Führt Argentinien Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel ein? Nein, aber…

Argentinier dürfen jetzt vielleicht für Starlink mit Bitcoin zahlen – wenn sie das vereinbart haben. Klingt normal, ist es aber nicht.​

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Javier Milei

Javier Milei wurde in einer Stichwahl am 22. Oktober mit 55,7 Prozent der Stimmen zum neuen Staatspräsidenten Argentiniens gewählt.

(Bild: Ilan Berkenwald CC BY-SA 2.0)

Lesezeit: 6 Min.
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"Wir bestätigen, dass argentinische Verträge in Bitcoin abgeschlossen werden können". Diese Mitteilung Diana Mondinos, der argentinischen Ministerin für auswärtige Angelegenheiten, internationalen Handel und Anbetung, sorgt für Freude bei Fans von Kryptowährungen. Bisher war das nämlich – kompliziert. Jetzt sorgt ein Notdekret des neuen argentinischen Staatspräsidenten Javier Milei für Tumult. Es könnte einen Generalstreik auslösen.

Auf einen Schlag möchte der Mann mit seinem Decreto de Necesidad y Urgencia (DNU) zahllose Gesetze entweder zur Gänze aufheben, grundlegend ändern oder ihnen weitgehend die Wirkung absprechen. Und das sehr flott, nämlich spätestens zum Jahreswechsel. Bitcoin wird in dem 83 Seiten langen Dekret nicht erwähnt. Doch öffnet die umfassende Deregulierung von Wirtschaft und Verwaltung auch Türen für Kryptowährungen.

Das kommt so: Bislang ist es in Argentinien nicht möglich, Naturalexekution zu führen, selbst wenn Vertragspartner das ausdrücklich vereinbart haben. Das macht Tauschgeschäfte eine unsichere Sache. Wer beispielsweise vertraglich vereinbart, Autoreifen gegen ein Kalb, einen Rembrandt gegen einen Schiele, oder ein Fahrrad gegen eine Goldmünze zu tauschen, ist womöglich seine Sache los, erhält im Gegenzug aber nur argentinische Pesos. Denn argentinisches Recht erlaubt bislang jedem Schuldner, schuldbefreiend in der gesetzlichen Landeswährung zu zahlen.

Das gilt auch, wenn eine ausländische Währung wie Dollar und Euro als Zahlung für eine Leistung vereinbart waren. Dabei kommt dann noch ein offizieller Wechselkurs zur Anwendung, der weit vom tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der ausländischen Währung abweicht. Ganz zu schweigen von der galoppierenden Inflation, die im November bei über 160 Prozent lag. Wer auf seinen Vertragspartner vertraut hat, ist dann der Gelackmeierte. Der Rembrandt ist weg, der Schiele kommt nicht. Stattdessen darf man sich Pesos an die Wand picken.

Das Notdekret soll das alles ändern. Ab sofort gilt, was die Parteien vereinbart haben. Sei das nun Bezahlung in "Kilo Jungochse oder Liter Milch", formuliert es Monidno. Damit ist auch der Weg frei, durchsetzbare Verträge mit Bezahlung in Dollar oder Kryptowährungen wie Bitcoin zu vereinbaren. Politisches Ziel der neuen Regierung ist allerdings die Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft.

Gleichzeitig reduziert die Reform den Verbraucherschutz und kann Verträge deutlich länger und komplizierter machen. Nicht nur schafft Milei das Verbot sittenwidriger Verträge ab, er entzieht dem Wirtschafts- und Vertragsrecht generell die Geltung; Gerichte dürfen es nur noch heranziehen, wenn im gegenständlichen Vertrag zu einem bestimmten Punkt nichts vereinbart ist. Das bedeutet: Freie Fahrt für allerlei überraschende Klauseln.

Überhaupt abgeschafft werden das Mietrecht, Einschränkungen von Großgrundbesitz durch einzelne Inländer, Einschränkungen des Immobilienerwerbs durch Ausländer, sowie Branchengesetze, wie es sie für Bergbau, Weinbau oder Zucker gibt. Abgeschafft werden gleichzeitig Bestimmungen, die kleinen Unternehmen und regionalen Anbietern den Weg auf den Markt erleichtert haben. Parallel entfallen die Pflicht zur Preisauszeichnung sowie jegliche Preisregulierung, selbst bei Medikamenten sowie für im Voraus bezahlte Leistungen.

