Formel 1: Die Technik hinter dem Mercedes-AMG Petronas Team

Bei der Formel 1 wirken Autos, Fahrer und Kommunikation zusammen. Das Mercedes-AMG Petronas F1 Team kooperiert mit TeamViewer und fertigt hochpräzise Teile.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen

Lewis Hamilton beschleunigt in seinem Mercedes-AMG W15 während des Qualifying beim Großen Preis von Großbritannien in Silverstone.

(Bild: André Kramer)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Formel-1-Rennfahrer müssen über die Fähigkeiten ihres Autos und die Beschaffenheit der Strecke, die Strategie der Konkurrenz und das Wetter präzise informiert sein. Teamleiter, Mechaniker, Ingenieure und IT-Fachleute arbeiten dabei eng zusammen. "Millisekunden machen den Unterschied im Ergebnis aus. Entscheidend ist die Kommunikation zwischen Fahrer und Renningenieuren, so liefern wir Leistung.", sagt Steven Riley, der seit acht Jahren das IT-Service-Management des Mercedes-AMG Petronas F1 Teams leitet. In der Kommunikation darf dabei nicht das Geringste schiefgehen.

Um wirksam entscheiden zu können, benötigen die Fahrer Informationen, die sie am Rennwochenende im freien Training und im Qualifying sammeln und mit ihrem Team absprechen – noch vor dem eigentlichen Rennen am Sonntag. Wir waren im englischen Silverstone beim Großen Preis von Großbritannien zu Besuch, um dem Formel-1-Team von Mercedes-AMG Petronas mit den Fahrern Lewis Hamilton und George Russell über die Schulter zu schauen.

Das Werksteam des deutschen Autoherstellers nutzt Software von Teamviewer, um Fahrer in der Garage während des Trainings und Qualifyings schnellstmöglich mit Informationen zu versorgen. Nicht nur beim Qualifying und beim Rennen selbst geht es um Zeit. Seit der Saison 2021 wurden die beiden Freitagstrainings um jeweils eine halbe Stunde auf 60 Minuten verkürzt. Um keine wertvollen Sekunden zu verlieren, kommunizieren Teamleiter in der Garage über Dropdown-Bildschirme mit den Fahrern.

Die Bildschirme werden über dem Cockpit abgesenkt und der Fahrer erhält Informationen, ohne sich aus der Rakete auf Rädern schälen zu müssen. Auf ihnen läuft die Software TeamViewer Tensor. Der Teamleiter zeigt ihm darüber Telemetriedaten, die Rennstrategie oder taktische Informationen zum Verhalten in jeder Kurve.

Über Kopfhörer spricht nur er mit dem Fahrer. Die übrige Crew kommuniziert untereinander, denn in der Garage geht es hektisch zu. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Dutzende Mechaniker und Ingenieure arbeiten unter Hochdruck.

Die Formel-1-Ingenieure von Mercedes-AMG Petronas stellen den Piloten Lewis Hamilton und George Russell in der Garage Informationen über einen Dropdown-Bildschirm bereit.

(Bild: Bild: Sam Bloxham für Mercedes-Benz Grand Prix ltd.)

Mit dem Formel-1-Team reisen zwei mobile Serverschränke rund um die Welt zu zwei Dutzend Grand-Prix-Läufen. Jeder Rennstall bringt seine eigene IT-Infrastruktur mit. Vor Ort spannt das Team ein WLAN auf, über das sich Mitarbeiter und Autos mit den Servern verbinden. Die Rennwagen sind Datenfabriken: „Wir sammeln sieben Milliarden Datensätze an einem Rennwochenende“, sagt IT-Direktor Michael Taylor im Gespräch mit heise online.

Beim Rennen sind alle Teams an weltweiten Standorten auf engstem Raum untergebracht. Die WLAN-Netze werden dabei abgesichert, wie in jedem anderen Unternehmensumfeld auch. Zwar kommt es vor, dass jemand versehentlich versucht, sich in einem anderen Netz einzubuchen, aber Spionage spielt kaum eine Rolle. So ein Versuch würde sofort zu einer Strafe bis hin zur Disqualifikation des Teams führen.

Im südlichen England versammeln sich gleich mehrere Rennställe, darunter die von Aston Martin, McLaren und Red Bull. Während es bei McLaren eher wie in einer klassischen Autowerkstatt zugeht, wirkt die Fabrik von Mercedes-AMG wie ein modernes Industrielabor. In blitzsauberen Gängen laufen verschiedene Rapid-Prototyping- und Rapid-Manufacturing-Maschinen rund um die Uhr, um Bauteile für die Rennwagen zu erstellen.

Aktuell fährt der Rennstall mit dem W15 – das W steht schlicht für "Wagen", die 15 ist die Modellnummer. Nach einem enttäuschenden Bahrain Grand Prix im Jahr 2023 war ein Redesign nötig. Vor allem das Getriebegehäuse und das Chassis des W14 erwiesen sich als fehleranfällig, die Hinterachse als unberechenbar.

Jedes Jahr entwickelt das Team ein neues Chassis, deren Änderungen derart groß ausfallen, dass sie nicht im laufenden Betrieb während der Rennsaison möglich sind. An kleinen Anpassungen, um etwa die Aerodynamik des Unterbodens zu verbessern, arbeiten die Ingenieure unentwegt.

Lewis Hamiltons Mercedes-AMG W15 steht noch ohne Frontflügel und Reifen in Silverstone in der Garage. Die Teile sind in weniger als zwei Sekunden montiert.

