Ein Scherbenhaufen für Schröder im Sommer-Theater

Das Sommer-Theater entwickelt sich zum Reinfall für den Bundeskanzler -- aber möglicherweise auch für die Opposition. Die Investoren sind auch nicht gerade begeistert über den Wahlkampf mit der Telekom.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Eva Tasche
  • Kristina Dunz
  • Tim Braune
  • dpa

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) geht es zwar nicht so richtig etwas an, aber immerhin sagt er seine Meinung. Und das war am Montag in Berlin die Ausnahme. Denn ansonsten wiegelte die Regierung jede Äußerung zum Thema Deutsche Telekom und der beruflichen Zukunft ihres Chefs Ron Sommer ab. Er halte nichts davon, gab Fischer zu, dass sich die Politik heraushalten müsse. Schließlich sei der Bund als größter Einzelaktionär in ganz besonderer Verantwortung. Die Entscheidung müssten aber die Gremien treffen. Mit den Worten, er wolle das nicht noch "politisch befeuern", verstummte dann auch er.

Ob Sommer "gefeuert" werden solle, und wie der Vertreter der Bundesregierung bei der entscheidenden Aufsichtsratssitzung an diesem Dienstag abstimmen werde, blieb Regierungsgeheimnis. Selten zuvor stocherten Journalisten so lange im Nebel. Unzählige Namen fielen. Das Finanzministerium betonte, keiner von ihnen sei von irgendeiner Seite bestätigt worden. Selbst die schlichte Tatsache, dass überhaupt ein Nachfolger gesucht würde, mag niemand offiziell zugeben. Dabei hatten die Gerüchte um eine Neubesetzung des Chefsessels bei dem einstigen Staatsunternehmen schon vor einer Woche ein solches Ausmaß erreicht, dass sich kaum einer vorstellen konnte, Ron Sommer würde sie unbeschadet überstehen. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass er in die Schlagzeilen geriet. Schon seit eineinhalb Jahren hieß es immer mal wieder, die Politik wolle ihn loswerden.

So halbherzig wie jetzt waren die Dementis aber noch nie. Nun soll der letzte Akt im Theater um Sommer beginnen. Nach der Aufsichtsratssitzung fällt der Vorhang. Was zurückbleiben wird, ist absehbar: ein Scherbenhaufen. Wer auch immer Regie führte in dem politischen und wirtschaftlichen Trauerspiel -- große Gewinner wird es wohl kaum geben. Möglicherweise endet das Sommer-Theater auch zumindest für die Telekom wie das Hornberger Schießen: Der Telekom-Chef und sein möglicher Nachfolger Gerd Tenzer berieten am Montagnachmittag nach dpa-Informationen in einer Vorstandssitzung über die aktuelle Krise. Der Vorstand tage in der Bonner Konzernzentrale und stimme das weitere Vorgehen ab.

Für Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gilt das nach Medienberichten bislang wahrscheinlichste Ergebnis als Niederlage: Der einstige Manager-Star Sommer hat vermutlich seinen Job verloren, sein möglicher Nachfolger Telekom-Technik-Vorstand Gerd Tenzer gilt jetzt schon als Übergangskandidat. Dem Unternehmen hat der Rummel schwer geschadet. Die Aktionäre der Telekom leiden ohnehin am Niedergang der Volksaktie.

Genau dies soll Schröder auf den Plan gerufen haben. Denn auch Aktionäre sind Wähler. Die Opposition warf ihm deswegen postwendend vor, er mische sich ein, bringe bei der Telekom alles durcheinander und versage dann beim Krisenmanagement. Zugleich kritisierte sie allerdings wiederholt, die Bundesregierung sehe tatenlos zu, wie Aktienvermögen vernichtet werde -- und das in einem Unternehmen, das noch zu 43 Prozent in Staatshand ist. Schon viel früher erschallten aus Union und FDP Rufe nach Sommers Ablösung. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering warf der Union daher auch "Heuchelei" vor.

Ein Fehler aber -- so meinen Beobachter -- sei es gewesen, die Auseinandersetzung um den Vorstandssessel begonnen zu haben, ohne einen Nachfolger für den Telekom-Chef in der Hinterhand zu haben. Alle, die unter den Wirtschaftsbossen Rang und Namen haben, sollen gefragt worden seien. Alle hätten abgewunken. Sommer will sich Berichten zufolge zudem gegen seine Ablösung wehren. Während der Pressekonferenz von Fischer bimmelte unermüdlich ein Handy bis der Minister merkte, dass es sein eigenes ist. Um neuen Spekulationen vorzubeugen, stellte er klar: Das war nicht Ron Sommer.

