Olaf Scholz: KI wird das hohe Tempo des wirtschaftlichen Wandels steigern

Der Bundeskanzler sprach über Hemmnisse und Fortschritte des wirtschaftlichen Umbaus. KI ist für ihn ein Antreiber – und manchmal steht eine Blume im Weg.

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Bundeskanzler Olaf Scholz hält eine Rede

Bundeskanzler Olaf Scholz am 2. Juni 2024 auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum.

(Bild: Deutschland – Land der Ideen / Brundert_Marquardt)

Lesezeit: 5 Min.
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"Wir gehen gerade mit enormer Geschwindigkeit mitten durch eine sehr grundlegende Modernisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft." Das sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforums in Bad Saarow. Diese werde getrieben durch Dekarbonisierung, Digitalisierung und KI-Nutzung. Scholz geht davon aus, dass durch die "exponentiell steigenden Kapazitäten von Künstlicher Intelligenz" erwartbar sei, "dass sich das Veränderungstempo in den kommenden Jahren noch deutlich steigern wird".

Allerdings gebe es Faktoren für zyklische und strukturelle Wachstumsschwächen, den Arbeitskräftemangel, das Energiesystem, Investitionsbereitschaft und Bürokratie. Denen versuche die Bundesregierung zu begegnen, beispielsweise durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Dadurch könnten diejenigen Menschen, die hier gebraucht werden, schnell und ohne allzu viel Bürokratie kommen. Zum Thema Bürokratie führte Scholz dabei das Immissionsschutzgesetz als Beispiel an, deren Novellierung die Bundesregierung nun angehe. "Das klingt ziemlich bürokratisch", sagte Scholz, "aber wer einmal irgendwo etwas gebaut hat oder eine Anlage in Betrieb genommen hat, der weiß: Gerade diese Prüfunterlagen füllen meterlange Aktenwände." Jemand habe ihm erzählt, er habe zwei Lastwagen gemietet, um seine Unterlagen zur Behörde zu fahren.

"Da wird dann geprüft, ob ein Windrad oder ein Elektrolyseur negative Auswirkungen auf irgendeine Vogel- oder Blumenart hat", sagte Scholz. "Ich will den Blumen und Vögeln nichts. Aber beim Bau neuer Leitungen, beim Aufbau neuer Energieversorgung oder klimafreundlicher Produktion, da geht es doch gerade um den Umwelt- und Klimaschutz. All das wegen einer Blume, die auch ein paar Meter weiter wachsen kann, aufzuhalten, können wir uns schlicht nicht mehr leisten." Um solche Genehmigungsverfahren abzukürzen, setze die Regierung voll digitalisierte Verfahren, auf klarere Fristenregelungen und auf vorzeitigen Baubeginn.

Scholz sprach damit den klassischen Konflikt zwischen Umwelt- und Naturschutz an. Um gegen den Klimawandel generell vorzugehen, werden beispielsweise Windräder in Gebieten geplant, in denen seltene Pflanzen wachsen oder Vögel ihre regelmäßigen Zugrouten haben. Dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und deren Infrastruktur räumt daher das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein "überragendes Interesse" ein.

Im Ausbau der erneuerbaren Energien habe Deutschland zum ersten Mal das Tempo erreicht, das nötig sei, um 2030 etwa 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu produzieren, sagte Scholz weiter. Hinzu komme die neue Kraftwerksstrategie für Zeiten, in denen kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, und der Rahmen für ein Wasserstoffkernnetz. "Damit haben wir fast alles zusammen, was wir für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung und in Zukunft in Deutschland brauchen."

Die Großhandelspreise für Energie lägen nun wieder auf dem Vorkrisenniveau. "Zum Teil hat der Markt dafür gesorgt – zum Teil aber auch wir, als Regierung." Sie habe beispielsweise durch Flüggiggasterminals das Angebot ausgeweitet, die EEG-Umlage abgeschafft und die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft fast auf null reduziert. "Wir haben die Entlastungen für energieintensive Unternehmen fortgesetzt und ausgeweitet. Und wir schauen uns an, wie sich das fortführen lässt."

Die Bundesregierung investiere in diesem Jahr gut 100 Milliarden Euro, erklärte Scholz. "Wir investieren nicht mit der Gießkanne, sondern gezielt dort, wo die Grundlage für volkswirtschaftliches Wachstum besteht: in Glasfaserleitungen, in die Erneuerung der Schienen, bessere Straßen und neue Brücken, in ein flächendeckendes Ladesäulennetz, den Wasserstoffhochlauf, die Transformation von Industrieprozessen, in energetische Gebäudesanierung und die Förderung von Mikroelektronik."

Der Erfolg der Investitionen sei gerade in Ostdeutschland sichtbar. Als Beispiele zählte Scholz Tesla, CATL und Infineon, Intel, Amazon und TSMC auf, die sich für Milliardeninvestitionen in Ostdeutschland entschieden hätten, auch wegen der dortigen Standortstärken: gute Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Gewerbeflächen in Größenordnungen, die es in den anderen Ländern oft gar nicht mehr gibt. Hinzu kämen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die technologieinteressiert und industriefreundlich seien. Ein weiterer Standortvorteil seien die Erneuerbaren Energien, deren Gewicht zu zukünftigen Ansiedlungsentscheidungen weiter steigen werde.

Dafür müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien Hand in Hand mit dem Netzausbau gehen. Hier lobte Scholz das Land Brandenburg, dessen Regierung sich mit den Verteilnetzbetreibern auf ein gemeinsames Programm geeinigt habe, um Planungs- und Genehmigungszeiten deutlich zu verkürzen.

Bei dem schnellen Tempo – das Wirtschaftsforum trug zudem das Motto "fast forward" – plage viele Bürgerinnen und Bürger, die Sorge, abgehängt zu werden und die Kontrolle zu verlieren, räumte Scholz ein. Ihn erinnere das an ein nun fast 100 Jahre altes Gedicht des gebürtigen Dresdners Erich Kästner: "Der Globus dreht sich. Und wir dreh’n uns mit. Die Zeit fährt Auto. Doch kein Mensch kann lenken." Daraus schloss Scholz, Zeiten großer Veränderung seien schon immer Zeiten großer Unsicherheit über die Zukunft gewesen.

"Das hat wirtschaftliche, das hat gesellschaftliche und das hat politische Auswirkungen", betonte Scholz. Damals wie heute versuchten Extremisten, diese Unsicherheit auszunutzen, Angst und Unruhe zu schüren: "Da werden wirtschaftlich ruinöse Wahnvorstellungen von D-Mark und D-Exit verbreitet. Da werden Wahlplakate abgerissen, da werden Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer angegriffen, da wird die Demokratie verächtlich gemacht." Die Täter sollen sich nicht sicher fühlen, ergänzte Scholz: "Wir werden gegen alle vorgehen und wir werden es nicht akzeptieren, dass solche Gewalt stattfindet."

(anw)