden, welcher Ansatz zum Anbieten eines Enterprise Linux am besten funktionieren.

Mit dem Release von RHEL 9.3 vergangene Woche hat Red Hat bereits die grundlegenden Voraussetzungen und Erwartungen für den Lifecycle von RHEL 9 definiert. Deshalb sehen wir hier kein großes Risiko, wenn überhaupt eines, für die nächsten Jahre.

Herr Coekaerts, vielen Dank für das Interview! Mehr Informationen zum Start des freien Enterprise Linux und zur ursprünglichen Entscheidung finden sich hier. Red Hat selbst konterte anfangs zögerlich, besteht jedoch darauf, dass RHEL weiter Open Source ist.

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(fo)