Missing Link: Internet Governance - aus der Internet-Ursuppe zu neuen Horizonten und wieder zurück

Seite 3: Die Politik der Technik und die Technik der Politik

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Bei der IETF, die weiterhin IP- und anderer zentrale Netzprotokolle entwickelt, gibt es bis heute noch Ingenieure, die von der Idee, dass Standards politisch sind, nichts wissen wollen. Aber deren Zahl nimmt nicht zuletzt deshalb ab, weil die Organisation selbst im Umbruch ist.

Ehemals den Standardprozess dominierende Hardwarefirmen werden abgelöst von den großen Plattformen, die zentrale Bausteine des Netzes, etwa im Bereich Transportprotokolle, revolutionieren: Das aus Googles Laboren stammende Quic-Protokoll etwa gilt vielen als neues TCP. Der Umbau im Bereich eines anderen klassischen Protokolls, des DNS, könnte Zentralisierungstendenzen verstärken, warnen langjährige IETF-Experten. Schließlich hat sich mit den Enthüllungen von Edward Snowden die Auseinandersetzung über den Grad an Verschlüsselung von Kommunikation im Netz noch einmal verschärft.

Das augenscheinlichste Symbol für die Politisierung der Debatte um die Organisation des Netzes und der Geburtshelfer des Internet Governance Forum der Vereinten Nationen ist allerdings die zentrale Rootzone des DNS. Ein Scharmützel gab es im Rahmen des ersten Weltinformationsgipfels (World Summit in the Information Society, WSIS) über eine von ITU-Mitgliedern geforderte "global repräsentative Lösung" für die Verwaltung von Rootservern, Domainnamen und IP-Adressen. Die einseitige US-Aufsicht über Rootzone und ICANN brachte die abschließende WSIS Konferenz in Tunis 2005 beinahe zum Scheitern. Insbesondere arabische Staaten, Russland und China, schlussendlich aber auch Vertreter von EU-Staaten wollten die einseitige US-Hoheit über die Netzverwaltung nicht weiter hinnehmen.

Ergebnis des Zanks auf internationaler Bühne war die Einrichtung des Internet Governance Forums und eines Prozesses, der vage als "Verbesserte Zusammenarbeit" (enhanced cooperation) bezeichnet wurde. Mit letzterem taten sich die Regierungen extrem schwer, über Jahre kam der Prozess, von dem niemand so recht wusste, wie er aussehen sollte, nicht in Gang.

Schon 2006 aber startete trotzdem das Internet Governance Forum. Der erste Gastgeber des IGF war mit Athen eine Wiege der Demokratie. Doch die heiß umstrittenen Fragen zur Demokratisierung beziehungsweise Internationalisierung der Netzverwaltung wurden erst einmal nicht angefasst, um das zarte Pflänzchen IGF nicht gleich zu gefährden.

In Athen nahm man sich sofort eines breiten Themenspektrums von "Internet Governance" an, genauso wie die zwischen den beiden WSIS-Phasen in Genf (2003) und Tunis (2005) als "Schlichterin" eingesetzte Working Group of Internet Governance es formuliert hatte.

"Es sollte klar sein", befand die WGIG in ihrem Abschlussbericht, "dass Internet Governance mehr umfasst als Internet-Namen und -Nummern, also die Dinge, um die sich die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) kümmert; es umfasst auch andere Themen von öffentlichem Interesse, wie kritische Internet-Ressourcen, Sicherheit im Netz sowie entwicklungspolitische und die Nutzung betreffende Aspekte."

Unter der Clinton-Regierung wurden die Grundlagen dafür gelegt, die Internet-Verwaltung in die privatrechtlich organisierte ICANN zu verlagern und die Oberaufsicht der US-Behörden über die Netzstrukturen zu beenden.

(Bild: Gino Santa Maria / shutterstock.com)

Diese breite Definition von Internet Governance, die eine enge Auffassung rund um IANA und die Selbstverwaltung von Namen und Nummern abgelöst hat, hat auch den Streit um die Aufsicht über die IANA etwas aus dem Rampenlicht gerückt. Immerhin ist die Kuh rund um das Abstempeln von Änderungen in der Rootzone durch Beamte des US-Handelsministeriums inzwischen vom Eis. In einem letzten Schritt, bejammert von einzelnen republikanischen Politikern, hat die Obama-Regierung schließlich auch den Vertrag mit der ICANN auslaufen lassen.

Die breite Definition von Internet Governance, ohne die man das IGF nach Erledigung des IANA-Streits hätte dicht machen können, bescherte dem Forum neben einigen Dauerbrennerthemen wie dem Zugang zum Internet und den Grundrechten im Netz überbordende Themenlisten. Der jeweils letzte Schrei der Netzpolitik wurde stets aufgegriffen. Natürlich war KI ein zentrales Thema beim IGF in Berlin und natürlich hat das IGF auch eine eigene Dynamic Coalitions für Blockchain Anwendungen (seit 2017) und das Internet der Dinge (seit 2010).

Mit einigen Themen war man selbst so früh am Start, dass die Themen wieder in der Versenkung verschwanden, bevor sie wirklich breitere Aufmerksamkeit bekamen. Open Standards thematisierten einzelne Regierungen des Südens, die inzwischen untergegangene Firma Sun Microsystems, die Free Software Foundation Europe und andere beispielsweise 2006. Bereits 2007 rief eine Koalition von 60 Institutionen dazu auf, das IGF dazu zu nutzen, internationale Grundsätze für Privatheit und Datenschutz im Netz zu entwickeln. Manch gute Arbeit, wie die 2011 von der Dynamic Coalition on Rights and Principles vorgelegten "Charta der Menschenrechte und Prinzipien für das Internet" ging in der sich entwickelnden Prinzipienschwemme unter – und wurde wieder und wieder neu erfunden.

Rechts und links des stets finanziell klammen IGF, das durch das Verbot, Empfehlungen zu verabschieden, zusätzlich behindert wurde, machen mittlerweile andere Plattformen Netzpolitik. Beim IGF 2019 in Berlin konnte man auch hören, dass am Ende letztlich doch der Gesetzgeber – national, regional oder noch besser international – das letzte Wort haben muss.