Missing Link zu Smart Borders: “Die Leute werden jede Grenze niederreißen”

Seite 7: Die DUP sieht kein Problem

Inhaltsverzeichnis

Mehrere Presseanfragen per Email lassen DUP-Mitglieder unbeantwortet, auf Anrufe reagiert der Pressesprecher nicht weiter. “Wir sind in Sommerpause”, lässt er verlauten. Irgendwann suche ich kurzerhand ein Wahlkreisbüro eines DUP-Abgeordneten in East Belfast auf. Wie alle öffentlichen Institutionen in Belfast ist auch dieses Büro von Absperrgittern umgeben, aus Angst vor einem Anschlag. Ich gebe mich als Touristin aus, die “sich mal über die Grenze erkundigen wollte”.

Überraschenderweise nimmt sich ein Referent des DUP-Abgeordneten Gavin Robinson kurz Zeit für ein Gespräch. Eine Kamera mehr oder weniger an der Grenze sei im Zuge der Einrichtung einer smart border doch kein Problem. Überhaupt seien die zwei Prozent Einbußen beim BIP in Irland und Großbritannien nur ein marginaler Wert. Mit technischen Details kenne er sich nicht aus, aber da die automatische Nummernschilderkennung über Kameras schon jetzt von der Polizei angewandt werde, “würde einer smart border sicher nichts mehr im Wege stehen”.

Die DUP hatte ihre Wähler 2016 aufgerufen, für den Brexit zu stimmen. Ist es nicht ein wenig naiv zu glauben, man könne nicht Mitglied der EU sein und gleichzeitig auf eine Grenze verzichten? “Die Tories haben vor dem Brexit gesagt, man müsse keine Mauer nach dem Austritt hochziehen. Es wäre ein Brexit ohne Grenze möglich.” Die Stimme des Referenten klingt weinerlich. “Dass das jetzt so ein Verhandlungs-Tohuwabohu wurde, konnten wir nicht wissen.”

Dr. Neil Jarman.

(Bild: Valerie Lux)

Neil Jarman, Leiter des Institute for Conflict Research, kennt seine Landsleute genau. Er hat die Brille auf den kahlen Kopf geschoben und sitzt mit rot-weiß gestreiften Hemd vor seinem Computer. Hinter ihm an der Wand hängt eine große Karte von Belfast, daneben ein Bild von Gerry Adams, Anführer von Sinn Féin, der mit Ian Paisley vor einem Schachbrett sitzt und spielt – ein Symbol für die Verhandlungstaktik beim Karfreitagsabkommen.

“In Belfast wie in Derry agiert die IRA wie ein Mafia-Clan in den katholischen Stadtteilen. Sie kümmern sich in einer Art Stammesjustiz um ein ordnungsgemäßes Zusammenleben der Einwohner. Wer mit Drogen dealt, kann von ihnen nach einigen Warnungen exekutiert werden.” Gehen die Angehörigen dann zur Polizei? “Nein. Denn ihre Verwandten könnten die Nächsten sein.” Ist das kein Versagen des britischen Rechtsstaats? “Ja, natürlich”, seufzt Jarman. “Ich schätze jedoch, dass es in ganz Belfast nur noch 200 bis 300 aktive IRA-Mitglieder gibt”.

Was sagt Jarman zu den stockenden Regierungsverhandlungen in Irland? “Überall auf der Welt können wir dasselbe Muster beobachten: In jedem Parlament, in dem die größten Parteien ethnische Parteien sind, stagniert die Politik. Das ist Nordirland dasselbe wie Bosnien und im Libanon. Man ermuntert die verfeindeten Gruppen in Friedensverhandlungen, ihre Waffen niederzulegen, indem sie im politischen Prozess Vetorechte erhalten. Man verspricht ihnen, dass sie in einer Demokratie nicht übergangen werden."

"Doch langfristig wird das zum Verhängnis", meint Jarman, "da jede Partei, die mehrheitlich die Interessen einer kulturellen Gruppe vertritt, nach der Wahl auch nur für diese Ethnie Politik macht. Keine Politik für die Gesamtbevölkerung.” Solange die protestantische DUP und die katholische Sinn Féin sich nur für ihre jeweiligen religiösen Angehörigen verantwortlich fühlen und nicht auch für den Rest der Einwohner, fühlt sich die andere religiöse Minderheit also diskriminiert. “Eine vernünftige Lösung im Grenzstreit zu finden, ist für die DUP und der Sinn Féin nicht wichtig. Hauptsache, man kann so viele gewonnene Wahlkreise wie möglich mit nach Hause nehmen.”

Der Chef von Google, Sundar Pichai, sagte einst auf einer Pressekonferenz, er sei sehr glĂĽcklich ĂĽber KĂĽnstliche Intelligenz. Technischer Fortschritt wĂĽrde das Leben aller Menschen bequemer und praktischer gestalten. Doch die Option, mit KĂĽnstlicher Intelligenz den Konflikt von Ethnien ĂĽber eine Landgrenze zu befrieden, erscheint hilflos in einer hoffnungslos verfahrenen Pattsituation, in der weder die protestantisch-britische noch die katholisch-irische Seite auch nur einen Zentimeter von ihrer Position abrĂĽcken wollen.

“Wir schaffen es nicht, unseren Konflikt zu lösen, deswegen sollen technische Geräte 'unsichtbar' überwachen, wer an der Grenze ein- und ausgeht” lautet die unterschwellige Argumentation der Befürworter der smart border. “Früher wurde uns an der Grenze mit Stacheldrahtzäunen und Häuschen das Leben schwer gemacht, heute macht ihr genau dasselbe mit Kameraüberwachung”, begründen die Gegner der smart border ihre Ablehnung.

In Derry geht die Sonne unter. Aideen Hughes sitzt auf ihrem Sofa und hat ihren Laptop mit zwei Kissen abgestützt. Sie nutzt die Technik auf ihre Art und Weise. Fasziniert starrt sie auf ihren Bildschirm. Per Facebook hat ein Familienvater aus dem nordirischen Dörfchen Enniskillen ein Selfie-Video gedreht. Er ruft Politiker auf, endlich eine Regierung zu bilden. Grüne Hügel sind hinter ihm auf einer Schafweide zu sehen, während er “Get back to work, politicians!” ruft. Ihm sei egal, ob er protestantisch oder katholisch sei.

Das Video wurde innerhalb von kurzer Zeit eine halbe Million Mal aufgerufen. Landesweite Demonstrationen unter dem Hashtag #WeDeservebetter sind geplant. Aideen hat die Organisation des Marsches für Derry übernommen. Sie wirkt aufgeregt. “Endlich bewegt sich was”, sagt sie. “Es geht nicht mehr um diesen elendigen Religionsstreit.”

Die Einwohner von Nordirland haben ihre Zukunft selbst in die Hand genommen.

Aideen Hughes.

(Bild: Facebook)

Reisekorrespondentin Valerie Lux ist Politikwissenschaftlerin. Sie interessiert sich fĂĽr den Zusammenprall zwischen Technik und Macht und bloggt darĂĽber auf digilux.blog.

Die Reise wurde durch das Stipendium von Netzwerk Recherche ermöglicht. (mon)