Interview mit Kriegsfotografin Levine: "Ein langer Heilungsprozess"

Seite 3: Es ist ein langer Heilungsprozess.

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Frage: Wie haben sie die Erlebnisse verarbeitet?

Heidi Levine: Es ist ein langer Heilungsprozess. Manche Kollegen sind unglaublich belastbar. Das bin ich nicht. Ein halbes Jahr nach Ende des Krieges bin ich wieder in den Gaza-Streifen gefahren und habe begonnen, für die "Washington Post" die Folgen des Konflikts zu dokumentieren. Es ist ein sehr persönliches Projekt. Ich versuche noch immer, diesen Konflikt zu verstehen. Das ist nicht leicht, da ich emotional zu verstrickt bin. Ich lebe schon so lange in Israel und habe allein in den vergangenen fünf Jahren über drei Kriege in Gaza berichtet. Ich habe Kollegen und Freunde auf beiden Seiten des Konflikts. Ich versuche, unparteiisch zu bleiben und mich nicht auf eine Seite zu schlagen. Das gelingt vielleicht nicht immer. Dieser Konflikt ist kein einfacher Konflikt. Das wird er nie sein.

Frage: Was treibt Sie an?

Heidi Levine: Ich möchte die Welt zu einem besseren Ort machen. Ich möchte denen eine Stimme geben, die verwundet, verletzt und vergessen werden. Ich möchte ihr Leid zeigen und ein Bewusstsein dafür schaffen, was Krieg für seine Opfer bedeutet. Es ist eine Art Berufung, ich kann es nicht anders erklären.

Frage: Haben Frauen es im Fotojournalismus schwerer als Männer?

Heidi Levine: Ich stehe denselben Herausforderungen gegenüber wie meine männlichen Kollegen. Kugeln und Raketen unterscheiden nicht zwischen den Geschlechtern. Dass ich eine Frau bin, ist häufig sogar ein großer Vorteil. Ich arbeite in der Regel in Ländern, deren Kultur Männer und Frauen voneinander trennt. Dass ich selbst eine Frau bin, öffnet mir Türen, die Männern oft verschlossen bleiben und schweißt mich schnell mit den Frauen zusammen, über die ich berichte. Es fühlt sich mitunter so an, als hätten wir unsere eigene Sprache, die auf Vertrauen und Verständnis beruht.

Diskriminierung habe ich eher von außerhalb erfahren, von Kollegen und Chefs. Als ich 1983 in Israel mit meiner Arbeit begann, habe ich oft gehört, ich sei zu jung. Später wiederum hieß es, ich könne keine Kriegsfotografin sein und gleichzeitig drei Kinder großziehen. Einfach war es nicht, aber geschafft habe ich es trotzdem.

Frage: Wie ist Ihnen gelungen, Kinder und Fotografie miteinander zu vereinbaren?

Heidi Levine: Ich musste ja nie in ein Flugzeug steigen, um über Krisen und Konflikte zu berichten. In Tel Aviv konnte ich tagsüber arbeiten und meinen Kindern trotzdem ihr Abendbrot zubereiten. Die größte Herausforderung war es vielleicht, drei Kinder mit nur einem Jahr Abstand zu bekommen. Als ich zum ersten Mal schwanger war, habe ich meinen Job bei der Nachrichtenagentur AP gekündigt. Ich bin dann ein paar Jahre zu Hause geblieben. Später war es am schwierigsten, schnell umschalten zu müssen zwischen meinem Job und meiner Familie. Mit drei Kindern blieb selten Zeit, Erlebnisse zu verarbeiten und mich selbst ein bisschen runterzufahren.

Frage: Welchen Ratschlag geben Sie einem jungen Fotojournalisten?

Heidi Levine: Ich habe vor kurzem ein Interview mit dem brasilianischen Fotoreporter Sebastian Salgado gelesen. Seine Antwort auf die gleiche Frage lautete: "Wenn du jung bist und die Zeit hast, dann studiere. Studiere, damit du verstehst, was du fotografierst, was du fotografieren kannst und was du fotografieren musst." Genau das würde auch ich jungen Kollegen raten. (keh)