Edit Policy: Trump, Twitter, Faktenchecks und die Meinungsfreiheit

Seite 2: Gegen die Geschäftsbedingungen

Inhaltsverzeichnis

Sowohl Versuche, Wahlen durch Falschinformationen zu manipulieren, als auch Aufrufe zu Gewalt, verstoßen eindeutig gegen Twitters Geschäftsbedingungen. Normalerweise hätte der Dienst Trumps Tweets also löschen müssen, stattdessen hat Twitter das mildere Mittel von Faktenchecks und Warnhinweisen gewählt. Zur Sperrung von Urheberrechtsverletzungen nach dem amerikanischen Notice-and-Takedown-System ist Twitter außerdem gesetzlich verpflichtet – was Trump aber nicht daran hindert öffentlich zu behaupten, mit der Sperrung unterstütze Twitter den Wahlkampf der Demokraten.

Die Journalistin Zeynek Tufekci vergleicht diese Strategie mit der der Klimawandel-Leugner*innen. Medien, die objektiv über den Klimawandel berichten, werden so lange als einseitig attackiert, bis sie in einem falsch verstandenen Verständnis von Ausgewogenheit „beiden Seiten der Debatte“ in der Berichterstattung gleich viel Raum geben, obwohl die Gefahr durch den menschengemachten Klimawandel in der Wissenschaft Konsens ist. Es geht Trump also nicht um faire Behandlung, sondern darum, seine Privilegien zu verteidigen, die ihm eine Wiederwahl ins Weiße Haus sichern könnten. Dafür ist er insbesondere auf die personalisierte Werbung auf Twitters größerem Konkurrenten Facebook angewiesen, die die Trump-Kampagne bereits 2016 gezielt zur Desinformation genutzt hat.

Dass Trump seine Drohung, Plattformen unmittelbar für die Handlungen ihrer Nutzer*innen haftbar zu machen, ausgerechnet mit der Verteidigung der Meinungsfreiheit begründet, ist an Hohn kaum zu überbieten. Genau diese Haftungsbegrenzung ist es, die Plattformen überhaupt die Rechtssicherheit gibt, einen offenen Diskurs stattfinden zu lassen. Wenn Plattformen unmittelbar für alle Aussagen verantwortlich wären, die auf ihren Diensten gepostet werden, bliebe ihnen gar nichts anderes übrig, als in vorauseilendem Gehorsam alle Inhalte beim Upload zu überprüfen und alles zu sperren, was auch nur im Entferntesten gegen Gesetze verstoßen könnte.

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Dass solche automatisierte Rechtsdurchsetzung immer wieder zur Sperrung völlig legitimer Inhalte führt, und dass davon insbesondere gesellschaftlich weniger privilegierte Personen betroffen sind, haben die Debatten rund um die EU-Urheberrechtsreform und die geplante Terrorverordnung bereits verdeutlicht. Der Meinungsfreiheit könnte man kaum einen größeren Bärendienst erweisen, als Plattformen einer unmittelbaren Haftung auszusetzen.

Die Meinungsfreiheit dient insbesondere dazu, die Kritik der Schwächeren an Machthabenden wie Trump zuzulassen. Bei aller berechtigten Kritik an sozialen Netzwerken sind sie auch die Orte, an denen sich der Protest gegen Trumps Politik formiert, wo Demonstrierende die immer ausuferndere Polizeigewalt dokumentieren, wo die Black Lives Matter-Bewegung eine internationale Bühne bekommen hat, die derzeit Hunderttausende Demonstrierende auf die Straßen bringt.

Trump geht es nicht darum, die Meinungsfreiheit auf diesen Plattformen zu schützen, sondern ihre Unternehmensführung einzuschüchtern, damit die Plattformen freiwillig weiter als sein Megaphon agieren. Obwohl Trump gar nicht die Kompetenz hat, die Haftung der Plattformen auszuweiten, scheint seine Rechnung zumindest bei Facebook-Chef Zuckerberg aufzugehen. Im Gegensatz zu Twitter hält Facebook bislang trotz aller Kritik an der Verbreitung personalisierter politischer Werbung fest.

Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass Facebook-Chef Mark Zuckerberg sich unmittelbar nach Veröffentlichung des präsidentiellen Dekrets zu einem Interview auf dem konservativen Sender Fox News hinreißen ließ, in dem er beteuerte, Trump auf der Plattform weiterhin frei schalten und walten zu lassen. An dieser Haltung werden vermutlich auch die immer lauter werdenden Proteste seitens Facebook-Mitarbeiter*innen nichts ändern.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0

(kbe)