Nobelpreis für Physik: Was die Auszeichnung für die Klimaforschung bedeutet

Den Physik-Nobelpreis erhalten zwei Klimaforscher und ein Physiker, die mit ihrer Arbeit Klimamodelle verbessern und interpretieren.

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Syukuro Manabe und Klaus Hasselmann bekommen je ein Viertel, Giorgio Parisi eine Hälfte.

(Bild: Nobel Media)

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Der Nobelpreis für Physik geht dieses Jahr zur einen Hälfte an den deutschen Klimaforscher Klaus Hasselmann und den US-Amerikaner Syukuro Manabe für die physikalische Modellierung des Erdklimas, die Quantifizierung der Variabilität und die zuverlässige Vorhersage der globalen Erwärmung.

Der Italiener Giorgio Parisi bekommt die andere Hälfte für die Entdeckung des Zusammenspiels von Unordnung und Schwankungen in physischen Systemen von atomarer bis planetarer Ebene. Das hat das Nobel-Komitee der Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm soeben bekannt gegeben.

Um Syukuro Manabes Forschung einzuordnen, ist ein Blick zurück erforderlich: 1903 gelang es dem norwegischen Physiker Vilhelm Bjerknes erstmals, die komplexe Maschinerie der Atmosphäre mathematisch zu fassen. Später kamen ähnliche Gleichungssysteme für die Meere und die Kontinente dazu, die zu globalen Erdsystemen gekoppelt wurden.

Bjerknes entwickelte ein System von sieben miteinander gekoppelten partiellen Differenzialgleichungen, die zeitliche und räumliche Änderungen von physikalischen Variablen der Atmosphäre in Abhängigkeit von anderen Variablen beschreiben. Die Lösungen dieser Gleichungen beschreiben, wie sich zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt verhalten wird, wenn man die Messgrößen für den Startzeitpunkt kennt. Allerdings gibt es keine analytische Lösung für diese Gleichungen. Sie lassen sich nur numerisch lösen, und auch das nur, wenn sie vereinfacht werden, da der Rechenaufwand sonst ins Unermessliche steigen würde.

Mit der Entwicklung leistungsstarker Digitalcomputer in den 1960er Jahren wurden Klimamodelle jedoch zu einem anerkannten Forschungsinstrument. Der Japaner Syukuro Manabe und sein US-Kollege Richard Wetherald entwickelten 1967 ein numerisches Computermodell der Atmosphäre, das die wesentlichen Gleichungen unter vereinfachenden Annahmen löste. Das globale Modell berücksichtigte noch keinen Wärmetransport im Ozean und arbeitete mit einer festen Wolkenverteilung. Im Fall einer Verdopplung der CO2-Konzentration kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die globale Mitteltemperatur sich um 2,93 Grad erhöhen würde. Diese Erkenntnis würdigte das Nobel-Komittee. Manabe habe er die Entwicklung physikalischer Modelle des Erdklimas geleitet und sei der erste Mensch gewesen, der die Wechselwirkung zwischen der Strahlungsbilanz und dem vertikalen Transport von Luftmassen untersuchte. Seine Arbeit habe den Grundstein für die Entwicklung aktueller Klimamodelle gelegt, heißt es weiter.

Erst eine neue Generation von Klimaforschern wie James E. Hansen von der Nasa, die durch die damals aufkommende Umweltschutzbewegung geprägt waren, nutzten die Modelle ab den 1970er Jahren für Vorhersagen des Klimas. In einem Paper, das Hansen und Kollegen 1981 in Science veröffentlichten, berechneten sie einen Temperaturanstieg zwischen einem und vier Grad bis 2100. Prompt wurde ihnen "Alarmismus" und eine Vermischung von Wissenschaft und Aktivismus vorgeworfen. Ein Vorwurf, der noch einmal erheblich lauter wurde, als Hansen sich in den frühen 2000er Jahren immer stärker im Naturschutz engagierte, und bei Protesten gegen ein Bergwerk auch verhaftet wurde.

Klaus Hasselmanns Interesse an der stochastischen Klimadynamik führte zur Entwicklung eines Rahmens für den systematischen Vergleich von Klimamodellen und Beobachtungen. Dies geschah in drei Arbeiten von 1979-1997. Die Arbeiten bilden die Grundlage für einen systematischen Vergleich und eine Bewertung unterschiedlicher Klimamodelle.