Ein Augenmerk liegt auf dem sogenannten Ground-Effekt. Lange Jahre fuhren Formel-1-Fahrer mit flachem Boden. Nun ziehen die Rennställe zwei getrennte Kanäle von den Seitenkästen bis zum Heck ein. Der Luftstrom unter dem Auto generiert Abtrieb bei weniger Luftwiderstand als mit Flügeln an der Oberseite. Das Vakuum saugt das Auto an den Asphalt, und der damit einhergehende Grip bringt es schnell durch eine Kurve.

Leicht zu kontrollieren ist der Effekt nicht. Bei Geschwindigkeit von über 250 km/h kann es passieren, dass der Unterboden zu nah an den Asphalt gesaugt und der Luftstrom unterbrochen wird. Ohne Abtrieb federt der Wagen auf Normalhöhe, der aerodynamische Abtrieb beginnt erneut und das Auto senkt sich. So hüpft es auf und ab. Dieses als "Porpoising" bezeichnete Phänomen ist für die Fahrer besonders unangenehm. Konstante Änderungen an den Kanälen sollen den Effekt reduzieren.

Die Datengrundlage liefert ein auf 60 Prozent verkleinertes Modell der Autos im Windkanal. Im Stockwerk über den Werkshallen arbeiten rund 200 Industriedesigner und Ingenieure daran, die Daten aus den Experimenten zu analysieren. Dabei wird die Belastung mehrfacher g-Kräfte auf Werkstücke simuliert und aufgrund der Daten in CAD-Programmen das Design verfeinert. "Wir haben außerdem ein virtuelles Auto, einen digitalen Zwilling“, sagt IT-Direktor Michael Taylor. Daran wird in einer virtuellen Welt die mechanische Konfiguration getestet, beispielsweise die Lebensdauer der Reifen.

Am Tag vor dem Rennen probt das Team immer wieder Abläufe wie den Reifenwechsel, um beim Rennen am Sonntag nichts dem Zufall zu überlassen.

Chassis und Unterboden des W15 bestehen aus Kohlenstofffaserverbund. In großen Druckbehältern, Autoklaven von Scholz Maschinenbau, werden die Bauteile unter großer Hitze und einem Druck von bis zu 90 PSI ausgehärtet. Diese gigantischen Schnellkochtöpfe mit einer Länge von 3,30 Metern und 1,50 Metern Durchmessern brauchen für ein ganzes Chassis 50 Tage, für den Unterboden 60 Tage, um das Harz in den Kohlefasern zu härten.

80 Prozent des Wagens bestehen aus Kohlefasern, die aber nur 35 Prozent des Gewichts ausmachen. Den Rest machen Kunststoff und Metall aus. Große 3D-Drucker fertigen beispielsweise für die Finger der Fahrer maßgefertigte Kupplungshebel. Die 3D-Drucker sind schneller fertig als die Autoklaven: Am Donnerstag gefertigt, sind die Hebel am Sonntag bereits im Einsatz.

Vor dem Einsatz werden die Bauteile Stresstests unterzogen, die oft über Nacht stattfinden. Das Monitoring erledigen Techniker über Teamviewer-Software von zu Hause. Solche Langzeittests waren unter anderem für Getriebekästen nötig. In langgestreckten Kurven, beispielsweise Kurve 8 im Istanbul Park Circuit in der Türkei, wurde das Öl früherer Wagen so lange in eine Richtung gedrückt, dass die Getriebeteile nicht ausreichend geschmiert wurden und Probleme auftraten.

Die Fabrik stellt Metallteile über selektives Lasersintern (SLS) her. Dabei wird das feinkörnige Metall unter hohem Druck erhitzt, wobei sich die Partikel des Ausgangsmaterials verdichten und Porenräume aufgefüllt werden. Für die meisten der 3769 Metallteile eines Getriebes kommen aber 25 CNC-Fräsen von Matsuura zum Einsatz, die rund um die Uhr mit 260 verschiedenen Werkzeugspitzen über fünf Achsen Getriebeteile aus massiven Metallblöcken fräsen. Die über einen Zeitraum von 140 Stunden gefertigten Teile sind widerstandsfähiger und hitzebeständiger, wenn sie aus einem Block gefräst wurden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Im Verlauf der Saison müssen die in kleiner Stückzahl, aber dennoch industriell gefertigten Bauteile ihre technischen Fähigkeiten und ihre Widerstandsfähigkeit beweisen – sie können nämlich nicht beliebig oft ausgetauscht werden. Beim Getriebe etwa sieht das Formel-1-Reglement zwei Komponentengruppen vor, von denen jeweils fünf pro Saison verbraucht werden dürfen.

Die Motoren, im Rennjargon "Power Units" genannt, unterteilt die Formel 1 in sieben Komponenten wie Verbrennungsmotor und Turbolader, von denen jeweils vier erlaubt sind. Überschreitet ein Team die zulässige Komponentenzahl, wird der Fahrer in der Startaufstellung um fünf oder zehn Plätze zurückversetzt.

Am Sonntag, den 7. Juli muss der Mercedes-AMG in Silverstone seine Fähigkeiten erneut unter Beweis stellen. Am 30. Juni gewann der Mercedes-Fahrer George Russel den Großen Preis von Österreich. Am 21. Juli geht es in Ungarn weiter.

Transparenzhinweis: Der Autor wurde von Teamviewer zum Rennwochenende eingeladen. Teamviewer hat die Reisekosten übernommen. Vorgaben zu Art und Umfang unserer Berichterstattung gab es nicht. (akr)