Entwicklungsvorständin bei Stihl: Motorsägen statt Mercedes

Anke Kleinschmit ist eine erfolgreiche Managerin bei Daimler. Dann kam ein Angebot von Stihl. Eine Geschichte über eine schwere Entscheidung.

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Anke Kleinschmit, Entwicklungsvorständin bei Stihl.

(Bild: Stihl)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Als Anke Kleinschmit die wichtigste Entscheidung in ihrem Berufsleben treffen sollte, war die Welt bei ihrem Arbeitgeber noch in Ordnung. Damals, zum Jahresbeginn 2019, war Corona allein eine mexikanische Biersorte und Daimler verkündete erneut Rekordwerte bei Absatz und Umsatz. Der Stern strahlte hell über Stuttgart.

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Anke Kleinschmit war für die Digitalisierung der Autoproduktion zuständig. Eine Schlüsselfunktion für die Zukunft des Automobilbauers und eine für die weitere Karriere der Ingenieurin. Kleinschmit hat Feinwerktechnik studiert, heute heißt das Fach Mechatronik. Im Anschluss stieg sie bei Daimler 1992 als Berechnungsingenieurin ein, wechselte in die Entwicklung und war in ihrer vorletzten Station Direktorin in der Konzernforschung. In knapp 30 Jahren hatte sie es weit gebracht und ein Ende ihres Aufstiegs war nicht abzusehen.

Sie war erfolgreich, ihr Arbeitgeber war erfolgreich – in diese Zeit platze ein Headhunter mit einem Jobangebot. Er war nicht der erste in den letzten Jahren, schon andere hatten versucht, sie abzuwerben. "Bislang hatte ich mich aber nie auf ein Gespräch eingelassen", sagt Kleinschmit. Diesmal schon.

Die Kleinschmits stammen aus Niedersachsen. Der Opa leitete im Norden Deutschlands eine forstwirtschaftliche Versuchsanstalt, der Vater studierte in Braunschweig Maschinenbau und ging dann zu Daimler in den Süden nach Stuttgart. "Als ich im erzählte, dass ich kündigen werde, hat er schon geschluckt", sagt Anke Kleinschmit. Doch als sie ihm erzählte, wo sie anfängt, dauerte es nicht allzu lange, bis der Vater hinter der Entscheidung der Tochter stand.

"Als naturliebender Mensch hat er mehrere Geräte von Stihl in der Garage und als Ingenieur weiß er, dass die gut sind", sagt Anke Kleinschmit. Sie ist seit Mitte 2019 Entwicklungsvorständin bei Stihl in Waiblingen, einem Vorort der schwäbischen Hauptstadt.

In deutschen Chefetagen sind Frauen selten vertreten, weibliche Vorstände für die Entwicklung sind noch seltener. "Diese Geschlechterdiskussion war und ist mir nicht wichtig", sagt Kleinschmit. Sie hat in drei Jahrzehnten ihrer Berufstätigkeit die Erfahrung gemacht, dass man mit dem einen besser, mit dem anderen schlechter zusammenarbeitet, was aber nichts mit dem Geschlecht, sondern mit dem Menschen zu tun.

Eine gesetzlich festgelegte Quote soll nun dafür sorgen, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen. In den Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen soll künftig mindestens eine Frau sitzen, wenn dieser Vorstand mehr als drei Mitglieder hat. So steht es in dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung Anfang des Jahres beschlossen hat. "Mir hat mein Lebensweg gezeigt, dass man als Frau auch ohne Quote erfolgreich sein kann", sagt Anke Kleinschmit. Sie ist keine Freundin der Frauenquote, weil sie nicht natürlich Positionen besetzt. "Ich bin bei Stihl Vorstandsmitglied geworden, weil es gepasst hat." Das motiviert viel mehr als eine Quote.

