Interview mit Kriegsfotografin Levine: "Ein langer Heilungsprozess"

Seite 2: Auch Regierungen bedrohen uns in unserer Arbeit

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Frage: Die Situation für Journalisten in Kriegs- und Krisengebieten wird gefährlicher, sie werden selbst zu Opfern von Terroranschlägen, werden gezielt entführt und getötet. Gehen Sie unter diesen Bedingungen anders an Ihre Arbeit heran?

Heidi Levine: Ich bin mir definitiv der Gefahr bewusst, der ich mich aussetze. In Syrien arbeite ich nicht mehr, seit Journalisten so häufig entführt werden. Es sind aber nicht nur Terroristen, die ausländische Reporter kidnappen und als Pfand einsetzen. Auch Regierungen bedrohen uns in unserer Arbeit und schränken uns ein. In Ägypten sind Journalisten schon lange keine Beobachter mehr. Wer nicht im Sinne der politischen Führung berichtet, wird bedroht, eingeschüchtert und festgenommen.

Viel schwerer als das persönliche Risiko wiegt das Leid, das wir sehen, der Tod von Tausenden unschuldigen Zivilisten, der Tod von Kollegen und Freunden.

Frage: Schaffen Sie es, eine emotionale Distanz aufzubauen zu den Schicksalen, über die Sie mit ihrer Kamera berichten?

Heidi Levine: Nein. Es ist unmöglich, nicht betroffen zu sein. Neben dem Nahostkonflikt habe ich auch in Syrien, im Irak und in Afghanistan gearbeitet, habe tote und verletzte Kinder fotografiert. Ich habe Menschen getroffen, denen der Krieg alles genommen hat, ihre Familie, ihr Zuhause, ihre Existenz. In all den Jahren bin ich nicht abgestumpft, ich habe mir keinen dicken Panzer zugelegt, im Gegenteil. Was ich im vergangenen Sommer in Gaza erlebt und gesehen habe, hat meine Seele gebrochen.

Es sind Schicksale wie die der vier Jungen, die eben noch am Strand Fußball spielten und in der nächsten Minute von einer Rakete getroffen werden. Die Geschichte von einem Vater und seinem fünfjährigen Sohn, die nach einem Drohnenangriff allein zurückgeblieben sind, die Mutter und vier Geschwister wurden getötet.

Es ist der Tod meines Freundes und Kollegen Simone Camilli, der für die italienische Redaktion der Nachrichtenagentur AP als Videojournalist arbeitete. Er bat mich um die Nummer von Polizisten, die in Gaza Blindgänger räumen. Er wollte über ihre Arbeit berichten, so wie ich es bereits einiges Tage zuvor getan hatte. Simone überlebte dieses Treffen nicht. Eine Bombe, die die Polizisten entschärfen wollten, ging in die Luft und verletzte ihn tödlich. Ich wünsche mir jeden Tag, ich hätte die Nummer nicht in meinen Notizen gefunden. Dann würde er noch leben.

Hinzu kam, dass ich während des Krieges zwei Familienmitglieder in den USA verloren habe. Ich hatte Zeit zu trauern, es gelang mir nicht, die Eindrücke aus Gaza an mich heranzulassen.