Fluggastdaten: Verwaltungsgericht untersagt BKA Himmels-Rasterfahndung
Die anlasslose und massenhafte Verarbeitung von Flugpassagierdaten durch das BKA ist rechtswidrig, hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden entschieden.
Die vom Bundeskriminalamt (BKA) bislang praktizierte anlasslose und massenhafte Fluggastüberwachung ist mit dem EU-Recht und den darin verbrieften Grundrechten nicht vereinbar. Dies hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Urteilen vom 6. Dezember 2022 in zwei Verfahren festgestellt, wie es kurz vor Weihnachten mitteilte. In beiden Fällen ging es um die Verarbeitung sogenannter Passenger Name Records (PNR) nach dem Fluggastdatengesetz (FlugDaG), mit dem der Bundestag 2017 eine einschlägige EU-Richtlinie umzusetzen versuchte.
Die Klagen in Wiesbaden hatten Malte Spitz, Generalsekretär der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), und der frühere EU-Beamte Emilio De Capitani 2019 eingereicht. Sie flogen jeweils auf innereuropäischen Strecken beziehungsweise von der EU aus in Drittstaaten und von dort zurück. In diesem Zusammenhang glich das BKA ihre Daten mit polizeilichen Datenbanken ab. Zu einem Treffer führte dies nicht.
Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts gab den Klagen nun statt. Bei dem innereuropäischen Flug fehle es an einer grundrechtskonformen Rechtsgrundlage des BKA, erklärten die Richter. Nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dürften die Daten von Passagieren von Flügen innerhalb der EU nur verarbeitet werden, sofern es Anhaltspunkte für terroristische Bedrohungen auf bestimmten Flugrouten gebe. Eine solche Lage habe das BKA nicht nachweisen können. Die "Totalüberwachung sämtlicher Flüge", wie sie das FlugDaG vorsehe, sei daher unzulässig.
Auch bei dem Flug in einen Drittstaat liegt dem Gericht zufolge keine Rechtsbasis für die Datenverarbeitung durch das BKA vor. Die Bekämpfung gewöhnlicher Kriminalität rechtfertige es nach der EuGH-Rechtsprechung nicht, die Informationen sämtlicher Flugpassagiere ohne konkreten Anhaltspunkt mit Ausschreibungs- und Fahndungsdatenbanken abzugleichen.
Die Mitgliedstaaten haben laut der Ansage vielmehr die Aufgabe, gesetzlich die schweren Straftaten zu benennen, wegen derer die Reisenden "einer so weitgehenden Datensammlung" ausgesetzt würden. Nur so könnte sichergestellt werden, dass das System der Fluggastdatenspeicherung allein zur Bekämpfung schwerer Kriminalität eingerichtet und betrieben werde. Einen solchen Straftatenkatalog enthalte das FlugDaG aber nicht.
Mit der EU-Richtlinie können Flugpassagierdaten im Kampf gegen Terrorismus und Verbrechen grundsätzlich bis zu fünf Jahre lang gespeichert werden. Die PNR umfassen eine Vielzahl sensibler Informationen, die vom Geburtsdatum über die Namen der Begleitpersonen, eventuelle Vielfliegernummern oder die zum Kauf des Fluges verwendeten Zahlungsmittel bis hin zu einem Freitextfeld reichen.
Die Wiesbadener Kammer hatte dem EuGH Fragen zur Vereinbarkeit der Richtlinie mit höherrangigem EU-Recht wie der Grundrechtecharta gestellt. Diese haben die Luxemburger Richter zwar noch nicht direkt beantwortet. Dafür erklärten sie im Juni auf eine ähnliche Vorlage des belgischen Verfassungsgerichtshofs hin, dass die Richtlinie prinzipiell Bestand habe. Entsprechende nationale Befugnisse müssten aber auf das "absolut Notwendige" beschränkt werden. Damit zeichnete sich bereits ab, dass das BKA seine Rasterfahndung im Himmel deutlich zurückfahren muss.
Spitz feierte auf Twitter einen "Erfolg gegen Massenüberwachung". Der lange Atem habe sich gelohnt. Weitere Klagen, die die GFF koordiniert, sind bei anderen deutschen Gerichten gegen das BKA und Fluglinien wie die Lufthansa noch anhängig. Die Bundesregierung bezeichnete das Vorgehen 2020 als verhältnismäßig. Die Fluggastdatenzentrale im BKA verarbeitete im gleichen Jahr rund 105 Millionen Passagierdatensätze. Die Trefferquote für potenzielle Gefährder lag 2019 bei 0,082 Promille.
Gegen die neuen Urteile (Az.: 6 K 1199/22.WI und 6 K 805/19.WI) kann das BKA beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Berufung gehen. Auch die Option zur Sprungrevision beim Bundesverwaltungsgericht ließ die Kammer offen. Rechtsmittel müsste die Polizeibehörde binnen eines Monats einlegen. Die EU-Länder überlegen derweil, wie sie tricksen und ob sie etwa dauerhaft eine "reale und aktuelle oder vorhersehbare terroristische Bedrohung" deklarieren könnten. (hos)