Missing Link zu Smart Borders: “Die Leute werden jede Grenze niederreißen”

Seite 5: Dublin: Zwischen Schafen und Skyline

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In Dublin regnet es leicht. Während Kontinentaleuropa unter der Hitzewelle ächzt, ist das Wetter in der irischen Hauptstadt regnerisch wie eh und je. Hier, wo die Möwen kreischen, recken sich alte verwitterte Häuserruinen neben streng geometrischen Formen aus Glas und Stahl. Die Wellen kräuseln sich am Grand Canal, hinter dem die Skyline in den Himmel ragt.

Twitter, Microsoft, Google – die Gegend rund um den Grand Canal beherbergt die europäischen Firmensitze der Giganten aus dem Silicon Valley, die hier nur einen Bruchteil des irischen Körperschaftssteuersatzes von 12,5 Prozent für Warenverkäufe oder Dienstleistungen bezahlen müssen. In Deutschland beträgt die Körperschaftssteuer 15 Prozent plus Solidaritätszuschlag, in vielen anderen europäischen Staaten liegt sie bei über 20 Prozent.

Der Grand Canal Harbour in Dublin.

(Bild: Valerie Lux)

Mitarbeiter von Facebook sitzen an diesem Vormittag während eines kurzen Sonnenstrahls auf der Treppe und rauchen. Jeder von ihnen trägt ein Chipkärtchen mit Schlüsselanhänger um den Hals, um sich Eingang zu den heiligen Hallen zu verschaffen. Die RFID-Technologie in den Chipkarten ist zumindest hier selbstverständlich.

Es ist August und bald muss das Rückzugsabkommen in trockenen Tüchern sein, sonst wird das Europäische Parlament es nicht mehr rechtzeitig zum offiziellen Austrittsdatum im März 2019 ratifizieren können. Die Regierung Theresa Mays steht unter Druck. Noch immer ist nicht der Hauch einer Einigung in Sicht. Die britische Seite lässt sich zu dem Satz hinreißen, die Republik Irland solle bei den Brexit-Verhandlungen den Druck in Sachen Friedensprozess abbauen. An diesem regnerischen Tag im August machen damit alle Zeitungen an den Kiosken in Dublin auf, zusammen mit Mays älterem Zitat “No Deal is better than a Bad Deal”.

Katie Daughen empfängt in einem herrschaftlichen Altbau am Merrion Square. Ein Kronleuchter baumelt von der Decke. Die weiße Ledercouch und ein fliederfarbenes Interieur lassen nicht die britisch-irische Handelskammer vermuten, sondern eher das Foyer eines Designstores. “Die Handelskammer besteht erst seit 2011, da sich in jenem Jahr die Queen erstmals nach 100 Jahren wieder auf die irische Insel traute.” Den Cousin der Königin, Louis Mountbatten, hatten katholische Hardliner 1979 auf einem Fischerboot mit einer Bombe ermordet. Doughen, mit Pferdeschwanz und Blümchenkleid, vertritt die Gegenposition von Theresa May.

“Oh nein, ein schlecht verhandeltes Abkommen ist immer noch besser als gar kein Abkommen”, sagt sie, “a bad deal is better than no deal.” Den Unternehmen auf beiden Seiten der Irischen See sei mittlerweile jedes Abkommen recht. Hauptsache, man verhindere, dass man wieder auf die Zollsätze der Welthandelsorganisation (WTO) zurückfalle.

“Viele Unternehmer sind total verunsichert. Niemand weiß, was passieren wird. WTO-Zollsätze können entsetzlich hoch ausfallen. Da die Exporte von Irland nach Großbritannien höher sind als in die umgekehrte Richtung, würde eine Grenze die irische Wirtschaft stärker treffen als die britische.” Daughen schlägt ihre Beine auf dem weißen Ledersofa zusammen. “Nichts ist schlimmer für die Wirtschaft als Unsicherheit. Die Unternehmer in Großbritannien und Irland wollen Klarheit.”

Das Schlimme seien noch nicht einmal die Zollsätze. “Das Problem ist die Bürokratie.” Besonders die kleinen und mittelständischen Unternehmen träfe es hart. Keine Firma, die nach Irland oder Großbritannien exportiere, hätte Erfahrung mit Zolldeklarationen. “Auf einmal muss man lange Listen und Erklärungen ausfüllen, was man zu verzollen hat, ohne dass auch nur irgendein Angestellter in dem Unternehmen das jemals getan hätte.” Viele Unternehmen würden bei einem Brexit vorsorglich ihre Exporte ganz einstellen, bevor sie sich mit komplizierten Zollregelungen auseinandersetzen müssten.

“Gerade bei Lebensmittelexporten zählt hier jede Minute.” Die Uhr beim Verfallsdatum eines Käses beginne in dem Moment zu ticken, in dem die Milch aus dem Euter kommt. Befürwortet Sie eine smart border? “Nein. Wir von der British-Irish Chamber of Commerce plädieren für absolut gar keine Grenze. No border.”