Gegen die unsichtbare Wand – zum Tode der Informatikerin Frances Allen
Die Informatikerin Frances E. Allen arbeitete lange bei IBM als Compiler-Spezialistin und erhielt als erste Frau den Turing-Award. Sie starb mit 88 Jahren.
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist die Informatikerin Frances Elizabeth Allen am 4. August – ihrem 88. Geburtstag – in einem Altersheim gestorben. Die über 45 Jahre bei IBM beschäftigte Compiler-Spezialistin wurde als der erste weibliche "IBM Fellow" ausgezeichnet und war die erste Frau, die den renommierten Turing-Award erhielt.
Anfang des Jahres hatte das US-amerikanische Institute of Electrical and Electronics Engineers angekündigt, ihr zu Ehren die "IEEE Frances E. Allen Medal" zu vergeben. Mit der Medaille sollen ab 2021 Frauen ausgezeichnet werden, die sich für Frauen in der Informatik und in der IT-Branche einsetzen.
Angewandte Mathematik für angehende Farmer
Frances E. Allen wurde am 4. August 1932 als ältestes von sechs Kindern auf einer Milch-Farm in Peru im US-Bundesstaat New York geboren. Beide Eltern arbeiteten auf der Farm, die Mutter war zuvor Lehrerin. Dies bestärkte die junge "Fran", selbst Lehrerin zu werden. Nach ihrem Abschluss am New York State College for Teachers ging sie als Mathematiklehrerin 1954 an ihre Schule zurück und unterrichtete dort zwei Jahre lang. Unter anderem entwickelte sie einen eigenen Kurs in "angewandter Mathematik" für Schüler, die einmal eine Farm übernehmen sollten. Entsprechende Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien gab es zu dieser Zeit noch nicht.
Um den für Lehrer vorgeschriebenen Master-Titel zu erhalten, studierte Frances Allen ab 1956 Mathematik an der Universität von Michigan in Ann Arbor. Hier lernte sie das Programmieren an einer IBM 650 unter dem späteren Informatiker Bernhard Galler. Nach dem Master of Science bekam sie im Juli 1957 eine Stelle bei IBM angeboten, die sie nur nutzen wollte, um die Studiengebühren zu bezahlen. Das erwies sich als Irrtum: Frances Allen blieb bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 2002 bei IBM.
Unwilligen IBM-Wissenschaftlern Fortran beibringen
Ihre erste Aufgabe war es, als Lehrerin den gewöhnlich in Assembler programmierenden IBM-Wissenschaftlern die Programmiersprache Fortran beizubringen, die John Backus erstmals 1953 vorgestellt hatte (der Compiler war erst ab 1957 marktreif). "Ich endete als Lehrerin in einer Schulklasse voller unwilliger Schüler, während ich selbst Fortran lernen musste", beschrieb sie in einem Interview die Situation.
Hier halfen ihr die gesammelten Erfahrungen als Lehrerin, die auch das Lehrmaterial gestaltet: Durch ihre Anregungen wurde Fortran entschlackt und einfacher gestaltet, sodass die Anwender sehen und verstehen konnten, was passiert. Über die Lehrtätigkeit lernte sie den Großrechner IBM 704 detailliert kennen und entwickelte mit zwei Kollegen das Monitored Automatic Debugging System mit dem schönen Akronym MAD. Als Teil dieser Arbeit wurde ein großer roter Notschalter eingebaut für den Fall, wenn der Computer in einer Schleife festhing – damals konnte man das hören.
Die Mitwirkung am Compiler führte dazu, dass Allen zur Arbeit am Supercomputer Stretch und der NSA-Version Harvest herangezogen wurde, wo sie bis 1965 bei der Entwicklung der Programmiersprache Alpha für die Kryptoanalyse von Geheimbotschaften mitarbeitete. Danach leitete sie die Entwicklung des Compilers beim Projekt Y, aus dem IBMs Advanced Computer System (ACS) hervorging, bei dem Gene Amdahl die Hardware entwickelte.
Erste Fellow-Urkunde in weiblicher Fassung
Als Allen und Amdahl ihre jeweilige Arbeit an ACS auf einem Kongress vorstellen sollten, bekamen sie ein Doppelzimmer zugeteilt, bis man realisierte, das Frances Allen eine Frau war. Etwas Ähnliches passierte ihr 1989, als sie von IBM als erste Frau zum "IBM Fellow" ernannt wurde. Die entsprechende Urkunde, in der der Name eines Fellows eingesetzt wird, kannte nur die maskuline Version. Eilig wurde eine neue Urkunde angefertigt, doch Allen bestand darauf, dass beide Versionen an ihrem Arbeitsplatz an der Wand hingen.
Über die 70er Jahre erinnerte sie sich im Interview: "Es gab weniger Frauen [als in den 50ern] und wo immer ich mich auch umschaute – weniger bei den Verbänden, oder unserem Gebiet Compiler und Sprachen, oder bei IBM –, aber in vielen Bereichen war da eine große unsichtbare Wand." Diese Wand hielt Frauen davon ab, Karriere zu machen. Als Mentorin ermutigte Allen Frauen in den 80er und 90er Jahren, sich ihren Platz in der Informatik und IT-Branche zu suchen. So übte Allen einen nachhaltigen Einfluss auf ihre Studentin Anita Borg aus.
Transparent und ehrlich sein – auch in den sozialen Medien
Kurz vor ihrer Zeit als IBM Fellow und in den Jahren danach leitete Allen mit ihrer PTRAN-Gruppe Entwicklungsarbeiten im Bereich der Programmierung von Parallelrechnern, die schließlich im Blue Gene-Projekt mündeten, an dem Frances Allen bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 2002 arbeitete. Als "IBM Fellow Emerita" engagierte sie sich weiter in der Unterstützung von Frauen und wurde schließlich mit dem Turing-Award geehrt. In ihrer Dankesrede zur Preisverleihung zog Frances Allen ein beeindruckendes Fazit ihrer Lebensleistung.
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Bis die Alzheimer-Krankheit ihr die Kommunikation verunmöglichte, nutzte Allen Social-Media-Kanäle und ermunterte Ruheständler, selbst diese Kanäle zu nutzen. Abseits ihrer Veröffentlichungen zum Compilerbau wurde sie häufig mit einer Mahnung in der Öffentlichkeit zitiert: "Social Media ist die tägliche Portion, die Menschen daran erinnert, dass du existiert und es sollte daher so transparent und ehrlich sein wie alles andere, was du tust, oder die Menschen werden dich zur Rede stellen."
(tiw)