Hintergrund: Plattenlabels vs. Internet - die Revolution findet nicht statt

Der Streit zwischen Internet-Anbietern und Plattenlabels scheint sich momentan auf eine Frage zuzuspitzen: Wer den Löwenanteil an den erwarteten Einnahmen bei Musik übers Internet für sich verbuchen kann.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 54 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jürgen Kuri

Die MP3-Tauschbörse Napster hat zumindest einen temporären Teilerfolg erzielt und die User-Gemeinde jubelt. Die Server des Anbieters dürfen bis zur Entscheidung im Hauptverfahren, ob die MP3-Tauschbörse das Urheberrecht verletzt, am Netz bleiben.

Derweil macht sich die Musikindustrie so ihre eigenen Gedanken über die Auswirkungen des Internet auf ihre Vertriebswege und Einkunftsquellen. Während der amerikanische Verband der Musikindustrie, die RIAA, einen Anbieter von Musik-Dienstleistungen im Internet nach dem anderen mit Klagen überzieht, einigen sich einige der großen Labels schon mit bestimmten Firmen. So machten bereits Time Warner, Bertelsmann und EMI einen Deal mit mp3.com und brachen damit aus der Phalanx der Labels aus, die mp3.com in die Knie zwingen wollten.

Auch der Mediengigant Bertelsmann sieht Phänomene wie Napster nicht nur unter dem Aspekt der Piraterie: Der Tausch von Musikdaten über das Internet würde nach Ansicht von Andreas Schmidt, Vorstand der Bertelsmann E-Commerce Group, auch bei einem gerichtlichen Stopp von Musik-Tauschbörsen wie Napster ungebremst weitergehen. "Wo Nachfrage ist, ist immer auch ein Angebot", sagte Schmidt laut dpa am heutigen Samstag. Napster habe Musikfans dazu verleitet, illegal Musik auszutauschen. Die Internet-Börse habe aber auch gezeigt, dass die Zukunft der Musikdistribution in der Digitalisierung liege. "Die Musikindustrie muss schleunigst digitale Musik in sicheren, kopiergeschützten Formaten zur Verfügung stellen, damit die Nachfrage der Konsumenten befriedigt werden kann", sagte Schmidt. Die großen Unternehmen stünden dabei in einer Bringschuld gegenüber dem Markt, die bislang nicht erfüllt worden sei. "Solange dies nicht geschieht, wird kein Gericht der Welt die illegale Nutzung der Daten über Napster oder den Nächsten effektiv stoppen können", sagte Schmidt.

Aber auch die vermeintlichen Revolutionäre der Internet-Musik denken langsam um: Napster selbst will schon mit Liquid Audio Möglichkeiten entwickeln, Tauschbörsen ohne Gefahren für das Urheberrecht zu betreiben; und mp3.com zahlt mittlerweile Lizenzgebühren an Plattenlabels.

Findet die Revolution also nicht statt? Absehbar scheint zumindest zu sein, dass sich die Plattenindustrie verstärkt aufs Internet als neues Distributionsmedium stürzt – nachdem sie von den Neulingen der Internet-Ökonomie mit der Nase darauf gestoßen wurde. EMI versucht es beispielsweise in Kooperation mit Microsoft selbst. Und andere Konzerne werden nachziehen – entweder, indem sie sich mit Internet-Anbietern einigen und von ihnen Lizenzgebühren einstreichen wie im Fall von mp3.com, oder in dem sie mit eigenen Aktivitäten in die Öffentlichkeit treten. Und die Startups wollen schließlich auch Geld verdienen: So hat Napster zwar bis heute kein Geschäftsmodell der Öffentlichkeit präsentiert, konnte aber schon einige Millionen US-Dollar an Venture Capital einstreichen; mp3.com hatte zumindest einen erfolgreichen Börsenstart hingelegt, auch wenn die Aktie seither angesichts der Unwägbarkeiten des Geschäfts vor sich hindümpelt und momentan bei rund 10 US-Dollar steht.

Der Streit zwischen Internet-Anbietern und Labels scheint sich momentan auf eine Frage zuzuspitzen: Wer den Löwenanteil an den erwarteten Einnahmen bei Musik übers Internet für sich verbuchen kann, die Labels selbst oder die neuen Zwischenhändler der Internet-Ökonomie. Allerdings gibt es noch eine zusätzliche Variable in dieser bislang ungelösten Gleichung: die User. Und deren Reaktion auf kommerzielle, kostenpflichtige Musik-Angebote im Internet ist bislang für die beteiligten Firmen noch gar nicht abzuschätzen. (jk)