Gericht: Facebook muss bei Rechtsverstößen auch ähnliche Inhalte löschen

Renate Künast hat durchgesetzt, dass Facebook Memes mit einem Falschzitat selbst finden und löschen muss. Hat das Urteil Bestand, sind die Folgen erheblich.

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Renate Künast

(Bild: dpa, Soeren Stache/dpa/Archivbild)

Lesezeit: 5 Min.

Facebook muss Memes mit einem falschen Zitat der Politikerin Renate Künast (Grüne) und sinngleiche neue Varianten eigenverantwortlich löschen. Das geht aus einem Unterlassungsurteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom Freitag hervor. Das soziale Netzwerk hat demnach die Pflicht, einmal als rechtswidrig festgestellte Inhalte auch im Wiederholungsfall zu löschen, ohne vorher auf jeden Einzelfall hingewiesen werden zu müssen. Das Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist, weitet die Prüfpflichten von sozialen Medien deutlich aus (Az. 2-03 O 188/21).

Gegenstand des Verfahrens ist ein in sozialen Medien verbreitetes Bild der Politikerin, auf dem ihr ein Zitat zugeschrieben wird, das sie nie gesagt hat: "Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!" Zuvor war Künast bereits erfolgreich gegen Falschzitate und Beleidigungen vorgegangen, teilweise bis vors Bundesverfassungsgericht. In einem ähnlichen Verfahren hatte das oberste Gericht Österreichs Facebook im November 2020 dazu verpflichtet, auch sinngleiche Postings weltweit zu löschen. Mit Unterstützung der Organisation HateAid wollte Künast mit ihrer Klage nun erreichen, dass auch ein deutsches Gericht eine erweiterte Verantwortung des Plattformbetreibers feststellt.

Bisher hatte die deutsche Rechtssprechung in solchen Fällen in der Regel nur Unterlassungsansprüche gegen die Veröffentlichung eines bestimmten Postings unter einer konkreten Adresse festgestellt. Plattformbetreiber wie Meta waren so nur gezwungen, diese eine Posting zu löschen. Damit blieb es den Betroffenen überlassen, weitere Kopien oder inhaltsgleiche Postings selbst aufzuspüren und erneut löschen zu lassen.

Die Pressekammer des Landgerichts Frankfurt hat Künast nun einen grundsätzlichen Unterlassungsanspruch auch für ähnliche Postings zugestanden. "Auch Varianten dieses Memes mit kerngleichem Inhalt muss das soziale Netzwerk ohne erneuten Hinweis auf die jeweilige URL löschen", teilte das LG Frankfurt dazu am Freitag mit. Darüber hinaus habe Künast "wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts" einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro.

Zwar müsse ein Diensteanbieter nicht grundsätzlich alle eingestellten Beiträge ohne einen Hinweis auf eine eventuelle Rechtsverletzung prüfen, betont das Gericht. "Nachdem Renate Künast aber konkret darauf hingewiesen hatte, dass die ihr zugeschriebene Äußerung ein falsches Zitat ist, muss sie diesen Hinweis nicht für jeden weiteren Rechtsverstoß unter Angabe der URL wiederholen", erklärte die Vorsitzende der Kammer in der Urteilsbegründung.

Die Löschpflicht eines Plattformbetreibers gilt nach Ansicht des Gerichts nicht nur für ein gemeldetes Posting, sondern auch für Varianten "etwa mit verändertem Layout oder durch Erweiterung oder Weglassen von Textinhalten, durch Tippfehler oder durch Veränderung für das Auge nicht wahrnehmbarer Pixel". Nach deutschem Recht müsse der zur Unterlassung Verpflichtete "selbst feststellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist", betont die Vorsitzende. "Das gilt auch in diesem Fall."

Auch hat die Kammer Einwände von Facebook-Mutter Meta verworfen, eine erweiterte Prüfpflicht erfordere einen unverhältnismäßig hohen Aufwand. "Die Beklagte hat nicht dargetan, dass es ihr technisch und wirtschaftlich nicht zumutbar ist, ohne konkrete Bezeichnung der URL identische und ähnliche Memes zu erkennen und zwar auch, wenn für die Beurteilung eines abgewandelten Textes in einem Eintrag eine menschliche Moderationsentscheidung notwendig wird", heißt es im Urteil weiter.

Facebook hatte nach der Klage zunächst versucht, Künast mit freiwilligen Maßnahmen entgegenzukommen. Darauf war die Politikerin nicht eingegangen, weil sie ein allgemeingültiges Urteil erstreiten wollte. "Ich freue mich sehr über das heutige Urteil des Landgerichts Frankfurt", erklärte Künast, die das Urteil als "Meilenstein für unsere Demokratie" bezeichnete. "Diese Grundsatzentscheidung mit der Pflicht alle vorhandenen Falschzitate zu löschen, nimmt die Plattformen endlich in die Pflicht."

"Wir haben das von Frau Künast gemeldete Falschzitat von der Facebook-Plattform entfernt und haben in diesem Fall weitere Maßnahmen ergriffen, um außerdem identische Inhalte zu identifizieren und zu entfernen", erklärte eine Meta-Sprecherin. Das Unternehmen werde zunächst die Urteilsbegründung abwarten und dann "weitere mögliche Schritte prüfen". Das Unternehmen kann in Berufung zum Oberlandesgericht gehen. Da es um eine weitreichende Grundsatzentscheidung geht, ist damit zu rechnen.

In der Berufung wird sich dann auch erweisen, ob das von HateAid als "Sensation" gefeierte Urteil Bestand hat. So wünschenswert eine erweiterte Prüfpflicht im Einzelfall auch ist, sie könnte aufseiten der Anbieter zu einem unerwünschten Overblocking führen – womit diese auch unverhohlen argumentieren. Mehr Pflichten bedeuten mehr technischen und personellen Aufwand, den so wohl nur die großen Plattformbetreiber stemmen können. Solche Auflagen bergen damit auch immer die Gefahr, dass sie die Vormachtstellung der wenigen Plattformriesen zementieren.

(vbr)