Hinweisgeber: Wirtschaft gegen Bußgelder bei mangelndem Whistleblower-Schutz

Der Regierungsentwurf für Mitarbeiter, die Missstände melden, war bei einer Anhörung umstritten. Der Mittelstand befürchtet einen Aufwand wie bei der DSGVO.

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(Bild: CarpathianPrince/Shutterstock.com)

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Teilen der Wirtschaft liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum besseren Schutz von Hinweisgebern schwer im Magen. Die Meldung von Missständen sei prinzipiell zwar "von erheblicher Bedeutung", erklärte Kristina Harrer-Kouliev von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) am Mittwoch bei einer Anhörung im Bundestag. Schon heute gebe es aber oft Hinweisgeberstrukturen in Firmen, über die Mitarbeiter ohne Angst vor Repressalien Übel melden könnten.

Der deutsche Gesetzgeber müsse daher die der Regierungsinitiative zugrundeliegende EU-Richtlinie "mit Augenmaß" umsetzen, mahnte Harrer-Kouliev. Es gelte, weitere Beanspruchungen der Wirtschaft in der derzeit schon angespannten Situation zu vermeiden. Der vorgesehene ausgedehnte Anwendungsbereich auf eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Vorschriften sei überflüssig. Es fehlten zudem sinnvolle Anreize, "dass vorrangig intern gemeldet wird". Die vorgesehenen zusätzlichen Außenstellen müssten erst umfangreiche Ermittlungen durchführen, während ein Unternehmen die Lage am besten selbst beurteilen, aufklären und Abhilfe schaffen könne.

Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sei die Sorge angesichts der vorgesehenen Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen "sehr, sehr groß", teilte Hildegard Reppelmund vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) den Abgeordneten mit. Der befürchtete bürokratische Aufwand werde bereits mit dem zur Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verglichen. KMU sollen aber mit anderen Firmen zusammen eine gemeinsame Meldestelle betreiben können. Auch Dritte oder die Konzernmutter können beauftragt werden.

Besonders aufwendig werde es, im Einklang mit dem Vorhaben auch anonyme Hinweise zu verfolgen, hob Reppelmund hervor. Dabei müsse eine Firma etwa auch zurückfragen können, was zusätzliche Kosten erzeuge. Auch KMU könnten es ferner nicht vermeiden, sich beraten zu lassen, Mitarbeiter zu schulen und eingehende Hinweise zu bearbeiten. Selbst Unternehmen, die schon ein Meldesystem haben, müssten diese anpassen. Der von der Regierung geschätzte Aufwand in Höhe von 260 Millionen Euro für die Wirtschaft und die öffentliche Hand sei daher zu niedrig angesetzt.

Die skizzierten Bußgelder bei mangelndem Whistleblower-Schutz hielt die DIHK-Vertreterin für "nicht erforderlich – schon gar nicht in einer Höhe von bis zu 20.000 Euro". Für die Firmen sei es schon Ansporn genug, die Vorgaben einzuhalten, dass sich Hinweisgeber gegebenenfalls auch an externe Meldestellen wenden könnten und so ein Imageschaden zu befürchten sei. Sollten die finanziellen Sanktionen nicht mehr zu vermeiden sein, plädierte Reppelmund dafür, zumindest eine Schonfrist vor deren Greifen zu gewähren.

Konzerne wie die Facebook-Mutter Meta könnten derlei geringe Strafen kaum abschrecken, gab dagegen David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zu bedenken. Er warb dafür, die Bußgelder am Jahresumsatz von Firmen auszurichten, wie es etwa bei der DSGVO der Fall ist.

Verena Westphal vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) monierte, dass die Exekutive den Anwendungsbereich des Gesetzes unverhältnismäßig erweitern wolle auf "rechtmäßiges Verhalten". Dafür nutze sie den Vorwand, dass auch legale Handlungen missbräuchlich sein könnten. Dafür fehle jedoch ein objektives Bemessungskriterium.

Werdermann und andere Vertreter aus der Zivilgesellschaft beklagten indes, dass der Anwendungsbereich längst nicht weit genug gehe. So wären etwa der NSA-Whistleblower Edward Snowden und Frances Haugen, die rund um Facebooks Geschäftsgebaren etwa beim Kinderschutz die Alarmglocken läutete, nicht geschützt. Die massenhafte Kommunikationsüberwachung durch Geheimdienste verstoße zwar gegen Grundrechte. Mit dem Entwurf würden aber nur DSGVO-Verstöße abgedeckt, die für Sicherheitsbehörden nicht gelte. Zudem sei dieser Bereich insgesamt recht pauschal ausgenommen.

Snowden habe überwiegend Verschlusssachen geleakt, die bei der Initiative ebenfalls weitgehend außen vor blieben, führte Werdermann weiter aus. Dies sei nicht richtlinienkonform, warnte der Münsteraner Rechtsanwalt Nico Herold. Es reiche ein Stempel zur entsprechenden Einstufung von Dokumenten aus, um aus dem Gesetzesrahmen herauszukommen. Ein Whistleblower müsste sich dann auf Notstand berufen, um solche Papiere nach außen zu geben. Besser wäre es, eine spezielle externe Meldestelle für diese Bereiche einzuziehen.

Allein nach einer Anfrage aus dem Maut-Untersuchungsausschuss seien über 100 Dokumente plötzlich unter Verschluss gestellt worden, erinnerte Annegret Falter, Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, an Missbrauch mit eingestuften Papieren. Ein ähnliches Problem gebe es bei vielen parlamentarischen Anfragen, wo Ministerien gern auf angeblich zu schützende Staatsgeheimnisse verwiesen und Antworten vorenthielten. Allein das Bundesinnenministerium habe seit 2008 fast 200.000 Verschlusssachen gehortet.

Die Mahnung des Bonner Rechtswissenschaftlers Gregor Thüsing, dass notorische Denunzianten den neuen Schutzschirm nutzen könnten, um etwa Schlagzeilen über angebliche Verstöße gegen ein Vorstandsmitglied zu lancieren und dieses nach seinem Rauswurf nicht einmal einen Schadenersatzanspruch habe, konterte Falter mit Einblicken in die jahrelange Beratungspraxis. Bei dem Netzwerk seien Hunderte von Anfragen eingegangen, dass es dabei um das bewusste Herbeiführen von Reputationsschäden gehe, könne sie aber in keiner Weise sehen.

Vielmehr identifizieren sich Falter zufolge Arbeitnehmer in der Regel in hohem Maße mit ihrer Organisation, in der sie teils die Hälfte ihres Lebens verbrächten. Sie wollten den Fortbestand ihres Unternehmens sichern und dieses nicht in die Pleite reden. Vielmehr sollten Arbeitgeber das Risiko tragen, dass sie Hinweisgeber nicht mit Repressalien überziehen könnten. Auch "zweckwidriges Verhalten" unterhalb der Sanktionsschwelle etwa von Kündigungen sollte untersagt sein, da es damit für Arbeitnehmer ebenfalls "ungemütlich" werden könnte.

Das Aufdecken "erheblicher Missstände" und sonstigen Fehlverhaltens im öffentlichen Interesse müsse von dem Gesetz erfasst werden, forderte Falter unter Verweis etwa auf die Vorgänge beim rbb gemeinsam mit Werdermann sowie dem Göttinger Medienrechtler Simon Gerdemann und Louisa Schloussen von Transparency International Deutschland. Dies habe die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag auch so vorgesehen. Laut dem Entwurf wären Whistleblower im Cum-Ex- und Wirecard-Skandal sowie bei rechtsextremen Polizei-Chats nicht gut geschützt.

Dies gelte auch bei einem Mitarbeiter in einem Textilunternehmen, dem übel aufstoße, dass dessen Waren künftig von Kindern in Somalia produziert werden sollten, verdeutlichte Schloussen. Bei einer vertraulichen Meldung oder Anzeige dürfte der Staatsanwalt so sogar ihre Daten weitergeben. Zudem fehlten die von der Koalition versprochenen "unterstützenden Hilfen" für Hinweisgeber. So wäre es etwa sinnvoll, eine staatliche unabhängige Beratungsstelle oder einen Beauftragten nach Vorbild Frankreichs einzurichten, um in Deutschland erst mal eine Meldekultur zu etablieren. Ferner gebe es zu viele Doppelmeldeverfahren etwa im Arbeitsschutz- oder Lieferkettengesetz, die harmonisiert werden müssten.

Der Entwurf "bleibt sehr deutlich hinter unseren Erwartungen zurück", konstatierte Jana Wömpner vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Um Vergeltungsmaßnahmen von Betrieben zu verhindern, müsse ein eigener Kündigungsschutz geschaffen werden. Nur so könnten etwa die Probezeit oder Start-ups einbezogen werden. Während eines Prozesses müsse es ein Recht auf Weiterbeschäftigung geben. Eine vollständige Wiedergutmachung sollte ferner eine potenzielle Beförderung einschließen. Für Mitarbeiter in Meldestellen müsse ein Sonderschutz gelten, damit diese unabhängig agieren könnten.

(olb)