Nord Stream 1: EU-Kommission rechnet mit dauerhaftem Erdgas-Lieferstopp

EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn sagte laut einem Medienbericht, die Kommission gehe davon aus, dass Russland Nord Stream 1 nicht wieder in Betrieb nimmt.

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Ein Foto aus dem Jahr 2013: Ein Pipeline-Molch kommt in Lublin an. Das Messgerät, das 7 Meter lang ist und 7 Tonnen wiegt, wurde durch die Pipeline von Russland nach Deutschland gedrückt.

(Bild: nord-stream.com)

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Die EU-Kommission rechnet laut einem Medienbericht nicht damit, dass Russland ab Donnerstag wieder Erdgas durch die Pipeline Nord Stream 1 liefert. Das Wall Street Journal bezieht sich dabei auf Angaben des EU-Haushaltskommissars Johannes Hahn, die er am Rande einer Konferenz in Singapur getroffen habe.

"Wir gehen davon aus, dass die Pipeline nicht wieder in Betrieb geht", sagte Hahn. Schon bevor die Wartungsarbeiten begannen, hatte Russland die Lieferungen durch Nord Stream 1 auf 40 Prozent reduziert.

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Die EU-Kommission bereite sich auf alle möglichen Szenarien vor, zitiert der Deutschlandfunk einen Sprecher der Kommission. Dazu gehöre auch die Möglichkeit, dass die Lieferungen durch die Gas-Pipeline Nord Stream 1 am Donnerstag nicht planmäßig wieder aufgenommen werden. Die EU-Kommission wolle am Mittwoch offiziell ihre Pläne dazu bekannt geben, wie die EU-Mitgliedsstaaten ihren Gasverbrauch senken können.

Nord Stream 1 wird seit dem 11. Juli routinemäßig gewartet, ab kommenden Donnerstag soll die Pipeline wieder Erdgas nach Deutschland liefern. Falls das auf Dauer nicht passiert, könnte das Deutschland deutlich härter treffen als Russlands Präsident Wladimir Putin, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dem Deutschlandfunk.

Technische Argumente, Nord Stream 1 nicht wieder in Betrieb zu nehmen, solle die russische Seite nicht haben, sagte Kühnert, dafür habe die Bundesregierung gesorgt. Eine für die Pipeline benötigte Turbine, die von Siemens Energy in Kanada gewartet wurde, werde bereitgestellt. Aber niemand würde "seine Hand ins Feuer legen wollen für politische Kräfte aus dem Umfeld von Wladimir Putin", sagte Kühnert laut Deutschlandfunk.

Gegen einen dauerhaften Lieferstopp aus Russland bringt Prof. Dr. Mohd Amro, TU Bergakademie Freiberg laut einem MDR-Bericht technische Argumente vor. Ein technischer Verschluss der Leitung sei nur für eine bestimmte Zeit möglich. Nicht gefördertes Erdgas könne nur so lange in den vorhandenen Poren- und Kavernenspeichern Russlands eingespeichert werden, bis alle Untergrundgasspeicher vollständig gefüllt sind. Das könne bis zum Winter dauern – danach drohen Schäden. Abrupte Produktionsunterbrechungen schadeten in jedem Fall den Erdgaslagerstätten.

Alternativ könnte Russland das Erdgas nicht nach Europa, sondern beispielsweise nach Großabnehmern wie China, Indien oder Japan liefern. Allerdings mangele es für solche Möglichkeiten an technischen Grundlagen, berichtet der MDR. Laut Prof. Dr. Michael Z. Hou von der TU Clausthal sei eine Umleitung größerer Mengen russischen Erdgases nach China trotz bestehender Leitungen nicht möglich, für den Transport von LNG aus Russland fehlten die Kapazitäten.

Über die Pipeline Nord Stream 1, die über gut 1200 Kilometer von Russland durch die Ostsee nach Lublin in der Nähe von Greifswald verläuft, wurden 2021 etwa 59,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Deutschland geliefert. Das ergibt grob gerechnet 590 Milliarden kWh. Insgesamt wurden laut BDEW in Deutschland 1003 Milliarden kWh Erdgas verbraucht. Momentan liefert Russland nach West- und Zentraleuropa noch Erdgas über eine Gasleitung, die durch die Ukraine verläuft.

Das vom SPD-Generalsekretär Kühnert angesprochene Gasturbinentriebwerk ist laut dem russischen Lieferanten Gazprom wichtig für die Kompressorstation Portowaja, die wiederum für den Betrieb von Nord Stream 1 essenziell sei. Das Bundeswirtschaftsministerium hingegen hatte betont, es handele sich um eine Ersatzturbine. Es sei ein russischer Vorwand, dass wegen der Wartung dieser Turbine der Gasfluss habe gedrosselt werden müssen. Trotz ukrainischer Proteste hatte Kanada die Ausfuhr der reparierten Turbine genehmigt, sie soll auf dem Weg nach Russland sein, wurde am Montag berichtet. Gazprom hatte zuvor weitere Zweifel an der Wiederaufnahme der Lieferungen durch Nord Stream 1 geweckt.

(anw)