"Forschende aus China, vom Postdoc bis zum Professor, sind in der Regel top"

Den Erfolg der chinesischen Forschung fand Anna Lisa Ahlers so faszinierend, dass sie dazu genauer am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte forscht.

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Anna Lisa Ahlers ist am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin tätig.

(Bild: fotostudiocharlottenburg)

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Im Rekordtempo erklimmt China gerade Spitzenplätze in internationalen Wissenschaftsranglisten. Im aktuellen Nature Index belegt das Land Platz eins, hat also weltweit zu den meisten Publikationen in wissenschaftlichen Fachjournalen beigetragen. Der Erfolg der chinesischen Forschung komme aber keineswegs aus dem Nichts, sagt Anna Lisa Ahlers in der neuen Ausgabe 1/2024 der MIT Technology Review. Die Politologin und Sinologin verfolgt die Entwicklung schon seit vielen Jahren und war davon so fasziniert, dass sie am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG) in Berlin eine Forschungsgruppe zum Thema gründete.

"China war auch im letzten Jahrhundert nicht von der Welt abgekoppelt. Aber der Fokus lag auf der nationalen Entwicklung. Man wollte fähige Wissenschaftler für den eigenen wirtschaftlichen Aufstieg formen und ausbilden", erklärt die Wissenschaftlerin. Um die Jahrtausendwende habe es dann einen Strategiewechsel gegeben, mit dem Ziel, auch international aufzuschließen. Bis 2050 will das Land zur weltweit führenden Wissenschaftsmacht werden.

Lange galten die USA als führende Wissenschaftsnation. Mittlerweile hat China sie vom Thron geschubst. Das Land der Mitte ist laut Nature Index heute führend, zumindest in Bezug auf wissenschaftliche Publikationen.

(Bild: Nature)

Der schnelle Aufstieg gelang laut Ahlers unter anderem, weil China – anders als andere Autokratien – sehr stark auf internationale Kooperationen gesetzt hat. Zudem sind die Wissenschaftler in China schon lange einem ausgesprochen harten Wettbewerb untereinander ausgesetzt und müssen sich ständig messen lassen. Rankings und Evaluationen seien dort schon sehr früh entwickelt worden – lange bevor sie international wichtig wurden, berichtet die Expertin. Das führt dazu, "dass Laborleiter, Professoren, aber auch Doktoranden oder Postdocs in der Regel wirklich, wirklich top sind".

Wo der Fokus der Forschung liegen soll, legt die Regierung in Fünfjahresplänen fest. Zu den wichtigsten Forschungsfeldern zählen danach: Quantencomputer, Robotertechnik, Tiefseeforschung, Big Data, Künstliche Intelligenz, Neurowissenschaften, grüne Gentechnik und Null-Emissionen-Technologien. Anders als in den Geisteswissenschaften, wo Ahlers "viel Frust" wahrnimmt, können die Forschenden in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern – nach einer staatlich festgelegten Zielvorgabe – offenbar recht frei arbeiten. "Wenn Sie Forscher und Forscherinnen fragen, ob sie Einschränkungen erleben, würden die meisten wahrscheinlich sagen: nein", erzählt die China-Expertin.

Dieser Text stammt aus MIT Technology Review 1/2024

Dass Forschende in China auch in ethischen Fragen durchaus eine Stimme haben, zeigt der Fall der "Designer-Babys" aus genetisch manipulierten Embryos, der 2018 weltweit für Empörung sorgte. "Dazu laufen noch heute in China forschungs-ethische Diskussionen, von denen man hier allerdings kaum etwas mitbekommt. Dabei sind sie von riesiger Bedeutung. Denn die neueren, strengeren Regeln zur Forschung am Menschen in China wurden eben von der Wissenschaftscommunity gepusht, also quasi von unten", betont Ahlers. Auch ethische Aspekte der künstlichen Intelligenz würden in China ähnlich diskutiert wie in Europa. Dass es dennoch mitunter zu fragwürdigen Anwendungen komme, sei einem "enormen Kommerzialisierungsdruck" geschuldet. "Wenn immer nur das Ziel, der Erste zu sein, das Handeln bestimmt, dann können Sie noch so viel über Ethik diskutieren. Und da sind die Barrieren in China wahrscheinlich etwas schwächer ausgeprägt als in Europa."

Den Vorwurf, China schöpfe bei Kooperationen vor allem viel Wissen aus dem Westen ab, lässt die Wissenschaftlerin nur bedingt gelten. Von der Zusammenarbeit profitierten schließlich beide Seiten und sie trage zum gegenseitigen Verständnis bei – trotz aller Probleme, gibt sie zu bedenken. "Natürlich lernen chinesische Gastwissenschaftler neue Techniken und Versuchsanordnungen und sie nehmen Daten mit. In der Regel sind das aber Dinge, die sowieso irgendwann publiziert werden. Also da frage ich mich schon manchmal: Woraus besteht jetzt eigentlich das große Geheimnis?" Im Bereich Dual Use, also militärisch anwendbarer Forschung, müssten die Institutionen hingegen tatsächlich stärker prüfen, mit wem sie zusammenarbeiten, und auch Forschung gegebenenfalls besser abschirmen. "Ob sie dann nur gegen chinesische Forscher und Forscherinnen abschirmen oder insgesamt andere Sicherheitskonzepte entwickeln müssen, ist noch eine andere Frage."

Sie wolle die Lage in China auf keinen Fall glorifizieren, betont Anna Lisa Ahlers. "Aber die derzeitige Diskussion krankt ein bisschen daran, dass man eine relativ dünne Informationsbasis hat und sich erst dann damit beschäftigt, wie Wissenschaft in China funktioniert, wenn Probleme auftreten." Bis vor ein paar Jahren sei die Zusammenarbeit mit chinesischen Teams noch ein Prestigegewinn gewesen und sie habe westlichen Teams recht preisgünstig top ausgebildete Nachwuchskräfte beschert. "Es fehlen jetzt Szenarien, die untersuchen, was eigentlich passiert, wenn man mit China nicht mehr oder weniger oder anders als bisher wissenschaftlich kooperieren würde", sagt Ahlers. Das Interesse, dies besser zu erforschen, sei hierzulande erstaunlich gering.

(anh)