Politiker wechseln aus Protest gegen Nokia ihre Handymarke

Empörung über die Entscheidung Nokias, den Standort Bochum aufzugeben, greift nun unter deutschen Politikern um sich. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ruft gar zu einem Boykott von Nokia-Produkten auf.

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Bundesverbraucherminister Horst Seehofer tauscht aus Solidarität mit den Beschäftigten des Nokia-Werks in Bochum sein Handy aus. "Weil die Art und Weise, wie das abläuft, mir nicht gefällt", sagte Seehofer heute laut dpa auf seinem traditionellen Rundgang bei der Grünen Woche in Berlin. Der CSU-Minister will nun ein Gerät einer anderen Firma wählen. Wenn man der "Bild"-Zeitung Glauben schenkt, überlegt Seehofer sogar, ob Nokia aus seinem gesamten Ministerium verbannt werden könnte. SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzender Peter Struck habe sein Nokia-Gerät bereits zurückgegeben und sein Büro mit der Neuanschaffung eines Geräts einer anderen Marke betraut.

Zitiert wird in dem Boulevardblatt auch der Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, der einen Skandal wittert. "Die Unternehmensführung von Nokia handelt unanständig, bringt mit ihrer allein auf Profitmaximierung ausgerichteten Geschäftspolitik die soziale Marktwirtschaft in Verruf." Stoiber fordert demnach eine Verschärfung der Subventionsregeln in Europa. Ähnlich empört zeigt sich Bundesarbeitsminister Olaf Scholz laut einem Bericht der Frankfurter Rundschau: "Ich sage ganz klar: Das ist nicht anständig. Auch im Wirtschaftsleben muss es Anstand geben."

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) geht so weit, zu einem Boykott des finnischen Konzerns aufzurufen. Dessen geplante Produktionsverlagerung nach Rumänien sei ein Beispiel für eine skandalöse Abzocke von Fördermitteln, sagte laut Hamburger Abendblatt der DGB-Landeschef von Rheinland-Pfalz, Dietmar Muscheid. Es zitiert ihn mit den Worten "Boykottiert Nokia!". NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hatte sich nicht direkt derart geäußert, aber im ZDF Nokia davor gewarnt, den deutschen Kunden zu unterschätzen.

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sieht Nokias Abwanderung laut Hamburger Abendblatt als die "weniger schöne Seite der Globalisierung", von der Deutschland sonst stark profitiere. "Das ist etwas, was wir sehr schwer aufhalten können, da es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelt." Ihn befremde die Vorgehensweise, dass plötzlich über Nacht die Zukunftshoffnungen vieler Menschen zerstört würden, ohne vorher Alternativen anzubieten. Glos versucht ebenso wie sein Staatssekretär Hartmut Schauerte, die Debatte zu versachlichen. Schauerte betonte in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, es gebe bislang keine Anzeichen für eine "Subventionsabzocke". Ihm erscheinen laut Financial Times Deutschland die Gründe für Nokias Entscheidung aber auch nicht überzeugend. Vielleicht sei die Entscheidung nicht so endgültig.

Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Ulrich Blum rückt laut dpa einen anderen Aspekt in den Forderung: Abgewanderte Unternehmen kehrten häufiger aus Qualitätsgründen nach Deutschland zurück. Entscheidend seien meist Qualitätsprobleme in den jeweiligen Ländern. In Deutschland sei das Qualitätsbewusstsein oft mehr ausgeprägt als in anderen Ländern.

NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) will Subventionen zurückfordern, falls Nokia mit dem Rückzug aus Bochum Beschäftigungszusagen verletzt hat. Thoben kritisierte, dass der finnische Handyhersteller trotz Gewinnen von "jetzt auf gleich" den deutschen Standort schließen wolle. "Das schadet unserem Wirtschaftssystem", sagte Thoben laut dpa. Sie wolle künftig mehr auf Familienunternehmen setzen, die mehr Verantwortung zeigten.

Nokia-Deutschland-Chef Klaus Goll wies laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung den Vorwurf entschieden zurück, der Handy-Hersteller sei eine "Subventionsheuschrecke". Sein Unternehmen habe die mit den Subventionen verknüpften Bedingungen sogar länger als gefordert eingehalten. Es gebe keinen Grund für Rückzahlungen an Nordrhein-Westfalen. Für die kommenden Woche kündigte er erste Gespräche mit dem Betriebsrat an, voraussichtlich auch über Abfindungen und die Gründung einer Auffanggesellschaft.

In Bochum beraten zurzeit Vertreter von Stadt, Land und Arbeitsorganisationen über den Erhalt der Nokia-Arbeitsplätze und die Suche nach Ersatzstellen. Der "Runde Tisch" solle den Beschäftigten eine Perspektive geben, teilte die Stadt mit. Dabei sind NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU), Gisela Achenbach (Betriebsratsvorsitzende Nokia GmbH), Paul Aschenbrenner (Wirtschaftsdezernent Bochum) und Ulrike Kleinebrahm (Erste Bevollmächtigte der IG-Metall Bochum).

Zur geplanten Schließung des Nokia-Werks in Bochum siehe auch: