OLG Frankfurt: Antisemitismusbeauftragter verliert Verfahren gegen X

Für das Oberlandesgericht Frankfurt ist die Meldung diffamierender Tweets gegen Antisemitismusbeauftragten Blume nicht konkret genug für Plattform-Haftung.

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X-Symbol auf einem Smartphone. Das Smartphone liegt auf einer Mac--Notebook-Tastatur.

Die Beschränkungen des von X bereitgestellten Meldeformulars schützen X.

(Bild: sdx15/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Falk Steiner

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main kassiert überraschend einen Beschluss der Vorinstanz: Im Verfahren des Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben Michael Blume gegen die Plattform X, das frühere Twitter, folgten die Richter in zweiter Instanz der Argumentation der Plattform in einem entscheidenden Punkt. Damit laufen die Meldeformulare auf Basis des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ins Leere.

Blume nahm X wegen mehrerer Tweets auf Unterlassung in Anspruch, die das Unternehmen zuerst trotz Beanstandung nicht löschte. Ein Betroffener müsse die Plattform "zunächst mit Beanstandungen konfrontieren, die so konkret gefasst sein müssten, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann", heißt es in einer Pressemitteilung des OLG. Erst dann treffe den Provider die "Verpflichtung zur weiteren Ermittlung und Bewertung des angezeigten Sachverhalts".

Die Tweets, die die Vorinstanz als unzulässig erachtete, enthielten unter anderem Behauptungen über angebliche sexuelle Interessen an minderjährigen Asiatinnen und weitere diffamierende Inhalte. Doch das Oberlandesgericht Frankfurt erachtet das nicht als ausreichend. Mit seinem Beschluss gab das OLG der Revision der Plattform statt und wies das Unterlassungsbegehren des Antisemitismusbeauftragten in zweiter und letzter Instanz unanfechtbar ab.

Das OLG Frankfurt sah in den Schreiben von Blumes Anwalt sowie dessen Hinweise auf die Tweets als "illegaler Inhalte" über das damalige Meldeformular, das den Vorgaben des NetzDG entsprochen habe, keine hinreichend konkreten Hinweise, um den Betreiber zur Unterlassung der Verbreitung zu verpflichten. Aus den Beanstandungen der Tweets allein sei nicht hervorgegangen, dass der Kläger sich gegen die "Verbreitung konstruierter Lebenssachverhalte" wende, denen es an tatsächlicher Grundlage fehle oder gegen "nicht erweislich wahre Tatsachen". X hätte damit nicht eindeutig wahrnehmen können, was an diesen Tweets zu beanstanden sei. Der Kläger hätte mehr Information liefern müssen. Ein Freitextfeld gab es zu dem Zeitpunkt allerdings nicht – das Gericht verweist nun auf die Möglichkeit, Anhänge zur Meldung zu übergeben.

"Für Betroffene von digitaler Gewalt und ihre Familien ist heute ein schlechter Tag", sagt Blume in einer Pressemitteilung. "Einen wehrhaften Rechtsstaat, der konsequent gegen Hass und Hetze vorgeht, stelle ich mir anders vor." Blume ging mit Unterstützung der NGO HateAid vor Gericht. Deren Geschäftsführerin Josephine Ballon sieht in dem Oberlandesgerichts-Spruch auch eine Enttarnung der Strategie der Plattform: "X hat jahrelang den Eindruck erweckt, dass Betroffene digitaler Gewalt über das offizielle Meldeformular Löschung von Inhalten verlangen können. Nun berufen sie sich vor Gericht erfolgreich darauf, dass ihre eigenen Meldewege dafür nicht gemacht sind." Das sei absurd.

Mit der E-Commerce-Richtlinie, die erst durch den Digital Services Act (DSA) im vergangenen Jahr modernisiert worden ist, hat die EU das sogenannte "Notice-and-Action"-Verfahren niedergeschrieben: Hostinganbieter haften bis zur Kenntniserlangung über einen möglichen Rechtsverstoß grundsätzlich nicht für Inhalte Dritter – solange die Hoster nicht selbst aktiv prüfen. Ab der Benachrichtigung, etwa durch Nutzer, können sie aber, wie in diesem Fall von Blume angestrebt, in Mithaftung als Verbreiter geraten. Das Notice-and-Action-Grundprinzip wurde unter dem DSA-Regime beibehalten. Allerdings müssen Meldungen, anders als unter dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, nun für alle Formen vermutlich gesetzeswidrigen Handelns möglich sein. Zudem sind die Meldewege umfangreicher vorgegeben. Zudem ist die öffentliche Nennung eines Bevollmächtigten für die Zustellung juristischer Schriftsätze innerhalb der EU Pflicht.

Update

"Rechtskräftig" im dritten Absatz durch "unanfechtbar" ersetzt. Wir bedanken uns bei einem aufmerksamen Leser für den Hinweis darauf, dass die Entscheidung für die angestrebte Einstweilige Verfügung zwar unanfechtbar ist, das Hauptsacheverfahren aber noch aussteht.

(nie)