Kleinschmit brennt für ihre Arbeit. "Ich bin aus voller Überzeugung Entwicklerin und ich wollte auch nichts anderes machen, weil ich in der Entwicklung am meisten gestalten kann." Das treibt sie an und am liebsten arbeitet sie mit Ingenieuren zusammen, "was wohl daran liegt, dass wir uns fachlich verstehen". In der Entwicklung geht es vorwärts, das mag Kleinschmit, Retroperspektive weniger.

Sie habe einen Sohn, erzählt die 53-jährige. Auch, dass sie sich gerne an der frischen Luft bewegt und schwimmt. Aber nicht im Hallenbad, sondern nur im Freien und das alles möglichst unkompliziert. Mehr soll nicht über ihr Privatleben geschrieben werden. Anke Kleinschmit kommuniziert klar. Floskeln und Phrasen gibt es in ihrem Wortschatz nicht. Sie hört zu und antwortet präzise, so wie Ingenieure eben sind: Argumente zählen, nicht Phantasien.

Das Gespräch findet in einer Videokonferenz statt. Vor Kleinschmit liegen einige Blätter Papier mit Notizen auf die vorher schriftlich eingereichten Fragen. Gegenüber sitzt der Pressechef von Stihl. Einige Male schaut sie ihn an, bevor sie antwortet, um seine Mimik zu deuten und so seinen fachlichen Rat einzuholen. Kleinschmit ist eine Teamplayerin. Sie ist ehrlich und geradeheraus; was sie erzählt, klingt schlüssig. Nichts ist hingebogen für eine positive Berichterstattung.

Die Entscheidung für Stihl sei eine mit Vernunft und Gefühl gewesen. "Einfach war das nicht, dieser Prozess hat ein halbes Jahr gedauert", sagt Kleinschmit. In der Zeit hat sie nach Analogien zwischen Daimler und Stihl gesucht und gefunden. In beiden Firmen kommt nach einem ähnlichen Produktentstehungsprozess ein technisches Gerät heraus. Die Komplexität unterscheidet sich beim Automobil im Produkt, bei Stihl in der Vielfalt der Produkte. Stihl ist zwar seit 50 Jahren ununterbrochen Weltmarktführer bei Motorsägen, hat aber im Laufe der Zeit sein Produktportfolio um eine Vielzahl an weiteren motorbetriebenen Geräten für Garten- und Landschaftspflege sowie die Bauwirtschaft erweitert.

Der wesentliche Unterschied zwischen ihrem früheren und heutigen Arbeitgeber ist deren Kultur: "Daimler ist größer und anonymer, Stihl ein Familienunternehmen mit persönlichem Umgang." Hinzu kam ein emotionaler Faktor. Sie war bei der Anfrage knapp über 50 Jahre und dachte sich: "Es ist cool und der passende Zeitpunkt, etwas Neues anzufangen." In Summe führte das zu ihrer Kündigung bei Daimler und Motorsägen statt Mercedes.

Zuhören, Meinung bilden, entscheiden: Das sind ihre Aufgaben heute. "Wir als Vorstände sind dafür verantwortlich, dass die Firma erfolgreich ist", sagt Kleinschmit. Daran wird das Gremium gemessen. Geräte von Stihl gelten als zuverlässige Produkte. Diesen Ruf aufrechtzuerhalten sieht sie als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an. Daran wird ihre Arbeit gemessen.

Von ihren Mitarbeitern erwartet sie Loyalität, so wie sie 28 Jahre Daimler treu war. Ebenso wichtig hält sie Ehrlichkeit und Transparenz. "Kein Unternehmen kann erfolgreich sein, wenn es kein Vertrauen im und zum Unternehmen gibt." Deshalb ist es ihr wichtig, dass ihre ehemaligen und neuen Kollegen wissen, dass sie Daimler nicht verlassen hat, weil der Autokonzern in die Krise rutschte. Das war damals nicht abzusehen. Dass sie zu Stihl passt aber auch nicht.

(axk)