Gamescom: Rollenspiele, mal prächtig, mal finster
Es darf gerätselt, gekämpft und geredet werden: Pillars of Eternity, Blackguards 2, Risen 3, Shadows - Heretic Kingdom und The Witcher 3 - Wild Hunt sind nur einige der Titel, die die Fackel der Computer-Rollenspiele am Brennen halten.
Sie gelten nicht unbedingt als typische Massenmagneten und sind oft weniger spektakulär als etwa neue Shooter. Dennoch können epische Rollenspiele begeistern. Wer die komplexe, vielfältige Entwicklung von Spielfiguren mit ausgeprägter Persönlichkeit ebenso schätzt wie das Erkunden beeindruckender Spielwelten und das Beeinflussen der Handlungsfäden durch Dialoge und eigene Entscheidungen, der ist hier richtig. Die gestern abend beendete Gamescom hat viele beeindruckende Beispiele dafür geliefert, dass kommende Rollenspiele nicht allein auf spektakuläre Effekte, sondern auch auf Tiefe und Kreativität setzen.
Der Crowdfunding-Erfolg von Obsidians Fantasy-Projekt "Pillars of Eternity" zeigt beispielhaft, wie engagiert die Szene der Rollenspielfreunde nach wie vor ist: Innerhalb von 24 Stunden gaben die Unterstützer auf der Plattform Kickstarter bereits 1,1 Mio. Dollar, womit das erste gesteckte Förderungsziel erreicht war. Nach 33 Tagen endete die Kampagne mit fast 4 Mio Dollar. Besonders engagierte Spender wurden im Spiel mit NPC-Nebenrollen belohnt.
Das Spiel, das noch in diesem Jahr erscheinen soll, orientiert sich an Klassikern wie "Baldurs Gate", bindet sich aber nicht an die streckenweise sperrigen Advanced-Dungeons-and-Dragons-Mechaniken und wartet mit einer völlig eigenständigen Welt auf. In dem reinen Singleplayer-Spiel darf man bis zu fünf virtuelle Gefährten anwerben und führen. Beim Kampf gilt es besonders achtzugeben – anders als bei den meisten Rollenspielen können hier auch Freunde einander verletzen.
Der Spieler sieht das Geschehen in Schrägdraufsicht. Die aufwendige Charakterfindung kostet den Spieler etwas Zeit, verträgt sich aber gut mit der Tiefe des Spiels. Das Inventar- und Fertigkeiten-System wirkt angenehm übersichtlich, das Gameplay ist eine Kombination aus klassischen und neuartigen Abläufen. Wie Freunde des Genres es schätzen, sind Kämpfe nicht die einzige Option zum Lösen von Problemen. Geschickte Gesprächsführung eröffnet oft interessantere Wege als ein gezücktes Schwert. Zahlreiche liebevoll gestaltete Details wie etwa die Option, Haustiere zu halten, setzen individuelle Akzente. Es fällt auf, wie sehr die Entwickler auf stimmungsvolles Drumherum Wert gelegt haben. Das reicht bis zu den Textbildschirmen, die im Stil alter Bücher illustriert sind.
Ähnlich wie es Piranha Bytes bei Risen 3 getan hat, berücksichtigte auch das Hamburger Team von Daedalic bei der Gestaltung von "Blackguards 2" Anregungen der Spielergemeinde. Da das rundenorientierte Spiel auf der Welt des Würfelklassiker-Systems "Das Schwarze Auge" (DSA) beruht, kam das zuweilen der Quadratur des Kreises gleich. Es galt, Vorstellungen von DSA-Veteranen ebenso umzusetzen wie Wünsche von Computerspiel-Praktikern, wobei man auch Einsteigern ins Genre keine Unbequemlichkeiten zumuten durfte. So bietet das Spiel nun zwei Handhabungsmodi an: einen für Experten, die Abläufe möglichst detailliert steuern wollen, und einen, der sich möglichst unkompliziert gestaltet.
Den Hintergrund der Spielhandlung bilden die Versuche der Hexe Cassias, den Haifischthron von Aventurien zu erobern. Trendgemäß ist das Ganze düsterer angelegt als der Vorgänger. Im Dienste Cassias kann man Dörfer plündern und Gefangene machen. Diese lassen sich bei Bedarf verhören, foltern und auch töten, mit Geschick kann man sie aber auch zu eigenen Verbündeten machen. So ist es erstmals möglich, Quests auch ohne Blutvergießen zu gewinnen. Wer Aufgaben besonders intelligent meistert, verdient sich damit Zusatzpunkte. Als Gegner treten unter anderem Monster wie die Insektoiden auf, die in jeder ihrer vier Hände eine Waffe tragen können. Die Gruppe, die der Spieler steuert, kann jetzt aus bis zu 20 Gefährten bestehen. Figuren können jetzt in Deckung gehen, blocken und parieren. Reichweite und Trefferwahrscheinlichkeit werden angezeigt, außerdem der Schwierigkeitsgrad der frei wählbaren Missionen. Dank stärker ausgefeilter Systeme kann man die Fertigkeiten besser als zuvor managen. Die Entwickler arbeiten derzeit an fünf verschiedenen Schlussträngen für die Spielhandlung. Blackguards 2 soll im Frühjahr 2015 in den Handel kommen [-] nur ein Jahr nach dem Vorgängerspiel.
