Missing Link: Passwortherausgabe – die Logik der Überwacher und der Kritiker

Seite 2: Rechtlich umstrittene Befugnis

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Vieles, was nun auf eine deutlich größere Zahl an Anbietern von Telemediendiensten zukommen soll, ist also bereits vergleichbar im TKG angelegt. Im TMG, das soziale Medien und Blogs, Chatdienste, Spiele-Apps, Informationsservices und Suchmaschinen, Portale, Shops und private Seiten im Web, Webmail-Dienste, Podcasts sowie Flirt-Communitys betrifft, findet sich in Paragraf 14 sogar ebenfalls schon eine ähnliche Norm: Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der Diensteanbieter demnach prinzipiell bereits "im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden der Länder" oder "zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Behörden der Zollverwaltung" erforderlich ist.

Auch sämtliche Geheimdienste von Bund und Ländern sowie Behörden, die Ordnungswidrigkeiten verfolgen oder "Rechte am geistigen Eigentum" durchsetzen, können prinzipiell bereits Daten wie Name oder Anschrift von Nutzern erfragen. Rechtlich ist aber völlig umstritten, ob diese Befugnis schon greift, was auch in laufenden gerichtlichen Auseinandersetzungen eine Rolle spielt.

Im Mai 2013 legten Vertreter der Piratenpartei nämlich auch Verfassungsbeschwerde gegen die kurz zuvor verabschiedete Novelle der Bestandsdatenauskunft ein. Hauptbeschwerdeführer in dem neuen Fall für Karlsruhe sind die Aktivistin Katharina Nocun, die mittlerweile nicht mehr den Piraten angehört, sowie der Jurist Patrick Breyer, der damals schleswig-holsteinischer Landtagsabgeordneter war und mittlerweile ins EU-Parlament gewechselt ist. Mehrere tausend Bürger schlossen sich dem Verfahren im Kampf gegen einen rechtswidrigen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung an, in dem das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich 2020 ein Urteil fällen wird.

Breyer und fünf seiner früheren Fraktionskollegen im Parlament Schleswig-Holsteins reichten ferner Verfassungsbeschwerde gegen die Bestimmungen zur Bestandsdatenauskunft des Landes ein, deren Reform sie aus der Opposition heraus abgelehnt hatten.

Die Logik der Überwacher und die Einwände der Gegner des Instruments lassen sich gut herauslesen aus einer Reihe von Stellungnahmen an das Bundesverfassungsgericht in den beiden Fällen, die heise online vorliegen. Klar wird anhand der Eingaben auch, dass die Karlsruher Richter schon sehr viel Zugeständnisse an die Sicherheitsbehörden gemacht und teils anderthalb Augen zugedrückt haben.

Die Kläger hoffen daher, dass gerade auch der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium den Verfassungshütern die Augen öffnet, wie groß die von dem strittigen Instrument ausgehenden Angriffe auf die Privatsphäre der ständig wachsenden Zahl der Internetnutzer ausfallen könnten. Breyer spricht von einer "massiven und unverhältnismäßig weitgehenden Ausweitung des Zugriffs auf Nutzerdaten". Würde das Verfassungsgericht zügig über die Beschwerde entscheiden, könnte es verhindern, "dass der Gesetzgeber Grundrechte verletzt" und eine neue Klage nötig werde.

Der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers, der die Bundesregierung im Streit um die Novelle von TKG und TMG vertritt, hält die einschlägige Verfassungsbeschwerde für unzulässig und unbegründet. Beim TMG sei die Frist für eine Klage in Karlsruhe eh bereits abgelaufen gewesen. Daran ändere auch nichts, dass die entsprechende Klausel mit dem Inkrafttreten anderer Normen wie der Reform von Paragraf 113 TKG eine andere Bedeutung bekommen habe.

Die Frage, inwieweit IP-Adressen abgerufen werden könnten, sei auch bereits "Gegenstand einer großen Debatte und einer geteilten gerichtlichen Praxis" gewesen, gibt Möllers generell zu bedenken. Die manuelle Abfrageprozedur sei "in der Praxis weit entfernt von einem Massendatenverfahren", sie werde sparsam genutzt. Dies liege schon daran, dass es auch für die Behörden "einen gewissen Verfahrensaufwand mit sich bringt". So habe etwa beim Bundesamt für Verfassungsschutz 2016 die Zahl der Auskunftsersuchen nach 113 TKG weniger als zwei Prozent der Fallzahl von Anfragen im automatisierten Abrufverfahren betragen.