Jarasch zu Gaskrise: Staat kann nicht alle Härten steigender Preise abfedern

Angesichts der Energiekrise soll es Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger geben. Alles könne der Staat aber nicht übernehmen, sagt Grünen-Politikerin Jarasch.

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Gaspipeline

(Bild: INSAGO / Shutterstock.com)

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Die Inflation und die sich abzeichnende Gas- und Energiekrise wirken sich auf die Preise für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland aus. Berlins Umweltsenatorin Bettina Jarasch hält es vor dem Hintergrund dieser Entwicklung allerdings nicht für möglich, dass der Staat alle Folgen für die Bürger infolge rasant steigender Energie- und Lebensmittelpreise abfedert.

"Jetzt ein Rundum-Sorglospaket zu versprechen, würde bedeuten, die Menschen in eine Falle zu schicken", sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur (DPA). "Den Eindruck zu erwecken, der Staat könne dafür sorgen, dass sich nichts verändert, wäre Betrug an den Menschen. Mit der Gießkanne etwas über alle auszuschütten, werden wir uns nicht mehr leisten können. Und es wäre nicht gerecht."

Jarasch plädierte für möglichst zielgenaue staatliche Hilfen und Entlastungen für die am meisten von der Energiekrise betroffenen Menschen. Für Transferleistungsempfänger trage der Staat die Heizkostenzuschüsse. "Wir müssen jetzt vor allem diejenigen entlasten, die hart arbeiten, aber wenig verdienen."

Jarasch, die auch für Verbraucherschutz zuständig ist, verwies auf einen Vorschlag des DGB, für einen bestimmten Grundbedarf für Strom und Gas einen gegebenenfalls subventionierten festen Preis zu garantieren. Wer mehr verbraucht, müsste für diese Mehrmenge dann höhere Preise zahlen.

"Ich habe viele Sympathien für diese Idee", sagte die Senatorin. "Es würde sich lohnen, diesen Vorschlag ernsthaft zu erwägen, wenn der Bund jetzt über weitere Entlastungen nachdenkt." Eine komplette Deckelung der Energiepreise hält Jarasch für unmöglich. "Wenn sie gestiegene Preise nicht weitergeben dürften, würden Energieunternehmen reihenweise Bankrott gehen. Das kann niemand wollen."

Ferner plädierte Jarasch dafür, die Mehrwertsteuer auf viele Grundnahrungsmittel zu senken. "Das würden gerade ärmere Menschen, alle Transferleistungsempfänger, aber auch alle, die wenig verdienen, deutlich spüren. Das wäre eine gezielte Entlastung." Jarasch zufolge hat die Verbraucherministerkonferenz diese Forderung an den Bund jüngst einmütig beschlossen.

Neben Hilfen für die Bürgerinnen und Bürger müssten Bund und Länder Versorgungssicherheit gewährleisten, soweit es irgend gehe, ergänzte Jarasch. "Deshalb finde ich es richtig, jetzt kurzfristig auch wieder Kohle zu verfeuern. Und gleichzeitig müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien mit einer ganz neuen Entschlossenheit und Geschwindigkeit vorantreiben. Nur wenn wir in der Energieversorgung unabhängig werden, sinken auch die Preise", unterstrich sie.

Politikerinnen und Politiker in Deutschland und auf EU-Ebene hatten in den vergangenen Tagen und Wochen verschiedentlich Pläne und Ansätze angeregt, einerseits Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmer zu entlasten, auf der anderen Seite aber auch aufs Energiesparen hinzuwirken – so etwa zuletzt in einem EU-Papier.

Wegen Wartungsarbeiten fließt seit vergangenem Montag (11. Juli) kein russisches Gas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland. Die Wartung soll bis 21. Juli dauern. Die Sorge ist, dass Russland Gaslieferungen über die zuletzt wichtigste Verbindung nach Deutschland nach Abschluss der Arbeiten nicht wieder aufnehmen könnte. In dem Fall drohen wegen Gasmangels schwere Schäden für die Wirtschaft und abermals stark steigende Energiepreise.

Unterdessen gibt es aus den Reihen der Bundesregierung widerstreitende Forderungen hinsichtlich einer Lockerung der Schuldenbremse angesichts der Energiekrise: FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat der Forderung der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken nach einem weiteren Aussetzen der Schuldenbremse deutlich widersprochen. "Die Forderung nach einem erneuten Aussetzen der Schuldenbremse wird nicht besser, wenn man sie ständig wiederholt. Wenn wir die Schuldenbremse 2023 nicht einhalten, würden wir den Staat selbst zum Inflationstreiber machen", sagte Dürr der DPA. "Mit dem Einhalten der Schuldenbremse bremsen wir hingegen die Inflation, verhindern weitere Preissteigerungen und entsprechen übrigens auch unserer Verfassung."

Allerdings mĂĽssten weitere Entlastungen auf den Weg gebracht werden, sagte DĂĽrr. "Statt linke Tasche, rechte Tasche` mĂĽssen wir aber strukturell entlasten. Wir sollten uns dafĂĽr den Abbau der kalten Progression vornehmen und damit direkt und dauerhaft entlasten", sagte er.

Esken hatte am Sonntag im Sommerinterview des ZDF gesagt, angesichts der Belastung der Bevölkerung durch steigende Preise halte sie eine Rückkehr zur Schuldenbremse im kommenden Jahr für nicht machbar. "Ich glaube, dass wir die Schuldenbremse erneut aussetzen müssen", sagte sie. Um diese notwendige finanzielle Entlastung von Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen finanzieren zu können, werde sicherlich auch ein stärkerer Beitrag der Vermögenderen notwendig sein. Erleichterungen bei der Einkommensteuer seien dagegen "keine Methode, die Bevölkerung breit zu entlasten, da müssen wir andere Wege finden".

Erstmals nach drei Ausnahmejahren wegen der Corona-Pandemie soll im Bundeshaushalt 2023 wieder die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse eingehalten werden. Diese sieht nur eine geringe Nettokreditaufnahme vor.

(tkn)