Gigaset-Übernahme aus China: Digitale Souveränität wird konterkariert

Die chinesische VTech Holdings Limited übernimmt den Telefonhersteller Gigaset. Wenigstens die Arbeitsplätze gesichert? Das darf bezweifelt werden.

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(Bild: iX)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Benjamin Pfister

Die Übernahme des europäischen Marktführers für DECT-Telefone (Digital Enhanced Cordless Telecommunications) müsste man in der Erstbetrachtung zunächst positiv bewerten. Die im September 2023 angekündigte Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung scheint nun abgewendet. Folglich dürften sich die 850 Mitarbeiter nun Hoffnung auf Weiterbeschäftigung machen.

Die beiden Parteien betonen, wie üblich bei Übernahmen, zunächst die entstehenden Synergieeffekte, darunter eine Kooperation im Bereich Forschung und Entwicklung, aber auch die Erweiterung von weltweiten Absatzkanälen und des Produktportfolios, sowie eine Stärkung der Produktionspräsenz in Europa. VTech übernimmt Grundstücke, Patente, technischen Anlagen und Vorräte für die Produktion von Festnetztelefonen.

Aber: Wird die Produktion auch mittel- und langfristig in Europa, konkreter im nordrhein-westfälischen Bocholt verbleiben? In Anbetracht der vergleichsweise hohen Personal- und Produktionskosten in Deutschland im Vergleich zu China ist das überaus fraglich.

Bereits im Jahr 2013 hatte der Investor Pan Sutong aus Hongkong die mehrheitlichen Stimmrechte der Gigaset AG über die Goldin Fund Pte. Ltd. erworben. VTech erwarb hingegen 2016 bereits den aus dem Enterprise-Umfeld bekannten Berliner VoIP-Pionier Snom. Die aktuelle Übernahme soll nach Angaben von Gigaset voraussichtlich am 2. April 2024 abgeschlossen sein.

Allgemein befindet sich der gesamte Telekommunikationsmarkt derzeit im Umbruch. Die klassischen Telekommunikationshersteller aus der EU müssen vielfach Übernahmen akzeptieren. Dies sieht man beispielsweise an der Übernahme von Unify (ehemals Siemens Enterprise Communications) durch die kanadische Mitel Ende 2023. Auch Alcatel-Lucent Enterprise wird bereits seit mehreren Jahren von der chinesischen Investmentgesellschaft China Huaxin gesteuert. Aber auch vor den neueren Herstellern wie Snom machen die Investoren aus China nicht halt.

Gleichzeitig wechseln immer mehr Nutzer auf Cloud-Telefonielösungen von Hyperscalern, wie Microsoft Teams Telefon, aber auch Ciscos Webex oder Zoom Calling. Die Corona-Pandemie sowie die zunehmende Nutzung der 365-Dienste von Microsoft und Integration mit Teams hat diesen Trend noch verstärkt.

Nach großen deutschen Telefonanlagenanbietern und Telefonherstellern muss man schon etwas suchen. Aktuell stehen bei den Cloud-basierten Telefonanlagen beispielsweise die Münchener NFON oder für den On-Premises- oder Cloud-Betrieb noch die Sindelfinger Innovaphone zur Verfügung. Diese entwickelt zudem neben ihren Softwarelösungen auch noch eigene schnurgebundene Telefone für Geschäftskunden.

Im DECT-Umfeld, auf dem Gigaset ein Schwergewicht darstellt, wird der Markt in der EU klein. Viele Hersteller kaufen hier von chinesischen Herstellern wie RTX zu. Im Geschäftskundenumfeld und im Bereich Multizellen-DECT ist noch die Schweizer Ascom vertreten.

Nun könnte man argumentieren, dass DECT veraltet sei – ist es aber nicht, denn es hat bei vielen Nutzungszwecken, wie in Krankenhäusern oder auch Kindertagesstätten, durchaus seine Berechtigung. Voice over WLAN konnte sich durch Infrastrukturherausforderungen, wie Reichweiten, Anforderungen für Handover und Akkulaufzeiten der Endgeräte, zumindest in Deutschland nicht durchsetzen.

Im Kontext der Gigaset-Übernahme stellt sich nun auch die große Frage einer potenziellen Übernahme der Berliner Fritz!Box-Schmiede AVM. Ende 2023 hatte das Handelsblatt davon berichtet, dass die derzeitigen Eigentümer über den Verkauf nachdenken und das Interesse der Investoren groß ist. Droht also auch hier der Ausverkauf nach China? Der digitalen Souveränität in Deutschland würde dies einen Bärendienst erweisen und Bestrebungen der Bundesregierungen, beispielsweise im Bereich der geförderten Chipherstellung, konterkarieren.

(fo)