Dramatisches Finale

Die internationalen Anleger jedenfalls haben auf das Hickhack um Telekom-Chef Ron Sommer unmissverständlich reagiert: T-Aktien verkaufen! Der als Sommer-Nachfolger gehandelte Telekom-Technikvorstand Gerd Tenzer elektrisierte am Montag die Aktienmärkte offensichtlich nicht. Für die 2,8 Millionen Kleinaktionäre waren die Kursgewinne der vergangenen Woche im Nu wieder weg. Verunsicherung herrscht, zumal für Vertraute mit der quälenden Personalie noch lange nicht entschieden ist, ob der Aufsichtsrat an diesem Dienstag reinen Tisch macht.

Im Finale des Machtkampfs an der Spitze von Europas größtem Telekomkonzern sitzt Ron Sommer dem 20-köpfigen Aufsichtsrat gegenüber, wohl kämpferisch gestimmt, sich keiner Schuld bewusst und darauf wartend, welcher Vergehen er sich schuldig gemacht haben soll. Unklar blieb weiter, ob Tenzer tatsächlich das Rennen machen kann. Als sein Name das erste Mal fiel, lauteten prompt die Urteile: Kompromisskandidat, Not- oder Übergangslösung. Doch der 59-jährige Tenzer war offensichtlich der einzige, der im zerstrittenen Präsidium des Aufsichtsrats konsensfähig war.

Die 20 Mitglieder des Aufsichtsrats stehen mächtig unter Druck. Über das berufliche Schicksal Sommers wurde seit Tagen beraten, wie es sich für die Telekom gehört -- am Telefon. In nächtlichen Schaltkonferenzen soll die Gewerkschaftsseite die interne Tenzer-Lösung durchgedrückt haben. Ein Aufsichtsrat sagte, er mache inzwischen kaum etwas anderes als unzählige Geheimgespräche zu führen.

Doch nun sickerte durch, dass einige der Aufsichtsratsmitglieder immer stärkere Zweifel plagten, warum Sommer überhaupt ausgetauscht werden müsse. Tenzer müsste im ersten Wahlgang eine Zweidrittel-Mehrheit bekommen. Es sei nicht auszuschließen, dass sich der Technik-Experte, der die Spekulationen bislang nicht kommentiert hat, in letzter Sekunde zurückzieht: Belastet mit dem Image des "Königsmörders" wäre sein Start konzernintern stark umstritten, heißt es im Unternehmen. Am vergangenen Donnerstag hatte sich der Vorstand noch komplett hinter Sommer gestellt.

Die Financial Times Deutschland berichtet unter Berufung auf Vorstandskreise, Sommer könnte zunächst noch Telekom-Chef bleiben und nach einer Schamfrist in den Aufsichtsrat wechseln. In der Zwischenzeit könne ein geeigneter Nachfolger gesucht werden. Gegen diese Variante spricht, dass ein Verbleib Sommers an der Spitze von Europas größtem Telekom-Unternehmen mitten im Wahlkampf als Blamage für die Bundesregierung gelten könnte. Der Bund, der mit 43 Prozent an der Telekom beteiligt ist, habe in der vergangenen Woche heftig das Kandidatenkarussell gedreht, berichtete ein Aufsichtsrat. Doch über ein Dutzend Top-Manager winkte ab.

Sollte Sommer letztlich gestürzt werden, könnte ihm der Abgang mit einer millionenschweren Abfindung versüßt werden. "Entweder bekommt er solange sein Geld, wie sein Vertrag läuft. Oder der ganze Vertrag wird als Einmalabfindung ausbezahlt", sagte der Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Jörg Pluta. Branchenkenner schätzen Sommers Jahressalär auf etwa 2,5 Millionen Euro. Bei einer Vertragslaufzeit bis 2005 kämen über acht Millionen Euro zusammen. "Wenn er einen guten Anwalt hat, wird er vielleicht noch ein Trostpflaster rausholen können. Aktienrechtlich kann man ihm ja nichts vorwerfen", so Pluta. (Eva Tasche, Kristina Dunz, Tim Braune, dpa) / (jk)