Olympia: Pariser Polizeipräfektur genehmigt KI-gestützte Videoüberwachung

Für die Sommerspiele ist Algorithmen-gesteuerte Videoüberwachung auf experimenteller Basis jetzt offiziell in der Metro zugelassen. Bürgerrechtler protestieren.

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Überwachungskamera mit symbolischer Gesichtserkennung

(Bild: Scharfsinn/Shutterstock.com)

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Wenn am Freitag der offizielle Startschuss für die Olympischen Sommerspiele fällt, schauen Strafverfolger nun auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln mit speziell aufgerüsteten elektronischen Augen auf Sportbegeisterte, Reisende, Einheimische und Touristen. In einem am 19. Juli erlassenen Dekret genehmigte die Pariser Polizeipräfektur den experimentellen Einsatz von Instrumenten zur Algorithmen-gesteuerten Videoüberwachung in 46 Pariser Metro-Stationen. Dies steht im Einklang mit dem schon verfassungsrechtlich überprüften Gesetz für die Olympischen Spiele vom Mai 2023, das den rechtlichen Rahmen für das zunächst bis Ende März 2025 genehmigte Pilotprojekt absteckt. Zulässig ist damit der breite Einsatz von Kameras zur "intelligenten" Videoüberwachung in Echtzeit.

Mit dem Ansatz will die französische Regierung es den Sicherheitsbehörden ermöglichen, etwa verdächtiges Verhalten, unbeaufsichtigtes Gepäck, gestürzte Personen, Feuer, Waffen und bedrohliche Menschenansammlungen zu erkennen. Die eingesetzten Werkzeuge ermöglichten keine biometrische Gesichtserkennung, betont das Innenministerium. Die Algorithmen und die damit verknüpften Funktionen mit Künstlicher Intelligenz (KI) seien nur darauf trainiert, acht Hochrisikosituationen zu erkennen. Die französischen Sicherheitsbehörden haben die Technik in den vergangenen Monaten mit Unternehmen wie Videtics, Orange Business, ChapsVision und Wintics etwa bei Konzerten von Depeche Mode und Taylor Swift sowie den Filmfestspielen von Cannes getestet. Sie fühlen sich so bereit für den Großeinsatz der im Französischen als VSA abgekürzten Videoüberwachung während Olympia.

"Wir verwandeln Kameras in ein leistungsstarkes Überwachungsinstrument", erklärte Matthias Houllier, Mitbegründer von Wintics gegenüber dem Magazin Wired. Bei Tausenden elektronischen Augen sei es für Polizisten unmöglich, auf jedes davon direkt zu reagieren. Das System analysiere daher "anonyme Formen im öffentlichen Raum". Die Algorithmen könnten etwa die Anzahl von Menschen in einer Menge und zu Boden fallende Personen zählen und die Bediener alarmieren, sobald ein bestimmter Schwellenwert überschritten werde. Es gebe keine automatische Entscheidung. Für Houllier ist der Ansatz eine datenschutzfreundliche Alternative zu umstrittenen Gesichtserkennungssystemen, wie sie etwa bei der Fußball-WM 2022 in Katar eingesetzt worden seien.

Geht es nach dem französischen Innenminister Gérald Darmanin, ist Wachsamkeit geboten: Frankreich stehe vor der "größten Sicherheitsherausforderung, die je ein Land in Friedenszeiten bewältigen musste". Zivilgesellschaftliche Organisationen wie European Digital Rights (EDRi), La Quadrature du Net (LQDN), Amnesty International, AlgorithmWatch und Privacy International laufen indes seit Langem Sturm gegen die Initiative. Sie befürchten, dass die Überwachungsmaßnahmen gegen internationale Menschenrechtsvorschriften wie die EU-Grundrechtecharta verstoßen. Die Privatsphäre, die Versammlungsfreiheit und das Gebot zur Nichtdiskriminierung seien in Gefahr. Die Systeme müssten zudem zwangsläufig biometrische Merkmale und Verhaltensweisen von Personen wie Körperhaltung, Gang, Bewegungen oder Aussehen erfassen und auswerten.

LQDN hat zusammen mit anderen Bürgerrechtsvereinigungen im Rahmen einer Anti-VSA-Kampagne zu Protesten gegen die laufenden Maßnahmen aufgerufen. Vor allem der Einsatz der KI-Überwachung in Metro-Bahnhöfen auch weit weg von den Sportstätten "wirft Fragen über den Zweck auf", unterstrich die Rechtsexpertin der Organisation, Noémie Levain, gegenüber Euractiv. Sie will wissen: "Werden die Kameras, die beispielsweise in der U-Bahn-Station République installiert sind, dazu genutzt, Menschen zu überwachen, die zu Demonstrationen gehen?" Auch die Jura-Professorin Anne Toomey McKenna warnt in Telepolis vor einer intransparenten legalisierten Massenüberwachung mit hohem Potenzial für weitere Datenanalysen und Grundrechtseingriffen. Dass das Experiment im nächsten Frühjahr tatsächlich endet, glauben die Kritiker nicht.

(fds)