Karlsruher-Urteil: Das Rumgeeier geht weiter

Nach dem Richterspruch zum Klimaschutz kam die Stunde der Berliner Umdeuter: Absurdes Schulterklopfen und lächerliche Schuldzuweisungen

Die Tinte unter dem gestrigen Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter – Telepolis berichtete – war kaum trocken, da begann in der Berliner Koalition ein absurdes Schulterklopfen und ebenso lächerliche gegenseitige Schuldzuweisungen.

Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zum Beispiel ging seinen christdemokratischen Kabinettskollegen Peter Altmaier im Wirtschaftsressort an, der Klimaschutz verhindern würde.

Dumm nur, dass Scholz noch im August 2020, also vor weniger als einem Jahr, der US-Regierung angeboten hatte, den Aufbau von Terminals zum Import von Fracking-Gas mit einer Milliarde Euro zu subventionieren, wie im Februar die Deutsche Umwelthilfe aufdeckte.

Doch nicht nur das. Man konnte gar nicht so schnell gucken, wie diverse politische Kräfte versuchten, das Karlsruher Urteil umzudeuten. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linkspartei im Bundestag brachte es gar in einer Pressemitteilung fertig, über das Urteil zu schreiben, ohne den Kohleausstieg zu erwähnen.

Obwohl er mit markigen Worten versuchte, sich von der Regierung abzusetzen, stimmte er mit ihr in einem wesentlichen Punkt überein: Ernst interpretierte das Urteil, als habe Karlsruhe lediglich einen Klimaschutzplan für die Zeit nach 2030 angemahnt.

Dies ist auch die Linie, auf der sich die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung schnell einschossen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze kündigte zum Beispiel an, dass es "für die Zeit nach 2030 (…) nun weitere konkrete Vorgaben geben" werde.

Am Kern des Karlsruher Urteils geht das allerdings vorbei. Die Richter hatten nämlich befunden, dass das Klimaschutzgesetz bis 2030 noch viel zu viele Emissionen zulässt. Dadurch müssten danach die Emissionen so drastisch und schnell reduziert werden, dass die Freiheitsrechte der Menschen, also vor allem der heutigen Jugend, drastisch eingeschränkt würden.

In der ausführlichen Presseerklärung des Gerichts liest sich das folgendermaßen:

"Grundrechte sind aber dadurch verletzt, dass die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG (Klimaschutzgesetz) in Verbindung mit Anlage 2 bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet ist. Als intertemporale Freiheitssicherung schützen die Grundrechte die Beschwerdeführenden hier vor einer umfassenden Freiheitsgefährdung durch einseitige Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Der Gesetzgeber hätte Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität treffen müssen, an denen es bislang fehlt.“
Bundesverfassungsgericht.

Oder mit anderen Worten: Es geht nicht um weitere Regelungen für die Zeit nach 2030, sondern es geht darum, dass das Klimaschutzgesetz unzureichend ist. Die Treibhausgasemissionen müssen schon jetzt deutlich stärker abgesenkt werden, um nicht alle Last der heutigen Jugend aufzubürden und diese massiv in ihren Freiheiten zu beschränken.