Missing Link zu Smart Borders: “Die Leute werden jede Grenze niederreißen”
Seite 4: Der Unternehmer fĂĽr Sicherheitstechnik: Lars Karlsson
Ein Anruf bei dem Experten Lars Karlsson im schwedischen Göteborg. Er kümmert sich um die Technik einer smarten Grenze. Der Chef der weltweit größten Beratungsfirma KGH Border Security berät weltweit über 60 Regierungen zu Grenzfragen. Gerade ist der Schwede von einem Beratungstreffen aus Brasilien gekommen. Seine Stimme klingt rau und kratzig am Telefon. “Ich bin nicht für Politik zuständig”, sagt er, als ich ihm die Frage stelle, ob eine smart border die richtige Lösung für den Nordirlandkonflikt ist. “Aber ich kann sagen: Es ist technisch möglich.”
Für Karlsson sind viele Varianten denkbar: Man müsse keine automatischen Tore an die nordirische Grenze bauen; es reiche aus, wenn die Fahrer mittels einer Zoll-App ihre Ausfuhren deklarieren. Aber was passiert dann mit illegalen Transporten? “Fahrer mit ausländischen Kennzeichen ohne Visa-Erlaubnis kann die Polizei überall abfangen. Das muss nicht unbedingt an einer Grenze sein, das geht in Dublin wie in Belfast.”
Blitzer und Radarstationen stünden bereits überall an fast jeder Straße. Die Polizei habe Zugriff auf die Daten und könne den Routenverlauf entsprechender Kennzeichen durch die Straßen auf den beiden englischsprachigen Inseln verfolgen. Mit der Smartphone-Lösung könnten britische wie nordirische Händler wie bisher gewohnt Handel betreiben. Wenn ein Speditionsunternehmen die Grenze passiere, lokalisiere die GPS-App-Verbindung die Ausfuhr.
Alles ganz einfach?
“Letztendlich weiß die jeweilige Regierung des Landes schon vorher, welche Güter exportiert und welche Waren importiert werden. Was sie nicht wissen, ist der genaue Zeitpunkt. In dem Moment, in dem der Lastwagen die Grenze überquert, erhält die jeweilige Regierung eine SMS. Das britische und das irische Zollamt wissen dank einer elektronischen Nachricht, welche Waren unterwegs sind.”
Und wenn jetzt ein nicht registrierter Lastwagen unterwegs ist, bei dem das Grenztor nicht aufgeht – kann der dann nicht den ganzen Verkehr lahmlegen und die gefürchteten Staus verursachen? Karlsson lacht. “Nein natürlich nicht, denn für jeden Grenzübergang braucht es immer mehrere Autospuren. Wenn ein Grenztor mal geschlossen ist, kann man durch das andere fahren.”
(Bild:Â Valerie Lux)
Smart border bedeutet vor allen Dingen: unbemannte Grenzposten. Was passiert, wenn ein technischer Fehler das Tor nicht aufgehen lässt oder es Randale an einem Übergang gibt? “Es gibt eine mobile Wartungseinheit, das sind meistens Techniker, die fahren ständig an der Grenze hin und her. Für Randale ist sowieso die örtliche Polizei zuständig.”
Was würde Anwohner der Grenzstädte erwarten? “RFID-Chips befinden sich schon seit Langem in den Pässen der Briten und Nordiren.” Für Fußgänger über die Grenze kann man sich die smart border also wie das Scan-System in der Londoner U-Bahn vorstellen. Die Software an der Grenze greift auf eine riesige Datenbank zurück, um abzugleichen, ob der Grenzgänger wirklich in einem der beiden Länder wohnt und sich dort legal aufhält. Genaue Zahlen, wie teuer eine Einrichtung der smart border werden würde, kann er nicht nennen.
Karlsson verabschiedet sich am Telefon. “Übrigens: Für eine smart border brauchen wir vor allen Dingen Kooperation der nationalen Behörden untereinander”, sagt er noch. Auf einer Konferenz in Texas wurde der irische Ministerpräsident Leo Varadkar im März 2018 mit den Worten zitiert, dass er kein Freund von Datenbanken sei, in denen sich die irische Bevölkerung registrieren lassen müsste, um auf einen anderen Teil der Insel zu kommen.
Die verlorene Generation
Ich trampe ein Stück. Ein stark tätowierter Ire nimmt mich sofort in seinem klapprigen Skoda mit, als ich meinen Daumen ausstrecke. An seiner Nase glänzen zwei silberne Ringe. Es stellt sich heraus, dass er ein bekannter irischer Folk-Sänger ist, Ian Lynch, der mit deiner Band Lankum seit 16 Jahren um die Welt tourt. Ich bitte ihn von der Rückbank aus, eine CD mit der Musik einzulegen. Seine tiefe und sehr traurige Stimme erfüllt den Autoinnenraum, während wir über die grünen Hügel rattern. So ganz anders als die traditionelle Folk-fröhliche Dudelsackmusik.
“Ich singe über unsere verlorene Generation”, erklärt er. “Unsere Lieder handeln von unserer Regierung, die keine Steuern von den großen Firmen einzieht, während niemand mehr in Dublin eine bezahlbare Wohnung findet und die Leute in der Obdachlosigkeit versinken." Ian umkurvt ein Schaf auf der Landstraße vor ihm. “Traurigerweise haben wir anscheinend den Nerv vieler junger Iren getroffen.” Auf dem Armaturenbrett steht ein kleiner roter Igel aus Ton. “Den hat mein Sohn gemacht”, sagt Ian, “er bringt mir Glück.”
Ian grinst: “We always sing, even when we're losing”, singt er mit.
“We look for signs that Dublin's heart's still beating,
that concrete and glass and peelers and mass,
they haven’t stopped the people from screaming”,
summt er und trommelt mit seinen Fingern aufs Lenkrad.