Iraner sollen Opfern von Staatsgewalt gedenken

Aufgrund der Situation im Iran verlassen sich auch renommierte Medien wie die BBC derzeit hauptsächlich auf Amateur-Aufnahmen, die ihnen zugespielt oder im Internet veröffentlicht werden und bei denen lokale Mitarbeiter eine Überprüfung versuchen.

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  • dpa

Der bei den umstrittenen Präsidentenwahlen im Iran unterlegene Oppositionskandidat Mir Hussein Mussawi hat seine Anhänger für den heutigen Donnerstag zum Gedenken an die Opfer staatlicher Gewalt aufgerufen. Etliche Demonstranten seien während der Massenproteste der letzten Tage verletzt oder getötet worden, heißt es auf der Website des früheren Regierungschefs. "Ich bitte die Menschen, ihre Solidarität mit den Familien zu zeigen ..., indem sie in die Moscheen kommen oder sich an friedlichen Demonstrationen beteiligen", erklärte Mussawi. Mindestens fünf Menschen sollen seit Beginn der Proteste getötet worden sein. Viele wurden verletzt.

Zehntausende Iraner hatten ungeachtet der staatlichen Gewalt auch am Mittwoch wieder gegen die von Betrugsvorwürfen überschattete Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad protestiert und deren Annullierung gefordert. Mussawi kündigte eine Fortsetzung der Proteste an, bis die Wahl wiederholt wird. Augenzeugen schätzten die Zahl der Demonstranten auf mehr als 100.000. Verlässliche Angaben gab es nicht, weil das am Dienstag verhängte Berichterstattungsverbot für ausländische Medienvertreter über die Demonstrationen weiter galt. Größere Zwischenfälle wurden zunächst nicht bekannt.

Der angegriffene Präsident Ahmadinedschad verteidigte das bekanntgegebene Wahlergebnis erneut in einer Kabinettssitzung. Die Wahl demonstriere die Unterstützung für seine Regierungsarbeit. "De facto war die Wahl eine Volksabstimmung über das islamische System", sagte er.

Die US-Regierung forderte Teheran auf, den Konflikt auf "transparente" Weise zu lösen. Die andauernden Proteste seien ein Zeichen dafür, dass die Iraner zunehmend unzufrieden mit der diplomatischen Isolation ihres Landes seien, sagte US- Außenamtssprecher PJ Crowley in Washington. Er wies zugleich iranische Vorwürfe einer Einmischung in den Konflikt zurück. Der Iran hatte zuvor eine Reihe ausländischer Diplomaten einbestellt, um gegen angeblich "feindselige" Reaktionen nach der Präsidentenwahl zu protestieren. Darunter waren auch der deutsche Botschafter und der Botschafter der Schweiz, der die amerikanischen Interessen in Teheran vertritt.

Die größte Protestwelle seit der Islamischen Revolution vor 30 Jahren hat neben Teheran längst auch andere Städte des Landes erfasst. "Wir demonstrieren friedlich gegen Wahlbetrug, und alles, was wir wollen, ist die Annullierung der Wahl und Neuwahlen ohne Schwindel", so Mussawi. In einem offenen Brief verlangte er die Freilassung aller bei den Demonstrationen der vergangenen Tage Inhaftierten. Gemeinsam mit dem früheren Präsidenten Mohammed Chatami verurteilte er die Verhaftung von Demonstranten, darunter zahlreiche Journalisten, Anwälte, Studenten und Dissidenten. Auch der frühere Stellvertreter Chatamis soll unter Arrest sein.

In Medienberichten war am Mittwoch von mehr als 100 Festgenommenen die Rede. "Solche gewaltsamen Übergriffe sind in keiner Weise mit den Grundsätzen der Islamischen Republik zu vereinbaren", heißt es in der auf Mussawis Internetseite verbreiteten Botschaft an den Obersten Richter. Die Anhänger Mussawis behalfen sich verstärkt mit Internetdiensten wie Twitter, Facebook und Youtube, über die sie Bilder und Informationen austauschten. Telefon- und Mobilfunknetze wurden weiterhin von den staatlichen Stellen in Teheran zeitweise gestört. Die iranischen Revolutionsgarden forderten Betreiber von Internetseiten auf, keine Informationen zu verbreiten, die "zu Spannungen führen".

Aufgrund der Situation im Iran verlassen sich auch renommierte Medien wie die britische BBC derzeit hauptsächlich auf Amateur-Aufnahmen. Weil Kamerateams auf der Straße das Filmen verboten worden sei, nutze der Sender Bilder und Videos aus den Internet-Plattformen, sagte der Fernsehdirektor des BBC World Service, Peter Horrocks, im Gespräch mit dpa in London. Zudem erhalte die Redaktion von "BBC Persian" ständig eigene Bilder von Iranern.

Die BBC wolle mit der Nutzung von Bildern und Videos das Problem umgehen, dass viele Informationen nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden könnten. "Wir machen deutlich, dass unsere Journalisten nicht in der Lage sind, Sachverhalte zu bestätigen", sagte Horrocks. Tausende Informationen gingen täglich ein – für eine Bestätigung erreiche man oft niemanden. "Man kann nicht alles prüfen, man muss sein Urteilsvermögen dafür nutzen, was plausibel ist", sagte Horrocks. Manchmal tauchten Informationen auf Twitter auf, die die BBC dann von eigenen Kontaktpersonen gegenchecken lasse. Ein Bild sei aber oft verlässlicher als eine Information. "Bei den Bildern, die wir erhalten, ist die Echtheit ziemlich klar. Und sie sind einfacher zu nutzen als eine SMS, in der es heißt, ein Studentenheim wurde verwüstet."

Kamerateams gingen das Risiko ein, von Behörden bei den derzeit unerlaubten Aufnahmen im Freien ertappt zu werden, sagte Horrocks. "Das Risiko beschränkt sich auf Einschüchterungen. Das schlimmste, was unseren Teams passieren kann, ist des Landes verwiesen zu werden." Die Lage könne sich aber verschlimmern, "wenn die Gewalt, die von den Behörden angeheizt wird, zunimmt".

Siehe dazu auch:

  • Übersicht über Informationsquellen zu den Auseinandersetzungen im Iran, zusammengestellt von der BBC

(dpa) / (jk)