Kommentar: Apples Minitracker Airtags – gefährlich oder nutzlos, also einstellen

Die Minitracker sind eines der spannendsten Produkte, die Apple seit Jahren auf den Markt gebracht hat. Die Stalking-Gefahr zerstört jedoch ihre Nützlichkeit.

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Ist das noch ein funktionsfähiges Produkt oder kann das weg?

(Bild: Photo by Nikita Ognev on Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Als im vergangenen Frühjahr Apples AirTags auf den Markt kamen, war ich begeistert. Ein klitzekleines und schickes Knöpfchen aus Kunststoff und Metall, robust, mit langer Batterielaufzeit (sogar austauschbar!) und für Apples Verhältnisse äußerst kostengünstig. Zum Straßenpreis von rund Hundert Euro kann man die Viererpacks der auf Bluetooth- und Ultra-Wideband-Technik (UWB) basierenden Tracker inzwischen erwerben. Auch im Freundeskreis kauften andere Menschen AirTags gleich im halben Dutzend, weil sie "so cool" waren.

Im Praxiseinsatz spielten die Tracker schnell ihre Vorteile aus: In Innenstädten sind sie fast überall auf einige Meter genau auffindbar. Und so probierte ich die Geräte intensiv aus: Legte sie in Rucksäcke, band sie ans Schlüsselbund und testete einen sogar im eigenen Auto, man will ja nicht, dass es geklaut wird beziehungsweise es auf einem großen Parkplatz schneller finden. Ein AirTag landete einmal sogar in meinem Reisekoffer, mit dem ich dann erfolgreich sicherstellen konnte, dass selbiger nicht etwa von den Packern auf dem Rollfeld vergessen worden war, sondern mit ans Ziel flog. Andere Leute experimentierten unterdessen mit AirTags als Pakettracker, ließen sich in der U-Bahn erfolgreich suchen oder nutzten die Tracker gar, um bundesrepublikanische Schlapphüte auffliegen zu lassen.

Blöd nur: Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass mich Apple veralbert, im Sinne eines klassischen Bait and Switch – erst anlocken und dann Features wegziehen. Waren die AirTags anfangs neben dem simplen Auffinden von Gegenständen (was dank UWB und "Precision Finding" in Innenräumen durchaus Spaß macht) auch zum Diebstahlschutz verwendbar, kann man diese Funktion inzwischen komplett vergessen.

Aufgeschreckt durch Kritik von Datenschützern sowie Berichte, die AirTags seien von Stalkern verwendet worden, veränderte Apple nach und nach die Funktionen der Geräte. Sie drängen sich potenziellen Dieben nun geradezu auf. So gibt es Benachrichtigungen aufs iPhone ebenso wie eine spezielle Android-App, mit der man nach AirTags "scannen" kann ("Tracker Detect"). So kann ein Krimineller die Tracker schnell finden und ihnen mit einem einfachen Dreher den Saft abdrehen, Apple publiziert dazu sogar eine Anleitung in seinem "Handbuch für persönliche Sicherheit".

Zuletzt kündigte das Unternehmen, augenscheinlich unter Druck, in dieser Woche noch schärfere Maßnahmen gegen "unerwünschtes Tracking" an. Man habe sich mit Strafverfolgern und Opferorganisationen abgestimmt, hieß es. Die AirTag-Lautsprecher werden lauter und die Information eines Diebes, der ja eben auch ein Stalking-Opfer sein könnte, kommt dank angepasster Algorithmen künftig (noch) früher. Und sein Handy hilft ihm dann bald sogar mittels Precision Finding (falls er ein iPhone 11 oder höher hat), den versteckten AirTag noch leichter zu finden.

Ein Kommentar von Ben Schwan

Mac & i-Redakteur Ben Schwan schreibt seit 1994 über Technikthemen und richtet sein Augenmerk mittlerweile insbesondere auf Apple-Geräte. Er mag das Design von Mac, iPhone und iPad und glaubt, dass Apple nicht selten die benutzerfreundlicheren Produkte abliefert. Immer perfekt ist die Hard- und Software-Welt aus Cupertino für ihn aber nicht.

Ja, natürlich, ich verstehe die Argumentation hinter all diesen Maßnahmen vollkommen. Die Gefahr ist real. Kleine, digitale Tracker lassen sich natürlich dazu benutzen, andere Menschen zu verfolgen, die das ganz und gar nicht wollen. Und Apple-Technik ist nun mal populär und so super vermarktet, dass sie ganz neue Zielgruppen (hier: im negativen Sinne) erzeugt.

Das macht Angst, viel Angst, erzeugt Opfer oder macht deren Leid noch schlimmer. Hängen solche Tracker dazu dann auch noch in einem nahezu perfekt ausgebauten Netzwerk, wie das Apples "Wo ist?"-Technik aufgrund der Abermillionen iPhones im Umlauf nun einmal ist, ergibt sich ein beträchtliches Gefahrenpotenzial, das die AirTags haben. c't hat das selbst in einer spannenden Story demonstriert – inklusive dem Hinweis, dass sich mit ein bisschen Bastelarbeit der integrierte Lautsprecher deaktivieren lässt, der Stalking-Opfer doch warnen soll.

Bloß: Apple ist der einzige Tracker-Anbieter, der überhaupt Anti-Stalking-Technik von Anfang an verbaut. Andere Hersteller wie Tile zuckeln erst langsam nach, von dedizierten GPS-Trackern mit Mobilfunkempfang, die auf den Meter genau Menschen, Autos oder Gegenstände verfolgen – und das auch außerhalb von Städten – ganz abgesehen. Die hatten solche Schutztechniken noch nie und werden sie auch nicht bekommen. Und auch diese Geräte dürften bald preislich an die AirTags heranrücken, denn Marktteilnehmer, die weniger Skrupel haben als Apple, wittern das große Geschäft.

Ich habe ja auch keine echte Lösung für das Problem. Vermutlich wäre es am sinnvollsten für Apple gewesen, sich überhaupt nicht in diese potenziell kontroverse Produktkategorie mit einem geradezu erstaunlich perfekt funktionierenden Produkt zu begeben. Dann müsste sich der Konzern nun auch nicht andauernd mit neuen Stalking-Vorwürfen auseinandersetzen und die vielen Kunden, die die AirTags zum Diebstahlschutz verwenden möchten, wären aufgrund der dagegen nun nötigen Maßnahmen jetzt nicht enttäuscht.

Die Geräte einfach nur dazu zu verwenden, im unaufgeräumten Haus einen Schlüssel zu finden oder eine Warnung zu bekommen, wenn ich ohne selbigen die Wohnung verlasse, ist mir die 35 Euro, die Apple pro einzelnem AirTag sehen will, dann ehrlich gesagt doch nicht wert. Und das ganze tolle "Wo ist?"-Netz mit ausgefuchster kryptographischer Technik dahinter ist wirklich kompletter Overkill für so etwas. Wir haben es hier also mit einem klassischen Zielkonflikt zu tun. Ergo Apple, so leid es mir tut: Stell' die verdammten AirTags einfach wieder ein.

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(bsc)