EU-Satellitennavigation: Dauerhafter Zuschussbetrieb statt Goldesel

Zwar ging auch die Bundesregierung schon davon aus, dass die veranschlagten Gelder für das europäische Satelliten-Navigationssystem Galileo nicht reichen werden, doch jetzt platzte die Bombe. Die erwarteten Mehrkosten von bis zu 1,7 Milliarden Euro beim Galileo-Aufbau sind dabei nur das geringere Übel.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Entstanden war die Idee eines eigenen europäischen Satelliten-Navigationssystems zu einer Zeit, als die USA mit ihrem Global Positioning System (GPS) ein Monopol bei der weltweiten Bereitstellung von Signalen für Positionsberechnungen hatte. Mit der Abschaltung der sogenannten Selective Availability (SA) im Jahr 2000 und der damit verbundenen Verbesserung der Ortungsgenauigkeit auf unter 10 Meter entwickelte sich rasch ein Massenmarkt für GPS-Anwendungen, in den Milliarden Dollar und später auch Euro flossen: Autohersteller bauten Navigationsgeräte ab Werk in ihre Fahrzeuge ein, später kamen die ersten PDA-Lösungen mit GPS-Maus und Zielführungssoftware auf den Markt, gefolgt von der GPS-Integration in leistungsfähige Handys. Jahr für Jahr vermeldete die Navigationsbranche deutliche Umsatzzuwächse.

Unabhängigkeit von den Amerikanern, ein prosperierendes Wirtschaftsumfeld, neue Möglichkeiten bei der Verkehrssteuerung und der Telematik, 100.000 neue Arbeitsplätze – all das lag in der Waagschale, als im Jahr 2003 der Aufbau des europäischen Satelliten-Navigationssystems Galileo auf EU-Ebene festgezurrt wurde. Die ersten drei Galileo-Satelliten würden bis 2006 in Betrieb gehen, voll funktionsfähig werde das Netz aus insgesamt 30 Satelliten im Jahr 2008 sein, hieß es damals. Doch schon kurze Zeit später trafen die ersten Hiobsbotschaften zu Finanzierungslücken und Verzögerungen in Brüssel ein. Ende 2007 dann der GAU: Die EU-Kommission entzog dem privaten Galileo-Konsortium ESN Industries den Auftrag zur Durchführung der Test- und Entwicklungsphase, ein neuer Ausschreibungsprozess musste eingeleitet werden.

Wer allerdings gedacht hatte, mit der Neuregelung des Galileo-Aufbaus unter den Fittichen der EU-Kommission und klaren finanziellen Vorgaben würde alles anders, sah sich schnell getäuscht: Nur wenige Wochen nach Vergabe der ersten neuen Galileo-Aufträge in den Bereichen "systemtechnische Unterstützung", "Weltraumsegment/Satelliten" und "Startdienstleistungen" erklärte etwa die Bundesregierung, dass man davon ausgehe, dass die veranschlagten Gelder "nicht langen werden". Für die Galileo-Entwicklungsphase waren von der EU-Kommission 1,8 Milliarden Euro veranschlagt worden, die über den EU-Haushalt und von den Mitgliedsstaaten der ESA (European Space Agency) aufgebracht werden, für die Aufbauphase weitere 3,4 Milliarden Euro, die ausschließlich über den EU-Haushalt finanziert werden.

Nachdem die Bundesregierung zunächst nicht konkretisiert hatte, wie hoch der zu erwartende finanzielle Mehrbedarf beim Galileo-Projekt ist, platzte jetzt die Bombe: In einem heise online vorliegenden Bericht des Bundesfinanzministeriums zum "aktuellen Sachstand bei Galileo" heißt es, die EU-Kommission gehe von "zusätzlichen Kosten von 1,5 bis 1,7 Milliarden Euro" allein in der Aufbauphase aus. Begründet wird dies unter anderem mit "erheblichen Preissteigerungen" bei den Startraketen, die die Satelliten ins All befördern. Ein Vertrag über den Transport von zehn Galileo-Satelliten ins All, der bereits mit Arianespace (Frankreich) geschlossen wurde, hat ein Volumen von 397 Millionen Euro. Geplant ist dabei nicht der Einsatz von Ariane-Trägerraketen, sondern von russischen Sojus-Raketen.

Viel schwerwiegender als diese Zusatzkosten ist aber, dass die EU-Kommission laut Bericht offenbar davon ausgeht, auch auf den laufenden Kosten von Galileo sitzen zu bleiben. Hieß es früher, Einnahmen würden geteilt, sollten private oder öffentlich-private Partnerschaften für einen Galileo-Betrieb in Frage kommen, steht jetzt "ein durchschnittlicher jährlicher Mittelbedarf aus dem EU-Haushalt in Höhe von 750 Millionen Euro für den Betrieb" im Raum, wobei "Einnahmen von etwa 100 Millionen Euro" bereits berücksichtigt wurden. Vom Milliardengeschäft Satellitennavigation ist also keine Rede mehr, im Gegenteil: "Die Einnahmemöglichkeiten werden deutlich niedriger eingeschätzt als ursprünglich erwartet, weil eine kommerzielle Verwertung der Galileo-Dienste angesichts eines sich erst noch entwickelnden Marktes und der kostenlos verfügbaren Dienstleistungen der anderen Satellitennavigationssysteme schwierig ist", heißt es in dem Bericht.

Nicht nur für den SPD-Politiker Klaus Hageman, Vorsitzender des EU-Unterausschusses im Haushaltsausschuss des Bundestages ist es "ein Hammer, dass erst jetzt – nachdem die ersten Teilaufträge für die Satelliten vergeben sind – ans Tageslicht kommt, dass Galileo kein Goldesel, sondern ein dauerhafter Zuschussbetrieb werden wird". Es müsse nun "schnell viel Gehirnschmalz" darauf verwendet werden, kommerzielle Dienste für das europäische Navigationssystem zu entwickeln, verdeutlicht Hageman. Zurückführen lasse sich der öffentliche Finanzierungsanteil an den Betriebskosten von Galileo, das laut aktuellen Einschätzungen der EU-Kommission jetzt erst im Jahr 2018 voll ausgebaut sein wird, auf Dauer wohl nur "mit zusätzlichen Forschungskapazitäten". (pmz)