Kartellverdacht: EU-Kommission nimmt deutsche Autokonzerne unter die Lupe

Haben sich die deutschen Autohersteller jahrzehntelang heimlich abgesprochen? Die Börse nimmt den Kartellverdacht ernst, die Kurse sinken. Die Wettbewerbshüter in Brüssel sollen jetzt Licht in die Sache bringen.

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Kartellverdacht: EU-Kommission nimmt deutsche Autokonzerne unter die Lupe
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Von
  • Roland Losch
  • Thomas Strünkelnberg
  • dpa
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Nach den Kartellvorwürfen gegen die deutsche Autoindustrie übernehmen die Wettbewerbshüter der EU-Kommission die Federführung bei der Aufklärung. Das teilte das Bundeswirtschaftsministerium am Montag mit. Die Untersuchung sei aber komplex und langwierig. "Wenn die EU-Kommission einen begründeten Verdacht entwickelt, schickt sie den Unternehmen die konkreten Vorwürfe zu", sagte ein Sprecher in Brüssel. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) warnte vor Vorverurteilungen.

Der weltweit größte Autohersteller Volkswagen rief seine Aufsichtsräte zu einer Sondersitzung am Mittwoch zusammen. Das Bundeskartellamt erklärte, es führe kein Verfahren, aber es lägen "Informationen" zu möglichen Absprachen im technischen Bereich vor. Auch die EU-Kommission habe Einblick.

Die Autobranche steht bereits wegen der VW-Abgasaffäre und zu hoher Diesel-Emissionen unter Druck – bei den nun in Rede stehenden Kartellverstößen könnten ihnen Milliardenstrafen drohen. Das belastete die Aktienkurse: VW, Daimler und BMW verloren am Montag erneut zwischen einem und drei Prozent – ähnlich wie schon nach Veröffentlichung der Vorwürfe am Freitag.

Der Spiegel hatte über ein seit mehr als 20 Jahren bestehendes Kartell deutscher Autohersteller berichtet. Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler hätten sich über Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch die Reinigung von Diesel-Abgasen abgesprochen. Danach sollen sie sich auch verständigt haben, kleinere, billigere Tanks für Harnstoff (AdBlue) einzubauen, der gefährliche Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufspaltet. Vor einem Jahr sollen der Volkswagen-Konzern und Daimler Selbstanzeigen bei den Wettbewerbsbehörden erstattet haben.

Das Bundeskartellamt hatte just vor einem Jahr mehrere Autohersteller und Zulieferer wegen möglicher Absprachen beim Einkauf von Stahl durchsucht. Hierzu laufe ein Verfahren, teilte es in Bonn mit.

Die stellvertretende Geschäftsführerin von Transparency International Deutschland, Sylvia Schwab, sagte der dpa: "Grundsätzlich ist es ja üblich, dass sich Unternehmen in Verbänden zusammensetzen und gemeinsame Interessen und Vorhaben besprechen." Problematisch werde es erst, wenn das den technischen Fortschritt behindere, nicht fair und transparent zugehe und den Kunden schade.

Laut VDA prüfen die Behörden jetzt, "ob und in welchem Umfang die Abstimmung zwischen den Herstellern rechtlich zulässig war oder nicht". Schon das Ausnutzen von Grauzonen wäre inakzeptabel. Aber "der Stand des Verfahrens legt es gleichzeitig nahe, mit Vorverurteilungen zurückhaltend umzugehen. Standardisierungs- und Normierungsaktivitäten sind pauschal weder schädlich noch illegal." Vor einigen Monaten hätten die Autokonzerne den Verband gebeten, "Entwicklungs-, Normungs- und Standardisierungsthemen in den VDA zu integrieren", um "bisherige herstellereigene Strukturen aufzulösen".

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte, die Vorgänge "vollumfänglich" aufzuklären. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauchern sowie des Klima- und Umweltschutzes völlig inakzeptabel wären", sagte der Gewerkschaftschef, der auch Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsrats ist, der Welt (Montag).

Unionsfraktionschef Volker Kauder rief die Autokonzerne auf, "reinen Tisch" zu machen. Sollten sich die Kartellverstöße bewahrheiten, wofür vieles spreche, "muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Autoindustrie", sagte der CDU-Politiker im ARD-"Morgenmagazin". Sowohl Wirtschafts- als auch Verkehrsministerium gaben an, erst am Freitag aus den Medien von dem Thema erfahren zu haben.

Daimler hatte von "Spekulationen", VW-Chef Matthias Müller in der Rheinischen Post von "Sachverhaltsvermutungen" gesprochen. BMW äußerte sich nicht zum Kartellvorwurf, stellte aber klar: "Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter Abgase in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group nicht ausreichend gereinigt werden, weist das Unternehmen entschieden zurück."

Der BMW-Betriebsrat erklärte am Montag, er gehe davon aus, dass sich das Management bei allen Entscheidungen an Recht und Gesetz gehalten habe. Der Betriebsrat erwarte umfassende Information. Auch die Betriebsräte von Daimler und des VW-Konzerns forderten Aufklärung. "Arbeitsplätze dürfen nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden", sagte Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht.

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller rechnet wegen des möglichen Autokartells mit einer Klagewelle. Zehntausende Autokäufer könnten Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen, wenn sie wegen Absprachen der Hersteller zu viel für ihre Fahrzeuge gezahlt hätten, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen der Süddeutschen Zeitung. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) erwägt bereits Klagen gegen die Autokonzerne wegen möglicher Verstöße gegen Ad-hoc-Pflichten. Die Finanzaufsicht (Bafin) teilte mit: "Wir schauen uns den Sachverhalt derzeit an und entscheiden dann, wie wir weiter verfahren." (anw)