Google gegen Mitarbeiter: Konfrontationskurs geht weiter

Seite 2: "Google Walkouts" gegen Sexismus

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Einen zwischenzeitlichen Höhepunkt erreichten die internen Proteste schließlich im November 2018, als im Rahmen der MeToo-Debatte Tausende "Googler" weltweit ihre Arbeit niederlegten, um gegen Missstände wie Sexismus, Rassismus und Machtmissbrauch durch Führungskräfte zu protestieren – Themen, auf die nicht zuletzt seit dem "Manifest" von James Damore eine große Aufmerksamkeit gerichtet war. Ein zweifelhafter Umgang von Google mit mehreren Fällen von Vorwürfen sexueller Belästigung hatte genug Angestellte gegen die Führungsebene aufgebracht, um an zahlreichen Standorten die als "Google Walkouts" bekannt gewordenen Streiks zu organisieren.

Besonders der Fall des Android-Schöpfers Andy Rubin, der nach Vorwürfen sexueller Nötigung das Unternehmen mit einer äußerst komfortablen Abfindung von 90 Millionen Dollar verlassen hatte, stieß bei vielen auf Unverständnis. "Es gibt Tausende von uns, auf jeder Ebene der Firma – und wir haben genug", erklärten die Organisatoren der "Walkouts". Pichai bemühte sich damals, Schadensbegrenzung zu betreiben, und sicherte den Protestierenden seine Unterstützung zu. "Wir wissen, dass wir in der Vergangenheit nicht immer alles richtig gemacht haben, und das tut uns aufrichtig leid", erklärte der CEO schließlich und gelobte in einem "Aktionsplan" einen besseren Umgang mit Vorwürfen dieser Art.

Doch damit war die Unzufriedenheit in der Belegschaft keineswegs aus der Welt geschafft. Wie Bloomberg Businessweek kürzlich aufgearbeitet hat, bemüht sich Google in den USA weiterhin zunehmend um Regierungsaufträge und bessere Beziehungen zum Militär. Gerade der Versuch, in China in verschiedenen Geschäftsfeldern Fuß zu fassen, hatte Google zuvor den Vorwurf eingebracht, "unpatriotisch" zu sein – ein Eindruck, den das Management mit Blick auf lukrative Staatsaufträge gerne korrigieren würde. Zwar gilt auch die Konzernleitung um Pichai nicht als Unterstützer der äußerst rigiden Anti-Einwanderer-Rhetorik von US-Präsident Trump, doch mittels Tochterfirmen und finanziell unterstützten Startups hat inzwischen beispielsweise die US-Grenzschutzbehörde Zugriff auf KI-Trainingsdaten von Google. Dass sie damit die automatische Erkennung von Personen weiterentwickeln will, die die Grenze zu Mexiko überqueren, stößt – wenig überraschend – auch weiterhin auf internen Widerstand. Denn inzwischen haben zahlreiche Angestellte offenbar ein gehöriges Misstrauen besonders gegenüber Googles KI- und Cloud-Projekten entwickelt.

Die jüngsten Entwicklungen bis hin zur Entlassung der vier Angestellten deuten jedoch stark darauf hin, dass die Konzernleitung nicht mehr gewillt ist, weitere Protestaktionen zu akzeptieren, und dass die vielgerühmte offene Unternehmenskultur bei Google darunter leidet. Den Anfang machten neue "Community Guidelines" im August 2019, die politische Diskussionen am Arbeitsplatz auf ein absolutes Minimum beschränken sollten. Laut der Richtlinie sei es zwar erwünscht, Informationen und Ideen mit Kollegen zu teilen, nicht jedoch "den Arbeitstag zu stören, um eine hitzige Debatte über Politik oder aktuelle Nachrichten zu führen".

Dazu kamen im Oktober Vorwürfe gegen ein neues Kalender-Tool in Googles interner Chrome-Browservariante, das im Verdacht steht, größere Organisationsversuche der Angestellten an die Geschäftsführung zu melden. Die Erweiterung war für den Hausgebrauch verpflichtend bei allen Beschäftigten installiert worden. Im Gegensatz zu den meisten Vorwürfen dieser Art reagierte Google hier zwar offiziell und betonte, die Vorwürfe seien "kategorisch falsch" und das Tool habe keinerlei Spionagefunktion, sondern blende lediglich eine Pop-Up-Warnung ein, wenn viele Leute gleichzeitig zu einem Termin eingeladen würden. Doch die Episode heizte das Misstrauen weiter an.

Selbst vor europäischen Standorten machten die Probleme nicht Halt, denn zur selben Zeit berichtete das Handelsblatt über einen Versuch von Google, ein Gewerkschaftstreffen im Züricher Google-Büro zu verhindern. Die Angestellten dort hatten sich mit der Gewerkschaft Syndicon getroffen, um über Arbeitnehmerrechte zu sprechen – auch wenn Google das Treffen offenbar lieber durch eine eigene Veranstaltung ersetzt hätte.

In der Zwischenzeit kündigte Sundar Pichai zu allem Überfluss auch noch an, die traditionsreichen "Thank God It's Friday"-Meetings (TGIF) umzustrukturieren, seltener stattfinden zu lassen und weniger interaktiv zu gestalten - ausgerechnet jene Meetings also, die als Plattform für Fragen der Angestellten an die Konzernleitung und somit als Markenzeichen eben jener offenen Unternehmenskultur gegolten hatten. Aber auch jene Meetings, in denen die kritischen Stimmen in den vergangenen Monaten immer lauter geworden waren. Auch damals begründete CEO Sundar Pichai den Schritt mit "koordinierten Anstrengungen, diese Gespräche außerhalb der Firma zu verbreiten."

Als schließlich vergangene Woche Screenshots aus einem Manager-Kalender an US-Medien gelangten, laut denen Google bereits seit Monaten mit einer Beratungsfirma zusammenarbeitete, die für die Bekämpfung von Gewerkschaftsarbeit bekannt ist, fielen in den Augen vieler Protestierender die letzten Puzzleteile an ihren Platz.

Ob die Beratungsfirma namens IRI Consultants, die mit "union busting" in Verbindung gebracht wird, tatsächlich hinter den jüngsten Maßnahmen steht, ist unklar. Auf ihrer Webseite wirbt sie immerhin damit, Firmen auf mögliche Einfallstore für gewerkschaftliche Bemühungen hin zu untersuchen und die Bildung von Arbeitnehmervertretungen möglichst einzuschränken oder zu verhindern. Zumindest für eine Gruppe von unzufriedenen Angestellten, die weiterhin unter dem Label der "Google Walkouts" auftreten, ist dies jedoch der Beweis, dass der Konzern nun endgültig beschlossen habe, die weitere Organisation der Angestellten und ihre Proteste zu unterbinden. Nun folgten Beurlaubungen und Entlassungen von Wortführern – zum ersten Mal von Seiten der Konzernleitung, nachdem einige der internen Kritiker bereits selbst Google verlassen haben. Daraufhin organisierte die "Walkout"-Gruppe erneut Protestkundgebungen, die bislang nur in San Francisco stattfanden. Doch ein Ende der Konfrontation scheint nicht in Sicht. (siko)