Impfstoff-Patente & Co.: Buschmann sieht Zwangslizenzen als Damoklesschwert

Justizminister Buschmann hat zum Tag des geistigen Eigentums vor einer Zentralplanungswirtschaft gewarnt, in der Erfinder ohne Rechteschutz enteignet würden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 81 Kommentare lesen

Marco Buschmann auf einer Konferenz von Wirtschaftsverbänden zum Welttag des geistigen Eigentums.

(Bild: Stefan Krempl)

Lesezeit: 6 Min.

Auf einer Konferenz von Wirtschaftsverbänden zum Welttag des geistigen Eigentums hat Bundesjustizminister Marco Buschmann am Freitag in Berlin eine Lanze für den Erhalt immaterieller Schutzrechte gebrochen. Vor allem während der Corona-Pandemie und dem Streit über eine Freigabe von Impfstoff-Patenten seien immer wieder Rufe nach Zwangslizenzen aufgetaucht, erklärte der FDP-Politiker. Auch die EU-Kommission mache sich mit ihrem Entwurf für ein Patentpaket dafür stark. Buschmann sieht das sehr skeptisch und als "Form der Enteignung". Damit hinge immer ein "Damoklesschwert" über Investitionen in geistiges Eigentum und damit auch über Innovationen, obwohl letztere weiter "die große Zukunftschance für unseren Kontinent" seien.

Bei einer Anhörung im Bundestag 2022 hatten mehrere der geladenen Experten für die Losung "Öffentliches Geld, öffentliche Impfstoffe" und so für einen effektiveren Einsatz von Steuergeldern plädiert. Nach den ersten Monaten der Corona-Pandemie bezeichnete auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen künftigen Impfstoff gegen die rasch um sich greifende Infektionskrankheit noch als "globales öffentliches Gut". Doch wenige Wochen später erfolgte nach einer Kampagne der Pharma-Industrie die Kehrtwende.

Gegen die vehementen Forderungen nach einer Patenfreigabe habe die Regierung "in unendlichen Nachtschichten gekämpft", ließ Buschmann nun durchblicken. Auch der EU-Rat baute zunächst auf die flexiblen Möglichkeiten, die im "Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (TRIPS) vorgesehen sind. Dazu gehört prinzipiell auch eine Ausnahme vom Patentschutz mit dem sogenannten "Waiver". Ein solcher Schritt wäre laut Buschmann aber einer Ansage auch an den deutschen Impfstoff-Hersteller Biontech gleichgekommen: "Wir nehmen den Kern eures Geschäftsmodells weg." Wenn solche Unternehmen ihres geistigen Eigentums enteignet worden wären, hätten sie dieses nicht mehr in gewohnter Form für die Lösung von Menschheitsproblemen einsetzen können.

Appelle für die Erlaubnis, "alle Ressourcen hin- und herzuschieben", bezeichnete Buschmann als "Ausfluss einer geistigen Krise". Der Soziologe Philipp Staab spreche von der Sehnsucht nach einer "protektiven Technokratie" mit einer Zentralverwaltungswirtschaft im Zentrum. Für den Liberalen stärkt das menschliche Gemeinwesen aber weniger eine planende, kollektive Zentralmacht, die zu Bürokratie und Übergriffigkeit treibe, als vielmehr "die Kraft des Einzelnen, des Forschers". Entscheidend seien daher weiterhin international faire Regeln zum Schutz von Immaterialgüterrechten. Dafür gelte es zu streiten, damit dieses Modell nicht weltweit immer stärker in die Defensive gerate.

Als "historischen Meilenstein" feierte Buschmann die Einrichtung des Europäischen Patentgerichts zur Durchsetzung des neuen Einheitspatents. Ganze Generationen seien damit beschäftigt gewesen, die Institution zum Laufen zu bringen. Zum Schluss wäre Vorhaben fast noch an "nationalen Egoismen" gescheitert, da auch Frankreich und Italien Ansprüche auf Zentralkammern angemeldet hätten. Zweigstellen der Zentralabteilung des Patentgerichts werden nun in Paris, Mailand und München eingerichtet. Der Minister lobte, "dass wir vor allem das Institut des Technischen Richters aus Deutschland dort etablieren konnten".

