Kommissarin Vestager: EU muss sich für künftige Propagandakriege rüsten
Die Sanktionen gegen die russischen Sender RT und Sputnik seien eine Ausnahme gewesen, meint EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Doch es gebe kein Zurück mehr.
EU-Kommissarin Margrethe Vestager hat den umstrittenen Bann der russischen Sender RT und Sputnik in der EU nach dem Start des bewaffneten russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verteidigt. Es handle sich um einen "Ausnahmeschritt" auf dem schmalen Grat zwischen Meinungsfreiheit und ausländischer Einflussnahme, der nicht "eine neue Normalität" darstelle, betonte die für Digitales zuständige Vizepräsidentin am Donnerstag auf dem "AI & Tech Summit" des Online-Magazins "Politico".
Ständige Propaganda durch RT & Sputnik
"Sputnik und Russia Today stehen unter der ständigen direkten oder indirekten Kontrolle der Regierung der Russischen Föderation und tragen wesentlich dazu bei, die militärische Aggression gegen die Ukraine zu befeuern und zu unterstützen sowie ihre Nachbarländer zu destabilisieren", hatte der EU-Rat Anfang März die Sanktionen gegen die Sendetätigkeiten der staatseigenen Medien begründet. Medienpolitiker sehen dadurch aber das Gebot der Staatsferne bei der Aufsicht verletzt.
Man müsse zwischen zwei Kategorien unterscheiden, erläuterte Vestager nun. Auf der einen Seite stünden pluralistische Medien. Auch diese publizierten teils Meinungen, "die Leute verletzten können". Jeder Betroffene müsse hier einiges an Meinungsfreiheit aushalten. Nötig seien auf diesem Feld etwa Faktenchecks, um die Wahrheit nicht aus dem Blick zu verlieren. Demgegenüber stellte die Dänin die ständige "einseitige Propaganda" der sanktionierten russischen Sender, um einen blutigen Krieg zu rechtfertigen und vorzubereiten. "Wir haben vorher das Ziel nicht klar gesehen", räumte sie ein. "Wir sind jetzt eine andere Union als vor anderthalb Monaten." Der Krieg bedeute: "Es gibt kein Zurück mehr."
Demokratie steht auf dem Spiel
Das RT und Sputnik angeheftete Label werde daher wohl nicht einfach wieder abgelöst werden. Sie hoffe aber auf friedlichere Zeiten, damit sich die EU wieder stärker auf die Herausforderungen der digitalen und grünen Transformation konzentrieren könne. "Der Propagandakrieg spielt eine so wichtige Rolle wie die Kämpfe vor Ort", weiß die Kommissarin mittlerweile.
In Krisen könne inzwischen auch jeder in unmittelbarer Nähe mit Smartphone und Videokamera zeigen, "was passiert". Es sei daher unerlässlich, etwa mit den Plänen für den Digital Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA) klare Regeln für soziale Medien als Verbreitungsplattform nutzergenerierter Inhalte und andere marktmächtige Plattformen aufzustellen. Diese hätten das Potenzial, die Gesellschaft und Märkte massiv sowie systematisch zu ändern. Letztlich stehe die Demokratie auf dem Spiel.
Digital Services Act vor Trilog
Beim DMA mit seinen neuen Wettbewerbsinstrumenten sind sich die EU-Gesetzgebungsgremien bereits einig. Beim DSA und den damit verknüpften Vorgaben für Online-Inhalte findet der eventuell finale "Trilog" zwischen Verhandlungsführern des EU-Parlaments, des Ministerrats und der Kommission am Freitag statt.
"Wir sind gut vorbereitet", ließ Vestager durchblicken. Alle Seiten hätten Kompromisse ausgearbeitet, das Treffen sei zeitlich ohne Ende angesetzt. Sie sei aber doch überrascht, dass es auf den letzten Metern noch einige offene Fragen gebe, etwa zur Übernahme der Kosten für die Kontrolle, Zugangsmöglichkeiten zu den Plattformen in Notfällen sowie Krisen und zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor zielgerichteter Werbung.
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Dass die Verfahren für beide Gesetzesinitiativen vergleichsweise rasch vorangeschritten sind, zeigt für die 54-Jährige, dass der politische Regulierungswille in der EU groß und der Handlungsbedarf dringend sei. Letztlich komme es dann aber auf die Durchsetzung der neuen Plattform-Regeln an. Das Parlament müsse hier genau beobachten, "ob die Instrumente ausreichen, um den Marktplatz zu öffnen und vertrauenswürdige Social Media zu schaffen". Sonst werde sich mittelfristig wenig ändern.
Verordnungsentwurf für KI noch umstritten
Schleppender gestaltet sich die Debatte über den mittlerweile ein Jahr alten Entwurf der Kommission für eine Verordnung für Künstliche Intelligenz (KI). Hier sind etwa potenzielle Verbote für biometrische Massenüberwachung und Predictive Policing stark umkämpft. Die Abgeordneten hätten hier mit den Empfehlungen des KI-Ausschusses den Boden für die weitere Diskussion gut bereitet, lobte Vestager. Auch Prinzipien für vertrauenswürdige KI, die andere Organisationen wie die OECD bereits aufgestellt haben, flössen mit ein.
"Wir regulieren nur die Spitze des Eisbergs", wehrte sich die Linksliberale gegen Vorwürfe, der Schlüsseltechnik zu wenig Raum zu lassen. Es gehe darum, Investitionen in Forschung und Entwicklung zu forcieren und Märkte zu schaffen. Dafür sei das Vertrauen der Bürger in KI fundamental. Ohne einschlägige Vorschriften könnten sich der öffentliche Sektor und der Gesundheitsbereich angesichts von Diskriminierungsskandalen, wie sie sich etwa in den Niederlanden bereits abgespielt hätten, nicht auf die Technik einlassen: Keiner wolle sonst die Verantwortung übernehmen angesichts des Risikos, "dass KI die Bürger gefährdet".
Spyware und Überwachung in der EU
Angesichts der jüngsten Enthüllungen aus Spanien über die Überwachung katalanischer Politiker durch die israelische Spionagesoftware Pegasus betonte Vestager, dass die Mitgliedsstaaten Verantwortung übernehmen müssten. Die nationalen Regierungen seien verpflichtet sicherzustellen, "dass keine illegale Überwachung" stattfindet. Die Kommission sei hier nur für sich selbst und die EU-Agenturen zuständig, erläuterte die Politikerin.
Zu Berichten über Spyware-Angriffe auch auf Kabinettsmitglieder wie den für Justiz zuständigen Ressortleiter Didier Reynders erklärte sie, dass die Brüsseler Regierungsinstitution "das Bestmögliche tut, um jeden von uns zu schützen". Bei Kabinettstreffen etwa seien Mobiltelefone und iPads nicht immer mit im Raum. Wer ihren persönlichen, recht "langweiligen" Newsfeed auf sozialen Netzwerke verfolge, könne zudem den Eindruck gewinnen: "Die Frau denkt, sie steht unter ständiger Überwachung." Sie teile dort kaum persönliche Lebenseindrücke.
(kbe)