"Shadows: Heretic Kingdom" von Games Farm fällt in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen. Das slowakische Spiel ist eine Fortsetzung des RPG "Kult: Heretic Kingdoms" von 2005. Statt eines sympathischen Helden steuert man hier einen Dämonen, der sich erschlagener Gegner auf besondere Weise bedient: Die erbeuteten Seelen werden Teil seiner virtuellen Truppe, und bei Bedarf nimmt er ihre Gestalt und ihre Fähigkeiten an. Auf diese Weise wird das klassische Charakter-Prinzip des Rollenspiels völlig neu interpretiert. Bis zu 15 Charaktere kann man sich einverleiben, doch auf jede Quest können nur (ganz klassisch) vier mitgenommen werden. So muss man wählen zwischen Krieger oder Fallensteller, Ork oder Goblin. Die ausgewählten Seelen wiederum fügen sich nicht stumm ihrem Schicksal, sondern kommentieren oder streiten auf der Audiospur: Persönlichkeitsspaltung im Zauberland. 50 bis 70 Stunden Tonmaterial kann das Spiel vorweisen, dazu einige Prominenz. Tom Baker, der Fans der britischen Science-Fiction Serie "Doctor Who" wohlbekannt ist, steuerte seine Stimme bei. Auch die Spielzeit kann sich mit etwa 40 Stunden sehen lassen. Das Spielkonzept lädt dazu ein, nach dem Erreichen des Spielziels einen neuen Anfang zu wagen: Sehr früh schon muss man sich zwischen drei Pfaden entscheiden, die den gesamten weiteren Spielverlauf prägen. Im November 2014 soll die erste Hälfte von "Shadows: Heretic Kingdom" erscheinen, im Februar 2015 der zweite Teil. Zusammen werden sie etwa 30 EUR kosten und bieten ungefähr 100 Quests an.
Mit dem epischen Rollenspiel "The Witcher 3: Wild Hunt" hat das polnische Studio CD Projekt Red einen der von vielen Rollenspielenthusiasten am sehnlichsten erwarteten Titel der Gamescom präsentiert. Im Verlauf der rund dreijährigen Entwicklungszeit ist ein nicht nur grafisch enorm beeindruckendes Spiel gewachsen. Eine spürbare Entwicklung seit dem zweiten Teil der Serie, der den Titel "Assassins of Kings" trug, hat auch der Held des Spiels durchgemacht: Der weißhaarige Monsterjäger Geralt von Rivia ist zwar nicht weniger gefährlich geworden, aber deutlich empathischer; seine Persönlichkeit lädt den Spieler viel stärker als zuvor zur Identifikation ein.
Als Gerüchte über ein weiteres weißhaariges Menschenkind in den nördlichen Königreichen umgehen, macht sich Geralt auf die Suche nach dieser Frau. Aber eine alles verheerende finstere Truppe, die dämonische "Wilde Jagd", folgt ihr ebenfalls und hinterlässt auf ihrem Weg verbrannte Dörfer.
Geblieben ist die starke Entscheidungsabhängigkeit der Spielhandlung. Wie Personen Geralt in den zahllosen miteinander verwobenen Quests begegnen, hängt sehr oft davon ab, welchen Weg er zuvor eingeschlagen, wen er verschont, enttäuscht oder wem er geholfen hat. Nicht selten gerät der Spieler dabei in ein moralisches Dilemma, und mehr als einmal muss er erst im Nachhinein feststellen, dass eine gut gemeinte Entscheidung schließlich an unvermuteten Stellen Schreckliches ausgelöst hat.
Geralt hat etliche neue Spielzeuge und Fertigkeiten erhalten. Die Handarmbrust "Gabriel" eignet sich gut für die Jagd auf Harpyen. Zudem hat der Hexer nun auch gelernt zu klettern und zu schwimmen. Insgesamt wird der Spielablauf dadürch dynamischer. Neben physischen Waffen ist vor allem die Hexermagie im Kampf wichtig. Der Flammentzauber "Igni" kann etwa Sumpfgase in Flammenhöllen verwandeln, die Schockwelle "Art" ganze Gegnerhorden zurückdrängen. Auch das Herstellen neuer Gegenstände ist möglich. Dank neuer Tränke kann der Hexer seine magischen Fähigkeiten erweitern -- diese Mittel haben jedoch bisweilen erhebliche Nebenwirkungen.
Alle Charaktere sind höchst detailliert gestaltet; an ihrem Mienenspiel lässt sich vieles ablesen. Wer alle Haupt- und Nebenaufgaben lösen will, muss gut 100 Stunden dafür einplanen. Die frei erkundbare, prächtiger und vielfältiger denn je ausgeführte Spielwelt ist so groß, dass die Reise zu einem Einsatzort selbst per Pferd im gestreckten Galoppp leicht eine halbe Stunde dauert. Um den Spieler den schnelleren Wechsel des Schauplatzes zu erlauben, bieten Wegbäume außerhalb der Ortschaften einen Sprung über die Landkarte an.
Es gibt Tag- und Nachtwechsel sowie sehr unterschiedliche Wetterbedingungen. Im Meditationsbildschirm kann der Hexer die Zeit vorlaufen lassen, um etwa zeitgebundene Geister aufzuspüren. Am 24. Februar 2015 soll "The Witcher 3 – The Wild Hunt" für Windows, Xbox One und PS4 erscheinen.
(psz)