Vor über 25 Jahren begann das Coupled Model Intercomparison Project (CMIP) des Weltklimaforschungsprogramms (WCRP) mit der Koordinierung einer Handvoll atmosphärischer Modelle der ersten Generation, die mit einem Ozeanmodell, einer einfachen Landoberfläche aus Meereis gekoppelt waren. Im Laufe der Jahre wurden die Klimamodelle weiter verbessert und die Zahl der CMIP-Modelle ist erheblich gestiegen. In den letzten zehn Jahren wurden viele der Klimamodelle zu Erdsystemmodellen erweitert, die neben dem physikalischen Klima auch interaktive Kohlenstoff- und andere biogeochemische Zyklen simulieren.

Mit der Nobelpreis-Auszeichnung würdigt man Hasselmanns Arbeit, die beantwortet, warum Klimamodelle trotz des Wetters zuverlässig und chaotisch sein können. Er habe auch Methoden zur Identifizierung spezifischer Signale und Fingerabdrücke entwickelt, die sowohl Naturphänomene als auch menschliche Aktivitäten im Klima prägen. "Seine Methoden wurden verwendet, um zu beweisen, dass die erhöhte Temperatur in der Atmosphäre auf die Kohlendioxidemissionen des Menschen zurückzuführen ist", schreibt das Komitee.

Die Auszeichnung für Giorgio Parisi hingegen weist zumindest auf den ersten Blick keinen direkten Bezug zur Klimamodellierung auf. Parisi entwickelte jedoch grundlegende Methoden zur Beschreibung und Analyse komplexer dynamischer Systeme – wie dem Klimasystem. Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees kann daher auch als politisches Signal gewertet werden, dass besagt, dass auch die Modellierung komplexer Systeme mit begrenzten empirischen Daten auf solidem physikalischen Grund steht.

Parisi entwickelte Methoden, um energetische Zustände sogenannter Spingläser zu beschreiben. In solchen Materialien ordnen sich atomare Spins auf chaotische Art und Weise an, wenn sie sehr schnell heruntergekühlt werden. Dabei enden einige Spins in einer räumlichen Anordnung, die energetisch nicht optimal ist – sie sind dann "frustriert". Allerdings gibt es sehr viele mögliche Konfigurationen für solch ein System.

Die mathematischen Methoden, die Parisi entwickelte, nutzen verallgemeinerte Eigenschaften komplexer Systeme, um sie zu beschreiben. Sie ermöglichen es daher, viele verschiedene und scheinbar völlig zufällige Materialien und Phänomene zu verstehen und zu beschreiben, nicht nur in der Physik, sondern auch in anderen, sehr unterschiedlichen Bereichen wie Mathematik, Biologie, Neurowissenschaften und maschinellem Lernen – aber auch der Entwicklung des Klimas.

2020 ging der Physik-Nobelpreis zur einen Hälfte an den britischen Physiker Roger Penrose und zur anderen an den deutschen Astrophysiker Reinhard Genzel und die US-amerikanische Astronomin Andrea Ghez. Penrose wurde gewürdigt "für die Entdeckung, dass die Bildung von Schwarzen Löchern eine robuste Vorhersage der allgemeinen Relativitätstheorie ist". Genzel und Ghez bekamen den Preis für "für die Entdeckung eines supermassiven kompakten Objekts im Zentrum unserer Galaxie".

Der Nobelpreis für Medizin wurde am gestrigen Montag an zwei US-Wissenschaftler für die Erforschung des Tast- und Temperatursinns vergeben. Spekulationen darüber, dieser Preis könne im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie vergeben werden, bewahrheiteten sich nicht. Allerdings richten sich die Spekulationen nun auf den Chemie-Nobelpreis, der am morgigen Mittwoch bekannt gegeben wird.

Alfred Nobel hatte 1895, ein Jahr vor seinem Tod, in seinem Testament verfügt, dass sein Vermögen in Wertpapiere angelegt werden soll. Die Einnahmen daraus sollten "jährlich in Form von Preisen an diejenigen verteilt werden, die im Vorjahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben". Der Betrag für 2021 wurde auf 10 Millionen schwedische Kronen (knapp eine Million Euro) pro Nobelpreis festgelegt.

[5.10.2021, 14.53 Uhr: Ergänzung der Arbeiten von Giorgio Parisi] (anw)