Zinsen können ebenfalls in beliebiger Höhe vereinbart werden, und Banken dürfen jene Gebühren, die Händler bei Akzeptanz von Kredit- und Debitkarten zahlen müssen, frei festsetzen. Bislang galten hier Grenzen von drei respektive 1,5 Prozent. Feuerschutzbestimmungen werden reduziert, Zollbestimmungen verändert und elektronische Arzneimittelrezepte eingeführt. Fußballvereine müssen keine Vereine mehr sein, Wettbewerbsbeschränkungen im Tourismussektor sind Geschichte, Führerscheine werden digital, es gibt keine Pflicht mehr, Zulassungsbescheinigung und Versicherungsnachweis mitzuführen, und Gebrauchtwagen dürfen selbst bei unbezahlten Verkehrsstrafen den Eigentümer wechseln, und so weiter. Deregulierung, so weit das Auge reicht.

Sämtliche staatliche Unternehmen werden in Aktiengesellschaften umgewandelt und sollen verkauft werden, darunter die Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas. Der Erlös aus deren Privatisierung könnte allerdings bescheiden ausfallen, schließlich dürfen in Zukunft auch ausländische Anbieter Inlandsflüge durchführen oder zwischen Argentinien und Drittstaaten fliegen. Freigegeben wird zudem der Betrieb von Satellitendiensten; Starlink dürfte zwar seit 2021 in Argentinien funken, hat jedoch den Vertrieb dort nicht aufgenommen. Das mag an der hohen Inflation und der Pflicht zur Akzeptanz von Pesos zu einem willkürlichen Wechselkurs liegen, was sich nun ändert. Die Kompetenzen von Bundesstaaten und Kommunen werden beschnitten.

Gibt es in einem Betrieb höchstens fünf Beschäftigte, gelten sie nicht mehr als Arbeitnehmer. Damit entfällt für sie jeglicher Arbeitnehmerschutz oder Mindestlohn. Für andere Beschäftigte wird die Berechnungsgrundlage des Mindestlohns deutlich gesenkt und das Streikrecht erheblich eingeschränkt; in manchen Branchen müssen selbst bei einem Streik mindestens 50 Prozent der Beschäftigten voll arbeiten. Im Bildungsbereich sind es sogar 75 Prozent.

Dem nicht genug entzieht das Dekret den Gewerkschaften auch noch ihre Finanzierungsgrundlage. Nicht nur sie bezeichnen das Dekret als verfassungswidrig, fordern eine Rücknahme diverser Bestimmungen und drohen mit Generalstreik – solange sie das noch dürfen.

Erst vor kurzem hat Milei die Landeswährung gegenüber dem US-Dollar um die Hälfte abgewertet. Begründet hat er diese Maßnahme so wie das am Freitag erlassene Dekret: mit der wirtschaftlichen Notlage und enormer Inflation. Aufgrund der Notlage sei es unmöglich, den üblichen Gesetzgebungsprozess zu durchlaufen, sagt der neue Präsident. Das ist Voraussetzung für die juristische Zulässigkeit seines Dekrets. Es wandert nun ans Parlament, dessen beide Kammern binnen zehn Tagen entscheiden müssen. Dort reicht jeweils eine einfache Mehrheit, um das weitreichende Dekret in Kraft zu setzen. In so kurzer Zeit ist es unmöglich, alle Auswirkungen der weitreichenden Novellen abzuschätzen.

Stimmt das Parlament zu, drohen Argentiniern niedrigere Einkommen und höhere Preise. Das reicht von Wohnungsmieten über Immobilienkauf bis zu Lebensmitteln. Weil bisherige Exportverbote plötzlich unwirksam sind, werden sich die Lebensmittelpreise an die deutlich höheren Weltmarktpreise angleichen. So befeuert das Decreto de Necesidad y Urgencia die Inflation sogar noch, selbst für Inhaber von Bitcoins.

(ds)