Hintergrund: Das Establishment frisst den "Revoluzzer"

Der Kauf von Napster durch Bertelsmann macht klar: Die Auseinandersetzung zwischen Napster und der Musikindustrie dreht sich nicht darum, ob es neue Vertriebskanäle gibt, sondern wer sie beherrscht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 53 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jürgen Kuri

"Wir machen es den Leuten wirklich schwer, legal an Musik im Netz zu kommen", sagte kürzlich Andreas Schmidt, Chef der Bertelsmann eCommerce Group. Untersuchungen hätten belegt, dass zum Beispiel 76 Prozent der Napster-Nutzer für Musikstücke zahlen würden, wenn sie legal und in guter Qualität angeboten werden würde. "Der Austausch digitaler Musikstücke ist nicht aufzuhalten", sagt Schmidt. Und wenn man es nicht selbst hinbekommt, dann beteiligt man sich eben an dem Vorreiter der Tauschbörsen im Internet – oder übernimmt ihn gleich ganz. Die so genannte "strategische Allianz" zwischen Bertelsmann und Napster, die am heutigen Dienstag verkündet wurde, ist daher nur konsequent.

Bertelsmann bekommt Zugang zu einem eingeführten Dienst, Napster einen finanzstarken Partner, der gleich noch ein Musiklabel in die neue Ehe mit einbringt. Und die derzeit weltweit 37 Millionen registrierten Napster-Nutzer sind allein ein Wert, den man gar nicht hoch genug schätzen kann – allein für diese Daten hätte sich ein Vielfaches des angeblichen Kaufpreises, wohl ein zweistelliger Millionenbetrag, gelohnt. Doch dazu kommt noch, dass es sich um die aktivsten Nutzer handeln dürfte, die eine ganz besonders wertvolle Zielgruppe darstellen.

Stufenmodell

Wie bei allen Internet-Anwendungen, so wird nun auch bei Napster die nächste Stufe des Geschäftsmodells eingeführt: Aus der kostenlosen Tauschbörse wird ein Abonnenten-Modell. Offiziell wird es damit begründet, dass Urheberrechte damit abgegolten werden. Doch andererseits entspricht es exakt dem Plan jedes kommerziellen Internet-Geschäfts: Erst einmal Marktanteile besetzen und einen Kundenstamm aufbauen, auch unter Inkaufnahme hoher Anlaufverluste durch kostenlose Angebote. Und dann erst kommt das eigentliche Geschäftsmodell, mit dem irgendwann auch Gewinne eingefahren werden sollen.

Pikanterie am Rande ist natürlich, dass Napster im Konzert mit Bertelsmann nun genau das umsetzen will, was die Musikindustrie in den juristischen Auseinandersetzungen immer wieder von der Tauschbörse forderte: Nämlich den Tausch über Napster ständig zu kontrollieren und Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden. Napster lehnte dies immer als "technisch undurchführbar" ab.

Ohne eine solche Technik wird sich aber natürlich kein Abonnement-Modell realisieren lassen, wie es Bertelsmann nach Aussagen gegenüber c't vorschwebt. Jeden einzelnen Transfer zu kontrollieren und abzurechnen ist natürlich technisch nicht trivial, zumal, wenn Bertelsmann auch noch vorhat, Gebühren für die Zeit zu erheben, die ein Song auf der lokalen Festplatte des Nutzers gespeichert ist. Auf der anderen Seite aber ist natürlich auch ein Modell mit einer monatlichen Gebühr vorstellbar – solche Vorschläge hatte Napster selbst schon in die Diskussion gebracht. Schließlich wussten auch die Napster-Chefs von Anfang, dass sie die Millionen-Investitionen durch Venture-Kapitalisten irgendwann wieder einspielen müssen.

Neue Freunde

Eines wird noch einmal klar: Napster ist nicht der Revolutionär, den viele am Werke sahen; die Tauschbörse ist nicht der kleine David, der für die User gegen die Goliaths der Musikindustrie kämpft. Ob sich allerdings aus dem Ansatz von Napster ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln lässt, bleibt auch nach dem Einstieg von Bertelsmann unsicher: Zu groß sind die Unwägbarkeiten, denen sich die Firmen bei der Einführung einer Gebühr für den Dienst gegenübersehen – die Reaktion der User wird auch von den konkreten Bedingungen abhängen, die ein Abonnement begleiten, und genau die lässt Bertelsmann bislang im Dunkeln. Und zu vielfältig sind die (momentan noch verfügbaren) kostenlosen Ausweichmöglichkeiten.

Die Plattenindustrie jedenfalls stürzt sich verstärkt auf das Internet als Verteilmedium. Die Frage ist nicht, ob sich die Distributionskanäle für Musik ändern, sondern wer diese Kanäle beherrscht – um nichts anderes geht es in den juristischen Auseinandersetzungen zwischen den Labels auf der einen und Napster oder MP3.com auf der anderen Seite.

Aber aus Gegnern können (finanzielle) Freunde werden: If you can't beat 'em, join 'em. Und bezeichnenderweise beteiligte sich auch nicht etwa die Bertelsmann Music Group, das Plattenlabel von Bertelsmann, an Napster, sondern die Bertelsmann eCommerce Group. Mit Napster kann Andreas Schmidt jedenfalls seine Vision von der Ablösung des Marktmodells durch das Netzmodell beginnen: Die beschränkte Verfügung durch den Kauf einer CD wird durch den unbeschränkten Zugang zur Musik durch das digitale Abonnement abgelöst. Und beim Fressen kommt der Appetit: Musik ist nur der Anfang – wenn das Vorhaben von Erfolg gekrönt ist. (jk)