Wissenschaftler gehen angesichts des komplizierten Vertragsrechts indes von einer "riskanten Wette" aus. Gegner warnen seit Langem, dass mit der europaweiten Durchsetzbarkeit gewerblicher Schutzrechte mehr Softwarepatente in den beteiligten Ländern schlagartig bestätigt werden könnten, obwohl deren Vergabe umstritten ist. Alissa Zeller, Expertin für Intellectual Property (IP) bei BASF, wunderte sich derweil über die zu dem Konzern kommenden digitalen Erfinder und Coder, die die "Open-Source-Philosophie" vor sich hertrügen. Das sei "nervig, kompliziert, falsch". Denn spätestens fünf Jahre später werde es teuer, wenn deren Innovationen nicht geschützt würden. Auch bei kleineren Firmen wundere sie sich oft, dass sie allenfalls national mal ein schlechtes Patent anmeldeten und dann ihre Technologien weltweit offenlegten. So lasse sich ihr Produkt nicht mehr gut platzieren.

Das Patentsystem schaffe Anreize für Innovationen und biete einen fairen Ausgleich für Fortschritt, betonte die Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA), Eva Schewior. Sie stimmte es daher zuversichtlich, dass auch deutsche Firmen voriges Jahr wieder mehr Patente anmeldeten als 2022. Zugleich gab sie aber zu bedenken, dass Länder wie China oder Südkorea zunehmend gewerbliche Schutzrechte auch gezielt als strategisches Instrument nutzten. So steigerte das Reich der Mitte seine Anmeldungen allein bei den erneuerbaren Energien inklusive Solartechnik laut einer aktuellen DPMA-Analyse im Jahresvergleich von 56 auf 117 (+108,9 Prozent) und zog so mit Deutschland gleich.

Bei der Batterietechnik steht Korea 2023 auf Rang 1 mit 1638 Anträgen (+40,5 Prozent). Auf Platz 2 folgt China mit 1313 Anmeldungen (+78,8 Prozent). Damit kam fast die Hälfte aller Patenteinreichungen zur Batterietechnik aus diesen beiden Ländern. Bei der Computertechnik nebst Künstlicher Intelligenz (KI) sehe es inzwischen ähnlich aus, erläuterte Schewior, auch wenn hier die USA noch auf Rang 1 lägen. Für die DPMA-Chefin steht damit fest: "Wir müssen das Bewusstsein für geistiges Eigentum steigern." Das Amt habe daher bereits einen Workshop über "computerimplementierte Erfindungen" und bereite aktuell eine Social-Media-Kampagne für junge Unternehmer vor.

Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), monierte, dass die Bundesregierung zwar viele nationale Strategien produziere. Der Schutz des geistigen Eigentums stehe da aber "nicht notwendigerweise explizit drin". Das gelte auch für den Koalitionsvertrag. Die Industrie vertraue jedoch darauf, "dass Schutzrechte gestärkt werden". Dabei handle es sich nicht um ein Orchideenthema, denn "der Standort Deutschland muss neue Kraft schöpfen". Der Hebel schlechthin dafür, "der vollständig in unserer Hand liegt, ist Innovation". Grundlegende Bedeutung dafür habe das geistige Eigentum. Dieses bleibe auch im KI-Zeitalter eine Schlüsselressource. Er habe aber Zweifel, "ob ChatGPT das auch schon gelernt hat".

Der BDI veröffentlichte parallel "Eckpunkte einer IP-Strategie für Deutschland". Globale Herausforderungen wie Klimawandel und Erschließung gesellschaftsrelevanter Zukunftsfelder und Schlüsseltechnologien sowie die digitale Transformation erfordern demnach einen Masterplan, "um geistiges Eigentum als Ankerpunkt der Wissensgesellschaft zu etablieren". Das Tempo der Schutzrechtserlangung muss demnach an die Geschwindigkeit digitaler Technologien angepasst werden. Gerade in den Schlüsseltechnologien sei es wichtig, den Schutz von Immaterialgüterrechten klar zu definieren und weltweite Standardisierungen zügig voranzutreiben.

(amo)