Geheimdienste: Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner-Befugnis
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte ruft das Bundesverfassungsgericht an. Es geht um die Lizenz zur erweiterten Quellen-TKÜ für deutsche Nachrichtendienste.
Die jüngste Novelle des Verfassungsschutzrechts wird zum Fall für das Bundesverfassungsgericht. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erhebt in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen den im Artikel-10-Gesetz (G10) geregelten Einsatz von Staatstrojanern. Es geht um die Befugnis für alle 19 Nachrichtendienste von Bund und Ländern, per Spähsoftware in Smartphones und Computer einzudringen sowie verschlüsselte Nachrichten und Internet-Telefonate via WhatsApp, Skype, Signal, Threema & Co. mitzuschneiden.
Zu den zehn Beschwerdeführern gehören Juristen und Journalisten wie der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer, die vom NSU 2.0 betroffene Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız und Jean Peters, Aktionskünstler des Kollektivs Peng. Sie befürchten eine Überwachung ihrer verschlüsselten Kommunikation, etwa aus Messengern. Schwere Grundrechtseingriffe seien vorprogrammiert, monieren sie: Die Geheimdienste müssten keine nennenswerten Voraussetzungen erfüllen, um Staatstrojaner einzusetzen. Betroffenen hätten zudem "keinerlei Möglichkeit sich gerichtlich zu wehren".
Der Bundestag hatte das umstrittene Gesetz zur "Anpassung des Verfassungsschutzrechts" vorigen Sommer noch unter Schwarz-Rot beschlossen. Zulässig wird damit eine erweiterte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ): Agenten dürfen so die laufende Kommunikation direkt am gehackten Endgerät abgreifen, bevor sie ver- oder nachdem sie entschlüsselt wurde, ebenso auch gespeicherte Chats und Mails.
IT-Grundrecht verletzt?
Laut der Beschwerde ist damit der Schutz des Fernmeldegeheimnisses gefährdet. Der Zugriff finde heimlich statt und werde in der Regel auch später nicht offengelegt. Da die Geheimdienste nicht nur auf laufende Unterhaltungen, sondern auch auf bereits gespeicherte Kommunikationsdateien zugreifen können, sei zudem das "IT-Grundrecht" auf Vertraulichkeit und Integrität von Computersystemen verletzt: Es schützt Nutzer etwa vor einer Veränderung ihrer technischen Geräte und deren Programmen.
Mit dem Computer-Grundrecht gehe eine Schutzpflicht für den Staat einher, argumentieren die Kläger. Er müsse IT-Sicherheitslücken eigentlich aufdecken und sie schließen lassen. Die Staatstrojaner-Befugnis setze dagegen Anreize dafür, solche Schwachstellen offenzuhalten. Anders könne die Überwachungssoftware nicht installiert werden.
Kritik an Verbunddatei
Daneben greifen die Beschwerdeführer das mit der Novelle geschaffene erweiterte Informationssystem der Geheimdienste an. Alle Verfassungsschutzbehörden und seit Kurzem auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) speisen Informationen in diese Verbunddatei ein und stellen sie damit anderen berechtigten Ämtern zur Verfügung. Laut der Eingabe besteht ein großes Risiko, dass es bei dieser enormen Datensammlung zu Missbrauch kommt.
"Die G10-Anpassung setzt den gefährlichen Trend der letzten Jahre fort", moniert der zuständige GFF-Jurist Jürgen Bering. Damit seien neue technische Überwachungsmöglichkeiten für alle einschlägigen Behörden geschaffen worden – ohne Not, ohne Rücksicht auf gefährdete Grundrechte und ohne ausreichende Kontrolle. "Eine Abwägung des tatsächlichen Nutzens von Staatstrojanern mit den grundrechtlichen Risiken findet gar nicht erst statt." Das wäre aber gerade bei Geheimdiensten entscheidend, da deren Kompetenzen im Vorfeld von Straftaten sehr "vage definiert" seien und im Nachgang kaum überwacht würden.
Klageerfolg in Bayern
Erst jüngst konnte die GFF mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz erreichen, dass die Karlsruher Richter weite Teile der Überwachungsbefugnisse der Staatsschützer des Bundeslands kassierten und höhere rechtsstaatliche Standards für Spionagebehörden forderten. Die Bundesregierung plant im Lichte des Urteils eine größere Reform des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV): Wenn der Inlandsgeheimdienst tief in Grundrechte eingreift, soll künftig eine unabhängige Vorabkontrolle erfolgen.
Die Ampel-Koalition will für den Einsatz von staatlicher und kommerzieller Überwachungssoftware die Eingriffsschwellen generell höher legen. Die Staatstrojaner-Lizenz für das BfV werde im Rahmen der geplanten Überwachungsgesamtrechnung überprüft, ist dem Koalitionsvertrag zu entnehmen. Gegen die Quellen-TKÜ-Vorgaben für die Geheimdienste sind auch noch Klagen von Reporter ohne Grenzen, dem Whistleblower-Netzwerk und investigativen Journalisten vor Verwaltungsgerichten anhängig.
(mki)