Münchner Linux-Migration bleibt auf Kurs

Das LiMux-Projektbüro hat einen Bericht als "kalten Kaffee" zurückgewiesen, wonach die laufende Umstellung der Rechner auf das frei verfügbare Betriebssystem Linux vier Jahre länger als geplant dauere.

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Das LiMux-Projektbüro in München hat einen Bericht als "kalten Kaffee" zurückgewiesen, wonach die laufende Umstellung eines Großteils der Rechner in der Stadtverwaltung auf Linux vier Jahre länger dauere als geplant. "Schon in unserem Feinkonzept 2004 haben wir gesagt, dass wir die IT-Infrastrukturen im Rahmen der Migration insgesamt verbessern wollen", erklärte der stellvertretende Projektleiter, Florian Schießl, gegenüber heise online. Man setze seitdem nicht auf eine Umrüstung der Rechner auf Biegen und Brechen, einer kostspieligen Emulation problematischer Prozesse sowie einer direkten Eins-zu-Eins-Umwandlung von Textbausteinen und Makros. Diese Linie der "sanften Migration" sei seit Jahren öffentlich bekannt.

Das Magazin "eGovernment Computing" hatte zuvor alte, unter anderem auch von der Berliner Senatsverwaltung erhobene Vorwürfe neu aufgekocht, wonach die Migration hin zu freier Software in der bayerischen Landeshauptstadt in einem Anfangsstadium stecken geblieben sei. "Die Techniker brauchen mehr Zeit", schreibt das Fachblatt unter Verweis auf angebliche Verzögerungen um vier Jahre. "Kritiker" würden von einem "Schildbürgerstreich" sprechen, da die Umstellung eigentlich bereits Ende des Jahres abgeschlossen werden sollte und nicht erst 2012.

"Der Client steht seit 2006", erläuterte Schießl demgegenüber. Die Münchner nahmen vor rund zwei Jahren die Version 1.0 des Linux-Desktops in Betrieb. LiMux läuft inzwischen auf 1200 der rund 14.000 Arbeitsplätze der Stadtverwaltung. Auf allen Rechnern wird freie Software in Form des Browsers oder E-Mail-Clients eingesetzt. Die Migration auf die Microsoft-Office-Alternative OpenOffice ist ebenfalls weit vorangeschritten: Auf 8000 Arbeitsplätzen läuft inzwischen die Open-Source-Bürosoftware.

"Es hat 2003 eine Vorstudie im Rahmen des Migrationsbeschlusses gegeben, in der von einer Umstellung bis Ende 2008 die Rede war", kann sich Schießl die Meldung nur erklären. Dabei habe es sich um eine "politische", auf fünf Jahr ausgerichtete Betrachtung gehandelt, die mit der Ausarbeitung des konkreten Konzepts längst überholt worden sei. Schon früh sei die Entscheidung gefallen, dass die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs Vorrang habe und im Rahmen der Migration eine umfangreiche Konsolidierung der IT-Landschaft erfolgen solle. Kritische Faktoren wie die Anpassung von Fachverfahren spare man auch seit langem nicht aus, wobei der Trend dort allgemein in Richtung Plattform-Unabhängigkeit laufe und den Münchnern in die Hände spiele. Von einem echten Hindernis wie im Sommer 2004, als die Stadtverwaltung das Projekt kurzzeitig wegen rechtlicher Ungewissheiten aufgrund von Softwarepatenten auf Eis legte, könne keine Rede sein.

Münchens Bürgermeisterin Christine Strobl und LiMux-Projektchef Peter Hofmann hatten Anfang Juli eine positive Zwischenbilanz zwei Jahre nach dem Start der eigentlichen Umrüstung gezogen. Die Stadt habe durch eine Vereinheitlichung von Computer-Formularen erreicht, dass in einigen Bereichen doppelte Arbeit vermieden werde, hatte Strobl herausgestellt. Pro Jahr werde so die Arbeitsleistung von 80 Mitarbeitern eingespart, die an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden könnten. Es gebe fast schon eine Art "LiMux-Tourismus", freute sich die SPD-Politikerin. Allein 2008 hätten sich bereits rund 50 Vertreter anderer Kommunen persönlich vor Ort über das Projekt informiert.

Durch Open-Source-Produkte soll in München zum einen dauerhaft Kosten gesenkt werden. Drei Millionen Euro würden durch den Wegfall von Lizenzgebühren alleine in den kommenden fünf Jahren eingespart, prognostizierte Strobl. Darüber hinaus sollen durch 12,8 Millionen Euro teure Vorzeige-Projekt einheitlich verbindliche Standards und interopable Arbeitsverfahren eingeführt, künftige Updates und Anpassungen durch die freie Software vereinfacht werden. Hofmann betonte, dass durch die Umstrukturierung auch die Münchner Wirtschaft gestärkt werde. Aufträge in Höhe von vier Millionen Euro seien innerhalb des Projekts bereits an kleinere und mittlere Firmen aus der Region vergeben worden.

Der Berliner IT-Staatssekretär Ulrich Freise hat unterdessen im Abgeordnetenhaus der Hauptstadt einen Bericht (PDF-Datei) über die Umsetzung des Auflagenbeschlusses der rot-roten Koalition abgegeben, wonach künftig bei der Beschaffung von Programmen und beim Erstellen eigener IT-Lösungen "grundsätzlich offene Standards" wie das Open Document Format (ODF) für Bürosoftware vorzugeben sind. Laut Freise habe das Berliner IT-Dienstleistungszentrum ITDG inzwischen den Prototypen eines Open-Source-Arbeitsplatzes für die Verwaltung entwickelt. Dieser soll ab Herbst "an ausgesuchten Plätzen" zunächst im Innenressort erprobt werden.

Die Berliner Wirtschaftsverwaltung stellt derweil gemäß dem SPD-Politiker ihre Server auf Linux um; sie prüfe noch in diesem Jahr anhand einer Wirtschaftlichkeitsberechnung, ob dieser Weg auch im Client-Bereich eingeschlagen werden solle. Im Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf werde zudem bereits auf 1000 Arbeitsplätzen OpenOffice verwendet. Die eigentlich als "Modellbezirk" für Open Source ausgewählte Verwaltung in Tempelhof-Schöneberg habe unterdessen eine Machbarkeitsstudie mit positivem Ergebnis durchführen lassen. Die nächsten Schritte zur Migration würden gemeinsam mit der IT-Zentrale der Bezirke, dem ITDZ und dem Senatsinnenressort ausgearbeitet. Auch in den Verwaltungen für Finanzen und Stadtentwicklung würde die Umrüstung auf OpenOffice beziehungsweise auf webbasierte Lösungen laufen. Die Grünen beklagten, dass es keine "strategische Steuerung" für die Befolgung der Parlamentsvorgaben gebe.

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)